Digitales Testfeld Autobahn

Wie kooperatives Fahren das Auto der Zukunft sicherer machen soll

06.02.2016
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Weniger Unfälle, weniger Staus und dabei kann der Staat angeblich auch noch Geld sparen: Ein Pilotprojekt von Deutsche Telekom, Nokia Networks, Continental und Fraunhofer ESK auf der A9 zeigt, wie vernetztes – kooperatives - Autofahren funktionieren kann.
Testfahrt für kooperatives Fahren - hier ein Überholvorgang - auf der A9
Testfahrt für kooperatives Fahren - hier ein Überholvorgang - auf der A9
Foto: Deutsche Telekom

Gefahrensituationen wie das plötzliche Ausscheren eines anderen Fahrzeugs aus der rechten Spur oder unerwartete Bremsmanöver des Vordermanns sind nicht selten Ursachen für schlimme Unfälle oder zumindest Staus. Um diese möglichst zu vermeiden, sollen in nicht allzu ferner Zukunft vernetzte Fahrzeuge miteinander kommunizieren und sich gegenseitig vor Gefahren warnen. Aus Sicht von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der nun ein entsprechendes Pilotprojekt auf der A9 zwischen München und Nürnberg gemeinsam mit Managern und Forschern vorstellte, handelt es sich dabei um einen "Sprung in das digitale Echtzeitalter".

Um eine Kommunikation zwischen den Fahrzeugen in Quasi-Echtzeit zu ermöglichen, musste allerdings ein riesiges Problem mit der Latenzzeit gelöst werden. So arbeitet Kooperationspartner Continental im Rahmen des Projekts eHorizon zwar schon länger an einer digitalen Straßenkarte, die von Autos mit Sensordaten gespeist und damit aktualisiert wird. Mit diesen Informationen kann ein Auto quasi durch den vorausfahrenden Lastwagen schauen, über die nächste Kuppe blicken und es weiß sogar, wenn ein anderes Fahrzeug zum Überholen ansetzen will.

Mobile Edge Computing löst das Latenzzeit-Problem

Da sich die Karte in der Cloud befand, dauerte es vor einem Jahr allerdings noch sechs Sekunden, bis die von einem Auto gesendeten Daten an die anderen Verkehrsteilnehmer weitergegeben wurden. Wie Ralf Lenninger, Leiter Strategie und Innovation der Division Interior Continental, bei der Pressevorstellung erklärte, entsprach diese Latenzzeit bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h 150 Metern Blindflug und war somit untragbar.

Kathrin Buvac, Chief Strategy Officer von Nokia Networks, zeigt ein Einschubmodul zur Aufrüstung von LTE-Basisstationen.
Kathrin Buvac, Chief Strategy Officer von Nokia Networks, zeigt ein Einschubmodul zur Aufrüstung von LTE-Basisstationen.

Bei der nun umgesetzten Lösung dauert ein Roundtrip der Daten unter 20 Millisekunden, was weniger als ein Meter mit dem Auto zurückgelegter Wegstrecke entspricht. Möglich wurde dies durch die Übertragung per LTE und der von Nokia Networks mitentwickelten Technologie Mobile Edge Computing: Dabei übernehmen Einschubmodule (so genannte Cloudlets), die direkt in den Mobilfunk-Basisstationen eingebaut werden, lokal die Verarbeitung der Sensordaten - die Kommunikation findet somit nicht über ein Rechenzentrum in der Cloud, sondern in der jeweiligen Funkzelle statt.

Ohne die neue Technik - beim Wettbewerber Cisco unter dem Namen Fog-Computing bekannt - dauert die Übertragung in LTE-Netzen bestenfalls knapp einhundert Millisekunden, unter ungünstigen Bedingungen sogar mehrere hundert Millisekunden. Erst durch die schnelle Übertragung werden Verkehrssicherheitsanwendungen über Mobilfunknetze sinnvoll möglich.

Zwei Testszenarien

Wie das Ganze künftig funktionieren könnte, zeigen die Experten von Deutsche Telekom, Nokia Networks, Continental und Fraunhofer ESK anhand zweier Anwendungsfälle bei Fahrten auf der A9 zwischen Pfaffenhofen und dem Autobahndreieck Holledau. Bei dem einen Szenario meldet das System in Quasi-Echtzeit, wenn ein vorausfahrendes (und möglicherweise nicht sichtbares) Auto bremst, und gibt dem Fahrer bzw. autonomen Fahrzeug ausreichend Zeit, die Geschwindigkeit zu reduzieren.

Beim zweiten, deutlich komplexeren Beispiel geht es darum, wie man mit vernetzten Autos für mehr Sicherheit bei einem Überholvorgang sorgen kann: So wird ein Fahrer auf der Überholspur frühzeitig (= unter 20 ms) gewarnt, wenn anderes Auto auf der rechten Spur den Blinker setzt und ausscheren möchte. Damit nicht genug, erhält er auch einen Hinweis, ob er als Konsequenz die Geschwindigkeit reduzieren sollte oder es sicher ist, einfach weiterzufahren. Umgekehrt wird auch der Ausscherende darüber informiert, ob er ohne Gefahr die Spur wechseln kann (das nachfolgendes Fahrzeug ist mehr als 500 Meter entfernt) oder die Spur halten muss, bis das schnellere (gemessen an der Geschwindigkeit nur sechs Sekunden entfernte) Fahrzeug vorbeigefahren ist.