Krieg gegen die Ukraine

Wie Russland die Sanktionen aushebeln könnte

08.03.2022
Von  und
Lucas Mearian ist Senior Reporter bei der Schwesterpublikation Computerworld  und schreibt unter anderem über Themen rund um  Windows, Future of Work, Apple und Gesundheits-IT.
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
US- und EU-Behörden drängen Betreiber von Kryptobörsen dazu, die Sanktionen gegen Russland zu unterstützen. Doch es gibt Schlupflöcher. Auch der Ausschluss aus dem SWIFT-System lässt sich umgehen.
Sanktionen sollen Russland zwingen, seinen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu stoppen. Kryptobörsen könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen.
Sanktionen sollen Russland zwingen, seinen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu stoppen. Kryptobörsen könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen.
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Mit ihren Sanktionen zielen die USA und die EU darauf ab, den russischen Staatsapparat sowie Banken und Oligarchen von den internationalen Finanzströmen abzuschneiden. Zu den Maßnahmen zählen die Abkoppelung zentraler russischer Banken vom internationalen Finanznachrichtendienst SWIFT sowie das Einfrieren von Devisenreserven der russischen Notenbank. Experten befürchten jedoch, dass es Schlupflöcher gibt, diese Sanktionen zu umgehen.

"Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass russische Unternehmen und Staatsangehörige versuchen, Krypto-Assets wie Bitcoin oder an den US-Dollar gebundene Stablecoins wie Tether (USDT) zu nutzen, um die Wirtschaftssanktionen zu umgehen", sagte Josh Olszewicz, Leiter der Forschungsabteilung bei Valkyrie Funds, einem Investmentmanager für digitale Assets.

Stablecoins sind an Fiat-Währungen gekoppelt, also an von Regierungen gestützte Währungen wie den US-Dollar oder den Euro, oder an von Zentralbanken gedeckte Bar-Reserven. Dagegen hängt der Wert von Bitcoin und anderen digitalen Nicht-Stablecoin-Währungen von Angebot und Nachfrage ab und unterliegt daher auch zum Teil beträchtlichen Wertschwankungen.

Regierungen der USA und in Europa äußerten sich besorgt darüber, dass die russische Regierung und ihre Banken und Oligarchen alternative Wege finden könnten, um ihre Vermögenswerte dennoch über die Landesgrenzen hinaus zu verschieben. In einem Brief an die US-Finanzministerin Janet Yellen wiesen US-Politiker darauf hin, dass Russland im Dark-Web Marktplätze für Kryptowährungen nutzen könnte, um die Sanktionen zu umgehen. Sie brachten die Frage auf, ob die Regierungen zusätzliche Instrumente benötigten, um solche Bewegungen zu verhindern. "Diese Berichte sind umso beunruhigender, als Analysen darauf hinweisen, dass die Krypto-Währungsszene möglicherweise ihrer Verantwortung zur Einhaltung der US-Sanktionen nicht nachkommt", heißt es in dem Schreiben.

Die US-Finanzministerin Janet Yellen muss Mittel und Wege finden, Kryptobörsen in das Sanktionspaket gegen Kriegstreiber Russland einzubinden.
Die US-Finanzministerin Janet Yellen muss Mittel und Wege finden, Kryptobörsen in das Sanktionspaket gegen Kriegstreiber Russland einzubinden.
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Tatsächlich bemühen sich westliche Finanzbehörden, das Sanktionsschlupfloch Kryptowährungen zu schließen. Das US-Finanzministerium hat Vorschriften erlassen, um Amerikaner daran zu hindern, digitale Währungen zur Umgehung der russischen Sanktionen zu verwenden. Außerdem wurden Kryptowährungsbörsen wie Coinbase, Binance und FTX aufgefordert, Personen und Organisationen zu sperren, die von den Sanktionen betroffen sind. Aus dem Kreis der EU-Finanzminister verlautete: "Wir ergreifen Maßnahmen, insbesondere in Bezug auf Kryptowährungen oder Kryptovermögenswerte, die nicht zur Umgehung der von den 27 EU-Ländern beschlossenen Finanzsanktionen verwendet werden dürfen."

Kryptobörsen wollen kooperieren

Die Betreiber der Kryptowährungsbörsen zeigen Bereitschaft zu kooperieren. So teilte Coinbase, die größte US-Kryptobörse, mit, dass man zwar kein pauschales Handelsverbot für russische Kunden verhängen wolle, aber Handelsaktivitäten blockieren werde, die mit Sanktionen belastete Personen oder Organisationen betreffen. Binance hat zusammen mit mehreren anderen Börsen öffentlich erklärt, dass zwar nicht alle russischen Nutzer oder IP-Adressen pauschal gesperrt würden, dass man aber die Maßnahmen mit Bezug auf sanktionierte russiche Einrichtungen unterstützen werde.

"Binance hält sich sehr streng an die Sanktionsregeln", sagte Binance-CEO Changpeng Zhao gegenüber "Bloomberg". Eine Ausweitung der Beschränkungen über die Liste der sanktionierten Personen hinaus wäre aber "unethisch für uns", sagte er.

Ein- und Ausgänge überwachen

Zwei wichtige Anbieter aus dem Ethereum-Ökosystem haben darüber hinaus weitergehende Zugangsbeschränkungen eingeführt, um zu verhindern, dass Nutzer aus "bestimmten Ländern" die internationalen russischen Sanktionen umgehen. MetaMask und Infura, die Ein- und Ausgänge zu Ethereum-Kryptowährungsbörsen anbieten, teilten mit, dass Ethereum-Zugriffe aus mit Sanktionen belegten Regionen mit Fehlermeldungen beantwortet würden.

Digitaler Widerstand gegen Putins Invasion

"Kein Gesetzgeber und keine Regulierungsbehörde kann eine On- und Off-Rampe in einer unregulierten oder international auf der schwarzen Liste stehenden Börse stoppen", sagte Avivah Litan, Analystin bei Gartner. Aber Krypto-Organisationen könnten es. Litan bezeichnete deshalb den Schritt von MetaMask und Infura als "sehr bedeutsam". Dies sei ein Beleg dafür, dass einige dezentrale Krypto-Netzwerke versuchten, die Sanktionen zu unterstützen.

"Sanktionierte Personen und Organisationen könnten ihre Standorte in Zukunft verbergen und so versuchen, die Strafmaßnahmen zu umgehen", sagte die Analystin. Jedoch könnten diese Gruppen ihr Geld nur innerhalb dezentraler Krypto-Netzwerke ausgeben. Neues Fiat-Geld, das in Krypto umgewandelt wurde, ließe sich nur dann an den großen Börsen ein- und auszahlen, wenn sich diese nicht an die Sanktionen hielten.

Gefahr der falschen Identitäten

Kryptowährungen laufen auf Blockchain-basierten Ledger-Systemen, die Anonymität durch Verschlüsselung bieten. Daher können mit Sanktionen belegte Menschen und Einrichtungen nur dann gehindert werden Kryptowährungen zu kaufen oder zu verkaufen, wenn sie an den Ein- und Ausgängen zu diesen Börsen geblockt werden. Zu diesen Rampen gehören digitale Geldbörsen, die zum Speichern von Bitcoin und anderen Kryptowährungen verwendet werden, sowie Software-Schnittstellen zu Kryptobörsen.

Internetzensur in Russland

Sanktionierte Unternehmen müssten jedoch im Blockchain-Netzwerk identifiziert werden, wenn ihre Bewegungen in das Kryptonetzwerk hinein und wieder hinaus blockiert werden soll, erläutert Gartner-Analystin Litan. Sie könnten dazu versuchen, gefälschte Identitäten zu verwenden. "Insgesamt haben es sanktionierte Organisationen aber sehr schwer, ihr Geld in diese Netzwerke hinein und wieder hinaus zu bekommen", sagte Litan. Ganz ausschließen könne man das aber sicher nicht.

Olszewicz von Valkyrie Funds befürchtet, dass es Menschen geben wird, die russischen Organisationen und Oligarchen helfen werden, ihr Geld gegen alle Widerstände mithilfe von Kryptowährungen zu waschen. "Aber die große Mehrheit der Sanktionsbrecher wird Schwierigkeiten bekommen", ist sich der Investment-Experte sicher. "Die Strafen für die Verletzung der Sanktionen sind streng genug, um die meisten Bösewichte abzuschrecken." Außerdem seien die Behörden gewarnt und die forensischen Ermittlungs-Tools mittlerweile so ausgereift, dass wahrscheinlich so ziemlich jede und jeder erwischt werde, der den sanktionierten Personen und Organisationen hilft. "Und das schneller, als so manche glauben."

Kryptowährungen - Fluch und Segen

Kryptowährungen haben allerdings auch noch eine andere Seite. Sie können vom Krieg unschuldig betroffenen Menschen helfen, in diesen schwierigen Zeiten ihre Vermögenswerte zu bewahren. "Bitcoin, Kryptowährungen und Stablecoins haben zeitweise als lebenswichtige wirtschaftliche Rettungsleine für viele Menschen in der Ukraine fungiert", sagt Leah Wald, CEO von Valkyrie Funds.

Wie Techkonzerne auf Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine reagieren

Zu Beginn der Invasion Russlands in die Ukraine seien die Handelsvolumina von Kryptowährungen für Rubel- und ukrainische Griwna-Handelspapiere auf den höchsten Stand seit Monaten geklettert, bestätigt auch Kaiko, ein Daten- und Nachrichtendienst für den Kryptowährungshandel. "Die Kryptowährungsbörsen könnten als starker sicherer Hafen für Vermögenswerte dienen, aber eben auch die Umgehung von Sanktionen ermöglichen", heißt es im Februar-Marktbericht. Die Kryptowährungsindustrie stecke in einer Bredouille: Es gelte Sanktionen durchzusetzen, gleichzeitig fehlten aber die Möglichkeiten, Transaktionen in den dezentralen Netzwerken zu beschränken, so die Experten von Kaiko.

Für viele Menschen in der Ukraine waren Kryptowährungen auch ein Mittel, ihre Vermögen zu retten.
Für viele Menschen in der Ukraine waren Kryptowährungen auch ein Mittel, ihre Vermögen zu retten.
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"Kryptowährungen und insbesondere Stablecoins sind ein sicherer Hafen, wenn Sie in einem Land leben, in dem Ihre Währung abgewertet wird", meint auch Gartner-Analystin Litan. Es gehe darum, einem Protokoll zu vertrauen, und nicht einer Regierung oder einem bestimmten Unternehmen. "Ich denke, dieser Krieg beweist, dass Protokolle viel vertrauenswürdiger sind als manche Regierungen."

SWIFT lässt sich manipulieren

Nicht nur Kryptowährungen, auch das Banken-Netzwerk SWIFT- lasse sich leicht manipulieren, um Geldtransfers von Unternehmen zu verschleiern, die mit Sanktionen belegt wurden, warnt Mark Gazit, CEO von ThetaRay. Er fordert eine KI-gestützte Überwachungslösung für grenzüberschreitende Transaktionen. SWIFT sei zwar an sich ein relativ sicheres Netzwerk, aber es sei nicht schwer, Scheinfirmen zu gründen und Geld durch sie zu verschieben, und dafür das Finanznachrichtensystem für grenzüberschreitende Transaktionen zu nutzen, so Gazit.

"SWIFT ist ein ziemlich altes System", sagt Gazit. "Es wurde 1973 entwickelt." Deshalb gebe es nicht die Sicherheitsvorkehrungen, die man von einem modernen System erwarten würde. Das habe schon in der Vergangenheit viele Schwierigkeiten verursacht. "Das Problem ist, dass das System die Transaktionen nicht wirklich authentifiziert."

Gazit zufolge bräuchte es eine KI-basierte Software, die die Finanztransaktionen selbst untersucht und nicht nur die Absender identifiziert, um festzustellen, ob sie eine weiße Weste haben oder nicht. Darüber hinaus gebe es Länder, die immer noch an SWIFT angeschlossen sind und mit Russland sympathisieren. "Sie werden wahrscheinlich als Vermittler für den Transfer von Rubeln fungieren", befürchtet Gazit.

Deutschland ist ein "unfreundlicher Staat" - aus russischer Sicht

Derweil hat die russische Regierung seine Liste der "unfreundlichen Staaten" erweitert. Rechnungen und Verbindlichkeiten aus diesen Ländern würden künftig nur noch in Rubel beglichen, hieß es. Neben Deutschland und allen anderen EU-Mitgliedern stehen auch Japan, Großbritannien, die Schweiz und die Ukraine auf dieser Liste. Die Regel gilt für russische Bürger, Unternehmen und staatliche Einrichtungen. Die russische Währung befindet sich seit Wochen im Sturzflug.

Der russische Machthaber Wladimir Putin führt eine Liste "unfreundlicher Staaten". Deutschland gehört auch dazu.
Der russische Machthaber Wladimir Putin führt eine Liste "unfreundlicher Staaten". Deutschland gehört auch dazu.
Foto: Gevorg Ghazaryan - shutterstock.com

Russland hatte die schwarze Liste vor einem knappen Jahr auf Geheiß des autokratisch herrschenden Präsidenten Wladimir Putin aufgesetzt. Zunächst standen nur Tschechien und die USA darauf. Der Grund: Die USA hatten zuvor wegen der angeblichen Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf und wegen Hackerangriffen russische Diplomaten ausgewiesen. Tschechien warf russischen Geheimdiensten vor, für die Explosion eines Munitionslagers im Jahr 2014 verantwortlich zu sein, und verwies russische Diplomaten des Landes. Moskau wies alle diese Vorwürfe zurück.