Mobilfunker in der Zwickmühle

Wie erschließt man Enterprise-Kunden die Vorteile von 5G?

28.02.2019
Von 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Bis zur breiten Verfügbarkeit von 5G für den Endkunden sollen Unternehmen aus verschiedenen Branchen bei den Telcos für Umsatz sorgen. Auf dem MWC in Barcelona diskutierten die Mobilfunker eifrig darüber, wie man auf diese Enterprise-Kunden eingeht.

Für 5G sprechen viele technischen Gründe, wie Alex Holt von KPMG ausführt: Die Technologie verspricht im Vergleich zu LTE & Co. deutliche Verbesserungen in Hinblick auf Kapazität, Bandbreite, Zuverlässigkeit, Effizienz sowie Latenzzeit. Allerdings gäben diese Werte allein keine Anhaltspunkte dazu, wo nach dem Rollout Geld verdient werden könne. Dieses werde aber dringend benötigt, um die hohen Anlaufkosten zu decken: Um 5G anbieten zu können, müssten Carrier enorme Investitionen in den Ausbau ihrer Netze und den Erwerb von zusätzlichem Frequenzspektrum tätigen, so Holt. Der Branchenverband GSMA schätzt, dass allein der Rollout von 5G in Europa die Netzbetreiber 500 Milliarden Euro kosten wird.

Mit 5G eröffnen sich zahlreiche neue Möglichkeiten für Unternehmen und Branchen.
Mit 5G eröffnen sich zahlreiche neue Möglichkeiten für Unternehmen und Branchen.
Foto: wk1003mike - shutterstock.com

Holt zufolge sind die Consumer als klassische Zielgruppe der Mobilfunker zwar bereit, für 5G mehr Geld zu bezahlen - jedoch nicht genug, damit die Mobilfunkbetreiber mittelfristig ihre Anlaufkosten decken können. Diese Finanzierungslücke könnten jedoch Enterprise-Kunden schließen, für die 5G dank der genannten Eigenschaften ebenfalls Vorteile biete, so der Leiter des Bereichs Technology, Media & Telecommunications (TMT) von KPMG in Großbritannien.

Zu den Charakteristika klassischer 5G-Use-Cases im Enterprise-Umfeld zählen laut Holt eine von Maschinendaten unterstützte Entscheidungsfindung, neue Geschäftsmodelle durch die enormen Mengen an zusätzlichen Daten von Sensoren, die Visualisierung von Daten sowie die intelligente Automation. Im Produktionsumfeld werde der LTE-Nachfolger etwa als Alternative von - für Industrie-4.0-Szenarien wie Losgröße Eins zu unflexible - Kabelverbindungen oder das störungsanfällige WLAN gesehen. Im Gesundheitswesen eigne sich 5G dank der niedrigen Latenzzeit für Telemedizin oder das Monitoring der Vitalwerten von alten oder chronisch kranken Menschen durch Wearables (Massive IoT).

4,3 Billionen Dollar Umsatzpotenzial im Enterprise-Umfeld

Insgesamt hat KPMG im Enterprise-Umfeld ein weltweites Umsatzpotenzial von 4,3 Billionen Dollar für Netzausrüster und Service Provider über verschiedene Anwendungsbeispiele hinweg identifiziert und nach Branchen aufgeschlüsselt. So rechnet die Beratungsgesellschaft damit, dass der Industriesektor bereits innerhalb eines Jahres nach Verfügbarkeit von 5G beginnt, Produktionsstätten damit auszustatten. Insgesamt, so schätzt KPMG, wird die Branche in den nächsten Jahren mehr als 600 Milliarden Dollar in die neue Mobilfunktechnik investieren.

Nach etwa zweieinhalb Jahren sollen dann auch Technologieunternehmen für eigene Szenarien 5G einsetzen (geschätztes Gesamtpotenzial: 373 Milliarden Dollar), gefolgt von Transportunternehmen (350 Milliarden Dollar), der Unterhaltungsindustrie (120 Milliarden Dollar), Gesundheitswesen (405 Milliarden Dollar) oder Logistik (330 Milliarden Dollar). Fünf Jahre nach Einführung werden dann laut KPMG-Prognose auch Finanzdienstleister und Retailer auf den 5G-Zug aufspringen und jeweils gut 600 Milliarden Dollar in Equipment und Services investieren.

Unternehmenskunden ticken anders

Auch Asa Tamsons, Head of New Technologies & New Businesses beim TK-Ausrüster Ericsson, ist davon überzeugt, dass sich mit 5G komplett neue Möglichkeiten für die Industrie ergeben. Allerdings würden viele Unternehmen 5G noch immer "nur als ein weiteres Netz" sehen. "Es ist aber nicht nur ein weiteres G, sondern hat die gleichen Effekte, die Elektrizität, Silizium und die Dampfmaschine auf frühere Industrierevolutionen hatten", betonte Tamsons. Mit 5G würden sich enorme Möglichkeiten für Unternehmen und Branchen eröffnen, die heute noch weitestgehend brachlägen. So seien beispielsweise fast 90 Prozent der Fabriken noch verkabelt. Der kleine Teil, der heute schon drahtlose Verbindungen nutzt, setze auf WLAN, das zwar Flexibilität biete, aber nicht die Latenz, Kapazität und Sicherheit, die für die Skalierung vieler Anwendungsfälle erforderlich ist.

Dabei sind sich Holt und Tamsons einig, dass der Zugang zu der neuen Enterprise-Kundengruppe eine Umstellung für die Carrier bedeutet. Um Erfolg zu haben, müssten sich die Mobilfunker von der LTE-Denke verabschieden und begreifen, worauf es den Unternehmen bei 5G ankommt, erklärte der KPMG-Mann. Außerdem müssten sie erkennen, dass der Zeitpunkt des Rollouts und des Wertschöpfungsprozesses von Branche zu Branche variiere. Die von Carriern ins Leben gerufenen Enterprise-Geschäftsbereiche sollten entsprechend erkenntnisgetrieben sein und agil ihre Produkte entwickeln und mit den Unternehmen zusammenarbeiten, um gemeinsam Lösungen zu schaffen.

Enterprise-Kunden sehen Vorteile von 5G skeptisch

Glaubt man einer aktuellen Accenture-Studie zum Thema 5G, müssen die Telcos noch ihre Hausaufgaben machen, bevor sie Kontakt zu Enterprise-Kunden aufnehmen. So verspricht sich zwar die Mehrheit der weltweit über 1800 befragten Führungskräfte einen Wettbewerbsvorteil durch 5G-Anwendungen. Ein ähnlich hoher Anteil (53 Prozent) glaubt jedoch, dass es "sehr wenige" Dinge gibt, die 5G ihnen ermöglichen wird, die sie nicht bereits heute mit 4G-Netzen realisieren können.

60 Prozent der Befragten gaben zudem an, dass den Partnern aus dem Telekommunikationsbranche häufig an Wissen über die Herausforderungen des jeweiligen Marktsegments fehle, in dem das Unternehmen tätig ist. Dementsprechend würden auch die Potenziale der 5G-Technologie für das jeweilige Segement nur unzureichend dargestellt. Die Befragten hoben auch die wahrgenommenen Hindernisse für die Einführung von 5G hervor, darunter Vorabinvestitionen (36 Prozent), Sicherheit (32 Prozent) und Mitarbeiterakquisition (29 Prozent).