Wie gut sind Linux-Desktops?

18.02.2008
Von 
Jan Schulze ist freier Autor in Erding bei München.
Während Linux sich als Server-Betriebssystem etabliert hat, kommt es im Desktop-Bereich nicht richtig in Fahrt.

Das Open-Source-Betriebssystem Linux hat sich seit geraumer Zeit einen festen Platz in den Rechenzentren neben Unix und Windows erobert. Im Gegensatz dazu wird der Markt für Notebooks und Desktops von verschiedenen Windows-Versionen beherrscht. Laut den Marktforschern von Forrester Research sind weltweit 97 Prozent der Clients in den Unternehmen mit Windows 2000, Windows XP oder auch schon mit Windows Vista bestückt. Ein Prozent des Kuchens kann Apple für sein Mac OS verbuchen, zwei Prozent gehen auf das Konto der verschiedenen Linux-Distributionen. Hier stechen laut Forrester vor allem Novell mit dem Suse Linux Enterprise Desktop und Red Hat mit Enterprise Linux hervor. Eine zunehmend große Rolle spielt auch der Debian-Ableger Ubuntu des südafrikanischen Anbieters Canonical.

Dell goes Ubuntu

Seit einigen Monaten bietet Dell neben Windows auch die Linux-Distribution Ubuntu vorinstalliert auf einigen Geräten an. Im Enterprise-Geschäft scheint die Nachfrage jedoch verhalten. Diplomatisch nannte Dell eine steigende Nach-frage im Endkundengeschäft und bei kleineren Unternehmen, während die Großkundennachfrage auf niedrigem Niveau liege. Linux als Standard-Betriebssystem sei eher im Bereich der Workstations zu beobachten, die Dell mit Red Hat ausliefert. Umsatzzahlen mit Linux-Clients nennt Dell nicht.

Trotz aller Trends hin zu Open-Source-Software, die die verschiedenen Marktbeobachter zu erkennen glauben, scheint sich der Linux-Desktop im Unternehmen nicht mit rasender Geschwindigkeit zu verbreiten. So erwartet zum Beispiel Gartner für 2008 einen weltweiten Umsatz mit Linux-Desktops in Höhe von knapp 470 Millionen Dollar. Für Linux-Server rechnen die Auguren mit einem Umsatz von rund 1,57 Milliarden Dollar. Windows auf dem Desktop und auf mobilen Endgeräten hingegen wird laut Gartner in diesem Jahr über 14,3 Milliarden Dollar in die Kassen der Anbieter spülen.

Europäer zurückhaltend

Auffällig ist, dass europäische Anwender - sonst der Nutzung von Open-Source-Software eher aufgeschlossen - gegenüber Linux auf dem Desktop im Vergleich zu den USA zurückhaltend sind. Während jenseits des gro-ßen Teichs Linux und Mac OS je ein Prozent der installierten Unternehmens-PCs antreiben, kommen beide Betriebssysteme in Europa nur zusammen auf ein Prozent. Allerdings stellt Forrester fest, dass das prinzipielle Interesse der Unternehmen an Linux-Desktops groß ist.

Dass der Linux-Desktop vielerorts nur eine Randerscheinung ist, liegt daran, wie seine Eignung für den Unternehmenseinsatz eingeschätzt wird. Hier dominieren die Betriebssysteme von Microsoft die Infrastruktur: "70 Prozent der Anwendungen in Unternehmen sind Windows-Applikationen", so Michael Silver, Research Vice President beim Marktforschungsunternehmen Gartner. Aus seiner Sicht ist dies einer der zentralen Gründe, warum sich Linux auf dem Enterprise-Desktop nur sehr langsam etablieren kann. Die Entwicklung werde sich in den kommenden Monaten auch nicht beschleunigen; ein Linux-Marktanteil von fünf Prozent sei derzeit nicht zu erwarten.

Kosten sparen mit Linux

Die Unternehmen, die sich für Linux-Clients interessieren, haben dafür laut Silver vor allem zwei Gründe: Sie wollen zum einen die Kosten für Client-Betriebssysteme senken und zum anderen unabhängiger von Microsoft werden. In einigen Fällen spielten auch Sicherheitsaspekte eine Rolle, da Linux - zumindest aufgrund der heutigen Verbreitung - weniger Angriffsfläche biete als Windows. "Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass Linux nicht gratis ist", betont der Gartner-Mann. "Will man eine Version von Novell oder Red Hat, die jahrelang unterstützt und gepflegt wird, muss man dafür auch eine jährliche Gebühr entrichten." Die kostenlos verfügbaren Community-Distributionen sind nach seiner Erfahrung für die meisten Unternehmen trotz dieses Nulltarifs nicht interessant, da das Unternehmen hierbei den Support selbst leisten müsse: "Das Kerngeschäft ist in der Regel nicht die Wartung von Betriebssystemen. Unternehmen benötigen einen professionellen Support, Sicherheits-Updates über mindestens fünf bis sieben Jahre und nicht jedes Jahr eine neue Version des Betriebssystems."

Obwohl vielen Unternehmen mit Auslaufen des Supports für Windows 2000 und Windows XP über kurz oder lang ein Upgrade des Betriebssystems ins Haus steht, sieht Silver hierin kaum eine Chance für Linux. Große Migrationsprojekte seien zwar immer eine gute Gelegenheit, um alle Möglichkeiten zu evaluieren. Auch sei der Umstieg auf Windows Vista nicht ganz einfach. Habe man im Unternehmen allerdings Windows-Anwendun-gen, sei es wesentlich wahrscheinlicher, dass der Hersteller diese an Vista anpasse denn an Linux.

Bringen Thin Clients die Wende?

Die seit langem auf Microsoft-Betriebssysteme ausgerichtete Anwendungslandschaft wird sicher noch einige Zeit in den Unternehmen Bestand haben. Erst ein Wechsel im Paradigma der Rich-Client-Applikationen könnte hier Abhilfe schaffen. Der Wandel von den lokalen zu zentralen - und damit Server-basierenden - Anwendungen wurde zwar schon in der Vergangenheit immer wieder propagiert, doch scheint er nun langsam in Sichtweite: "Je mehr Anwendungen vom Client-Betriebssystem unabhängig werden - und das werden sie gerade -, desto eher haben Linux und Mac OS eine Chance, da damit die Migrationskosten sinken", so Silver. Allerdings werde es noch einige Zeit dauern, bis professionelle Anwender sich verstärkt Web-basierenden Anwendungen im Stile von Google Apps zuwenden. Aber mit der Zeit würden diese Programme funktional reichhaltiger und auch die Anwender Vertrauen zu diesem Modell fassen.

Linux ist nicht Windows

Ähnlich zurückhaltend beurteilt auch Jan Wildeboer, Solutions Architect bei Red Hat, die Situation: Es habe zwar bereits einige große Projekte mit Linux-Desk-tops gegeben, aber es sei noch kein Massengeschäft. "In den Unternehmen finden sich gewachsene Infrastrukturen, die von uns verlangen, dass wir Linux zu einem Windows machen, damit wir uns zum Beispiel an Exchange-Landschaften anhängen können. Das ist zwar möglich, aber Linux ist einfach nicht Windows. Das ist nicht der Teich, in dem wir schwimmen wollen." Windows Vista wäre aus seiner Sicht ein guter Türöffner für Linux, wenn das quelloffene System in der Lage wäre, alle Möglichkeiten des Microsoft-Betriebssystems eins zu eins abzubilden. Red Hat gehe deswegen den Umweg über die Server: "Wir wollen eine Fokussierung auf offene Standards erreichen."

Die wichtigen Neuerungen auf dem Linux-Desktop finden sich dementsprechend eher im Verborgenen. "Wir haben im Hintergrund die Technologien zusammengebaut, die uns jetzt langsam dahin führen, dass wir in den Desktop-Bereich einsteigen können", so Wildeboer. Diese Technologien, die mittlerweile in allen Distributionen vorhanden sind, ermöglichen zum Beispiel die zentrale Verwaltung der Clients im Unternehmen, die Durchsetzung von Policies oder die E-Mail-Authentifizierung über den LDAP-Verzeichnisdienst. Diese sind zwar nicht so deutlich sichtbar wie die hübschen 3D-Effekte, die auch die Standard-Linux-Oberflächen wie KDE oder Gnome inzwischen beherrschen, aber für den professionellen Einsatz von Linux-Clients wesentlich wichtiger.

Linux für einzelne Branchen

Für Red Hat hat der Einstieg in vertikalen Branchen wie Finance oder Automotive stattgefunden. "Hier kann Linux besonders einfach eingesetzt werden. Viele Entwickler- und Ingenieursarbeitsplätze werden inzwischen standardmäßig mit Linux ausgestattet", beobachtet Wildeboer. Sehr genau definierte und spezifische Anforderungen erleichtern den Einsatz von Linux-Desktops. Aber laut Wildeboer ist Linux noch nicht so weit, einen Allzweck-Desktop, wie er beim Gros der Arbeitsplätze notwendig ist, zu betreiben. Das liege jedoch nicht nur an Linux, sondern auch an den ISVs (Independent Software Vendors). So fehle zum Beispiel eine Integration von Dokumenten-Management-Systemen in die Linux-typische Office-Suite "Open Office" - Dinge, die innerhalb des Microsoft-Ökosystems längst Standard sind. Deswegen setzt Red Hat auch einen Fokus auf die Backend-Integration, um Kernanwendungen wie SAP oder Oracle nahtlos in die Desktop-Anwendungen einzubinden. "Eine Integration von SAP in Open Office interessiert nicht nur die Stadt München, die das definitiv braucht", ist sich Wildeboer sicher. "Sobald das Ökosystem funktioniert, wird der Linux-Desktop eine ganz normale Alternative zu Windows werden", so der Red-Hat-Mann.

Novell setzt auf Interoperabilität

Etwas anders ist der Ansatz von Novell. Das Unternehmen setzt auf eine möglichst hohe Inter-operabilität zwischen dem Linux- und dem Windows-Ökosystem. Novell hat dazu im vergangenen Jahr eine enge Zusammenarbeit mit Microsoft begonnen. Diese zeitige auch Früchte, wie Holger Dyroff, Vice President Product Management Suse Linux, erläutert: "Open Office in der Novell-Edition arbeitet jetzt gut mit Makros aus Microsoft Office zusammen." Auch bei der Anbindung von Suse-Linux-Desktops an den Microsoft-Verzeichnisdienst Active Directory wurden laut Dyroff deutliche Fortschritte erzielt. An Kleinigkeiten hake es jedoch noch etwas. "Bei Großkunden ist gerade die Einbindung in bestehende Active-Directory-Landschaften ein wichtiges Thema", so Dyroff. Novell legt bei der Desktop-Entwicklung den Fokus vor allem auf diese Enterprise-Anforderungen.

Probleme mit WLANs

Ein anderer Bereich aus der Welt der großen Unternehmen ist WLAN. Zwar beherrschen die Linux-Distributionen den Umgang mit WLAN ohne Probleme, doch fehlen für einzelne Chipsätze noch geeignete Treiber. Auch das Roaming, also der Wechsel zwischen verschiedenen Funkzellen in großen WLAN-Installationen, bereitet Linux bisher Schwierigkeiten. Laut Dyroff hat Novell deswegen in enger Zusammenarbeit mit dem Netz-werkausrüster Cisco einige Weiterentwicklungen in den Network-Manager von Linux einfließen lassen. (wh)