Little Brother im Heimbüro

Wie freiberufliche Programmierer in den USA überwacht werden

17.02.2009
Von Constantin Gillies

Mit dem Fall oDesk kocht eine Diskussion hoch, die zwischen Betriebswirten und Informatikern schon fast Tradition hat: Die DV-Profis halten ihre Arbeit von jeher für eine Art von Kunst, die sich nicht per Stoppuhr messen lässt, die Manager sehen darin lediglich ein schnödes Handwerk. Versuche, die Produktivität von IT-Arbeitern objektiv zu messen, gab es schon viele. In den 1960ern zählte man die Programmzeilen (Lines of Codes, LOC), mittlerweile beschäftigt sich eine ganze Disziplin namens Software Measurement mit der Frage: Woran erkennt man, dass vorm Bildschirm auch gearbeitet wird?

Wer überwacht wird, leistet weniger

An Werkzeugen, um vermeintlichen Trödlern auf die Schliche zu kommen, mangelt es zumindest nicht. Spezialanbieter fahren ein ganzes Arsenal von Keyloggern und Webfiltern auf, das Müßiggang aufdecken soll. Was oDesk den Software-Einkäufern an Spionagetools präsentiert, liegt im Vergleich dazu eher am harmlosen Ende. Ob viel Kontrolle auch viel hilft, ist allerdings fraglich: Bei Versuchen in den USA wurde schon vor einigen Jahren nachgewiesen, dass überwachte Arbeitnehmer schlechtere Leistungen erbringen. Die Testpersonen versuchten nur noch, möglichst schnell zu arbeiten und vernachlässigten die Qualität.

Rein rechtlich zumindest spricht nichts dagegen, Spionage-Werkzeuge wie bei oDesk auch in Deutschland einzusetzen. "Solange der Freelancer explizit in die Überwachung einwilligt, wäre sie auch mit deutschem Recht konform", sagt Florian Schmitz, Datenschutzexperte bei der internationalen Kanzlei Clifford Chance, Frankfurt am Main. Schließlich herrsche hierzulande Vertragsfreiheit.

Vorsicht bei Scheinselbständigkeit

Doch es gibt eine Grenze, und die diktiert das Arbeitsrecht: Rückt der Auftraggeber dem Freelancer zu nah auf die Pelle und behandelt ihn wie einen normalen Angestellten, gilt er als Scheinselbständiger. Und das heißt: Für ihn gelten die gleichen strengen Datenschutzregeln wie die restliche Belegschaft - und Big-Brother-Technik einzusetzen wäre verboten.

Erfahrene Dienstleister halten deshalb bewusst Distanz zu ihren Auftraggebern. Sie benutzen nicht das betriebsinterne Zeiterfassungssystem, um sich ein- und auszustempeln, sind nicht an das interne Telefonsystem angeschlossen sein und verwenden keine E-Mail-Adresse, die den Eindruck erwecken könnte, sie könnten zur regulären Belegschaft gehören.

Programmieren zum Discount-Stundensatz

Fazit: Wenn der Little Brother dem Freiberufler über die Schulter guckt, dann ist das normalerweise kein Fall für die Arbeitsgerichte. Das Problem scheint eher finanzieller Natur zu sein: Denn bei aller Entrüstung über die neue E-Sklaverei sollte nicht vergessen werden, dass es sich die meisten deutschen Freiberufler schlichtweg leisten können, Discount-Plattformen wie oDesk eine Abfuhr zu erteilen: Ein Programmierer verdient hier zu Lande im Schnitt 50 bis 75 Euro pro Stunde. Bei oDesk liegen die Stundensätze größtenteils zwischen 13 und 15 Dollar, können aber durchaus bis auf zwei Dollar sinken.

Angesichts dieser Zahlen überrascht es nicht, dass die Nutzer von oDesk vor allem außerhalb der USA sitzen. Indische und russische Programmierer nutzen gern die Gelegenheit, um doppelt- oder dreifach so viel zu verdienen wie ihre Kollegen im Inland; dass sie bei der Arbeit beaufsichtigt werden, ist ihnen größtenteils egal.

Und was passiert, wenn - wie nach dem New-Economy-Crash - die Honorare für Freiberufler wieder in den freien Fall gehen? Schließlich schafften um 2003 herum nicht wenige Programmierer, die heute 75 Euro oder mehr pro Stunde verlangen, für weniger als die Hälfte. "Natürlich sind Notlagen denkbar, in denen man sich auf solche Bedingungen einlassen muss", gibt Programmierer Eichenlaub zu. Dass ihm indische Billigkonkurrenten über Plattformen wie oDesk im großen Stil Aufträge wegnehmen, glaubt der Freelancer nicht. Örtliche und kulturelle Nähe zum Kunden, strukturiertes und analytisches Arbeiten, schnelle Reaktionen und Mitdenken, das hilft, Fehler zu vermeiden - darin seien einheimische Informatiker ungeschlagen. Allenfalls bei der reinen Programmierung sei eine Konkurrenzsituation gegeben, meint Eichenlaub.