Lebenslaufcheck, Mehrfachinterviews, Assessment-Center

Wie Firmen Bewerbern auf den Zahn fühlen

27.08.2004

Als sich Markus Hansmair Ende 2001 nach einem neuen Job umschaute, merkte er schnell, wie sich der Arbeitsmarkt für die einst so begehrten IT-Spezialisten verändert hatte: Die Auswahl an Stellen war schon reduziert, Firmen reagierten zum Teil erst nach Wochen oder Monaten auf Online-Bewerbungen. Umso überraschter war der Diplominformatiker über die prompte Antwort der Consol Software GmbH: Binnen Stunden erhielt Hansmair die erste Bestätigung per Mail, wenige Tage später fand das Vorstellungsgespräch in München statt. Auch das gestaltete sich anders, als er es gewohnt war: Ihm gegenüber saßen zwei Techniker, die in den folgenden zwei Stunden nicht nur die Stationen seines Lebenslaufes genau hinterfragten. Da er sich als Software-Consultant beworben hatte, rückten schnell seine Programmierkenntnisse ins Visier der Gesprächspartner.

Weiterfragen bis zur Wissenslücke

"Wenn jemand in C++ programmiert hat, muss er nicht nur die größten Unterschiede zu Java benennen können, sondern auch wissen, was es mit Multiple Inheritance auf sich hat", nennt Michael Elbel, Leiter IT & Operating bei Consol, ein Beispiel für die Einstiegsfragen in den technischen Interviews. Auch Begriffe wie Extreme Programming, X-Server oder NAS sollten Bewerber ohne Mühe erklären können. Grundlage für die Gespräche ist bei Consol neben dem Lebenslauf ein technisches Profil, in dem jeder Kandidat im Vorfeld seine Kenntnisse in den unterschiedlichen Bereichen auf einer Skala von 1 (= Anfänger) bis hin zu 4 (= Guru) bewertet. Wer dabei übertreibt oder gar flunkert, gerät im Vorstellungsgespräch schnell ins Schwitzen, warnt Elbel: "Wie ein Zahnarzt bohren wir immer tiefer, bis es wehtut und die Grenze des Wissens erreicht wird." Schon so mancher Bewerber für den Bereich "Betrieb und Betreuung" musste etwa bei folgender Frage passen: Wie kann man einen Name-Server, der für eine Zone als nicht autoritativ gekennzeichnet ist, trotzdem über Zonenänderungen benachrichtigen?

Auch Markus Hansmair brachten die Interviewer trotz seiner mehrjährigen Berufserfahrung damals "an das Ende der Fahnenstange": "Davon ließ ich mich aber nicht aus der Ruhe bringen und gab zu, was ich nicht wusste." Eine Offenheit, die bei Consol ankommt, schließlich sucht das mittelständische Software- und Beratungshaus nicht nur technisch versierte Mitarbeiter, wie Peter Hotter, Leiter Support und Projektkoordination, erläutert: "Wir simulieren schon in den Vorstellungsgesprächen eine Stresssituation, wie sie später beim Kunden immer wieder vorkommt: Ein unbekanntes Problem tritt auf, das so schnell wie möglich gelöst werden sollte." Auf diese Weise werden neben dem technischen Wissen auch die sozialen Kompetenzen des Kandidaten abgeklopft. Lässt sich dieser durch die hartnäckigen Fragen der Interviewer einschüchtern und "macht geistig dicht", ist er für das Projektgeschäft beim Kunden kaum geeignet, so die Erfahrung der Consol-Experten.

Insbesondere Zertifikate wie der MCSE (Microsoft Certified Systems Engineer) oder der Certified Java Developer wecken den Ehrgeiz der Interviewer, herauszufinden, welches Wissen tatsächlich hinter der Kandidaten-Fassade steckt. Bislang hat man hier eher schlechte Erfahrungen gemacht, so IT-Leiter Elbel: "Durch Büffeln kann man ein gutes Zertifikat erreichen. Das sagt aber noch nichts über den Erfolg im Berufsleben aus, da sich die Fähigkeit zu Transfer und problemorientiertem Denken nicht in Zertifikaten widerspiegelt."

Gut Qualifizierte sind kompromissbereit

Consol ist kein Einzelfall. Immer mehr Unternehmen feilen an ihren Einstellungsprozessen, um die für sie am besten geeigneten Kandidaten herauszufiltern. Verhinderten in der Boomphase Fachkräftemangel und Projektdruck oft eine sorgfältige Auswahl, können sich die Firmen heute die Zeit dazu nehmen - selbst die gut Qualifizierten sind zu Kompromissen bereit, wenn die Stelle interessant ist.

Assessment-Center waren in der Vergangenheit ein Phänomen von Großunternehmen mit entsprechend hohem Personalbedarf. Inzwischen sind sie in abgespeckter Form auch in mittelständischen Firmen üblich. Die Erlanger 3Soft GmbH zum Beispiel testet die Bewerber in einem vierstündigen Prozess. Dazu gehören kleinere Programmieraufgaben oder für berufserfahrene Kandidaten auch Lösungsvorschläge für aktuelle Probleme, die das auf Embedded-Systeme spezialisierte Software- und Beratungshaus selbst noch nicht behoben hat.

Dass sich der harte Auswahlprozess von 3Soft herumgesprochen hat, mitunter auch manchen Bewerber abschreckt, stört Personalchefin Diederichs nicht: "Wir brauchen Entwickler, die sich von ihrer technischen Begeisterung so schnell nicht abbringen lassen. Schließlich fordern unsere Kunden aus der Automobilindustrie eine hohe Qualität ein." Softwareingenieure, die mit Kunden und auch Zulieferern sprechen können, sind darum besonders begehrt. Neben der Kommunikationsfähigkeit sollten sie deshalb auch die Bereitschaft mitbringen, zu Kundenterminen mit Anzug und Krawatte zu erscheinen.

Bewerber mit Biss gefragt

Beim Nürnberger Systemintegrator 100 World AG ist die Personalauswahl Chefsache. Vorstandsmitglied Valerio Casanova prüft die von der Personalabteilung ausgewählten Bewerbungen persönlich in einem Fünf-Minuten-Check, bevor er seinen Chefentwickler beauftragt, die technischen Kenntnisse des Kandidaten in einem halbstündigen Telefoninterview auszuloten. Die weiteren Vorstellungsgespräche bestreiten dann zwei erfahrene Entwickler und ein Projekt-Manager sowie schließlich ein Vorstandsmitglied. Bis zu fünf Interviews können zusammenkommen; ein hoher Zeitaufwand auch hier, der laut Casanova für beide Seiten Vorteile hat: "Die Bewerber werden zwar genau geprüft, fühlen sich aber ernst genommen und haben hinterher auch ein besseres Gefühl, ob sie zu uns passen. Das gilt natürlich auch für uns."

Bei Entwicklern achtet der Manager eher auf eine fundierte Erfahrung im Bereich Java/J2EE als auf Noten, die bei Bewerbern für den Bereich Consulting und Projekt-Management mehr Gewicht haben. So hat Casanova die Erfahrung gemacht, dass Bewerber mit guten Zensuren disziplinierter, aber gleichzeitig flexibler einsetzbar sind. Sie können seiner Ansicht nach unterschiedlichste Aufgaben übernehmen.

Auch der Hannoveraner IT-Dienstleister IS Energy hat seinen Einstellungsprozess neu strukturiert und im vergangenen Jahr aus 10 000 Bewerbungen 135 neue Mitarbeiter eingestellt. Als Recruiting-Chef gleicht Thomas Schafft zuerst ab, ob sich die Anforderungen der spezifischen Stelle mit den Angaben in Lebenslauf und Anschreiben decken. Arbeitszeugnisse liest er nur bei interessanten Kandidaten, deren Unterlagen er an die Fachabteilungen weiterleitet. "Für Positionen im Vertrieb gehen sehr viele Bewerbungen ein, so dass von 100 Stück nur 20 Prozent an die Fachabteilung weitergeleitet und fünf Prozent zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Suchen wir aber erfahrene Berater für das SAP-Modul ISU (Industrie Solutions Utilities, Energiedaten-Management), sind wir froh über jede Bewerbung, die wir bekommen", erklärt Schafft.

Je nach Stelle erwarten die Bewerber bei IS Energy bis zu drei Vorstellungsrunden vor Vertretern aus Personal- und Fachabteilungen sowie unter Umständen der Geschäftsführung. Hier sollten sie vor allem zeigen, dass sie sich mit dem Unternehmen und der Position bereits auseinander gesetzt haben. "Wenn jemand sagt, dass er unsere Website gelesen hat, sollte es auch so sein", unterstreicht Schafft. Auch die Frage, was man über IS Energy weiß, sollte nicht nur mit dem Stichwort "IT-Dienstleister im Energieumfeld" beantwortet werden. Vor dem ersten Bewerbungsgespräch bekommen die Kandidaten ein bis zwei technische Aufgaben zugeschickt, deren Lösung sie dann präsentieren sollen. Ein Aspirant auf eine Stelle im Support findet in den Gesprächen auch schon mal einen Laptop vor, auf dem er einen Systemfehler beheben muss.

Pluspunkte sammeln die Kandidaten bei IS Energy aber nicht nur mit technischem Wissen, sondern auch mit klugen Fragen. Schafft hat die Erfahrung gemacht, dass viele zu wenig fragen - oft getrieben von der Angst, etwas falsch zu machen: "Es ist besser, sich schon im Vorfeld mit verschiedenen Fragen zu wappnen und diese auch zu stellen. Das zeugt von Interesse." Dabei sollten die Bewerber allerdings auf die Gewichtung achten: "Wer nur etwas über Gehaltserhöhung und Karriereentwicklung wissen will, ist für uns nicht der richtige Kandidat." Auch nach dem Einkommen sollten die Bewerber nicht fragen, diesen Ball spielen die Verantwortlichen von IS Energy zurück. "Im ersten Gespräch nehmen wir eine konkrete Gehaltsvorstellung beziehungsweise das letzte Jahresgehalt des Kandidaten als Anhaltspunkt auf", sagt Schafft.

Hier lesen Sie ...

- warum sich Bewerber auf mehrstufige Auswahlverfahren einstellen müssen;

- wie genau auch mittelständische Unternehmen die Kandidaten und deren technisches Wissen prüfen;

- mit welchen Fragen man im Vorstellungsgespräch punkten kann;

- warum es nicht ausreicht, sich nur über die UnternehmensSite über den potenziellen Arbeitgeber zu informieren.

Womit Jobsucher rechnen müssen

- Lebenslaufcheck: Personaler haken immer genauer nach, besonders bei Lücken;

- Einordnung der eigenen Kenntnisse in ein Wissens- und Erfahrungsprofil;

- Mehrfachinterviews durch Personaler, Vertreter der Fachabteilung und die Geschäftsführung;

- technische Interviews zur Überprüfung der angegebenen IT-Kenntnisse;

- kleinere Programmieraufgaben und Fallbeispiele aus der aktuellen Projektarbeit des Arbeitgebers;

- simulierte Stresssituationen, um die soziale Kompetenz zu testen;

- Fragen nach dem gewünschten Gehalt.