Interaction Room

Wie IT- und Fachabteilung kontrolliert agil entwickeln

21.09.2016
Von 
Prof. Dr. Volker Gruhn ist Mitgründer und Aufsichtsratsvorsitzender der adesso AG. Außerdem hat er den Lehrstuhl für Software Engineering an der Universität Duisburg-Essen inne. Gruhn forscht unter anderem über mobile Anwendungen und Cyber-Physical Systems.

Raum für Ideen

Der Interaction Room ist eine Methode, die das Interesse auf den Projektfortschritt lenkt und dazu beiträgt, dass alle Beteiligten die Vision der angestrebten Software teilen und weiterentwickeln. Damit die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, sind allerdings einige Voraussetzungen zu beachten. Große Bedeutung kommt den Wänden des Raums zu. Die Interaction-Room-Mitglieder modellieren auf ihnen die Prozesse, erfassen Informationen und visualisieren den Projektstatus. Jede der vier Wände repräsentiert einen zentralen Aspekt des Projekts.

Das Team hält die Modelle der Geschäftsprozesse, die das Softwaresystem einmal unterstützen soll, auf der Prozesswand fest. Fachliche Objektmodelle notieren sie auf der Objektwand. Die dritte Wand ist die Statuswand: Hier werden Backlog und Projektfortschritt protokolliert. Auf der vierten Wand wird die Integrationslandkarte abgebildet (Integrationswand). Sie gibt Auskunft darüber, welche existierenden Softwaresysteme die Experten mit dem zu erstellenden System integrieren müssen.

Damit die Zusammenarbeit im Interaction Room reibungslos funktioniert, müssen sich alle Beteiligten im Vorfeld über einige Grundsätze im Klaren sein:

  • Abstraktion: Wände sind, im Gegensatz zu elektronischen Dokumenten, endlich. Das zwingt dazu, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren - ein gewollter Effekt! In der Praxis hat es sich bewährt, auf der Prozesswand nicht mehr als 15 Prozessmodelle mit jeweils maximal 15 Aktivitäten zu notieren. Die Beteiligten blenden Details, die unnötig Ressourcen binden, aus.

  • Wertorientierung: Eine entscheidende Frage ist, wie das Team die kritischen Teile eines zu erstellenden Softwaresystems identifiziert. In der Praxis neigen Projektbeteiligte dazu, einfachen Zusammenhängen, die sie schnell verstehen, zu viel Zeit und Ressourcen zu widmen. So werden Personenstammdaten detailliert modelliert, während zentrale Geschäftsprozesse zu wenig Aufmerksamkeit bekommen. Die Antwort des Interaction Room auf dieses Problem ist die sogenannte "Wertannotation" von Prozess- und Objektmodellen.

Hier sind die Symbole zu sehen, die die die Projektbeteiligten in verschiedenen Durchgängen an die Aktivitäten der Prozessmodelle kleben.
Hier sind die Symbole zu sehen, die die die Projektbeteiligten in verschiedenen Durchgängen an die Aktivitäten der Prozessmodelle kleben.
Foto: adesso AG

  • Inkonsistenz: Ein unternehmensweit bedeutsames IT-Projekt darf nicht zu einer IT-dominierten Veranstaltung geraten, in der die Fachabteilung unterrepräsentiert ist. Damit sich alle Beteiligten auf fachliche Inhalte konzentrieren, gibt der Interaction Room bei der Beschreibung der Prozessmodelle - ein Thema, bei dem IT-Experten häufig einen Know-how-Vorsprung haben - keine Syntax vor. Die Beteiligten nutzen, in Abstimmung mit dem Interaction-Room-Moderator, was immer ihnen sinnvoll erscheint. Syntaktische Ungereimtheiten nehmen sie dabei in Kauf.

  • Ungewissheit: In den frühen Phasen der Softwareentwicklung sind nicht alle fachlichen Zusammenhänge gleichermaßen klar, über einige Themen wird womöglich kontrovers diskutiert. Um festzustellen, welche Zusammenhänge noch nicht durchdrungen wurden, müssen alle Teilnehmer des Interaction Room nach der einleitenden Diskussion die für sie kritischen Themen mit einem "Ungewissheitssymbol" kennzeichnen. Auf diese Weise ermitteln sie, in welchen Bereichen zusätzliches Wissen nötig ist.