Rechnergesteuerte Telekommunikationsformen im Fernsprechnetz:

Wie Dornier zum Bildschirmtext kam

12.10.1984

Die Entwicklung neuer Techniken muß nicht immer mit einer gezielten Diversifikation zusammenhängen, sie kann sich auch im Zusammenhang mit Aufgabenstellungen anderer Programme ergeben und erst allmählich zu einer selbständigen Programmkonzeption führen. Ein Beispiel dafür gibt Dr. Werner Muckli, Bereichsleiter Informatik bei der Friedrichshafener Dornier System GmbH.

Im August 1975 wurde vom Bundesminister für Forschung und Technologie ein Auftrag an Dornier System erteilt, in einer Studie die Möglichkeiten zur Realisierung neuer rechnergesteuerter Telekommunikationsformen im bestehenden Fernsprechnetz zu untersuchen.

Diese Studie ging von zwei Ideen aus. Zum ersten Auskunftssysteme, wie etwa eine Fahrplanauskunft, dadurch zu verbessern, daß man einen Dialog mit dem System führen kann, Fahrziel und Abfahrtszeit eingibt und eine gezielte Auskunft bekommt. Zum anderen bestand allgemein der Wunsch, einen Zugang zur Computerleistung für jedermann zu ermöglichen, eine Idee, die in jener Zeit - als Personal Computer oder Homecomputer noch undeutliche Begriffe waren - ungewöhnlich schien.

Als Randbedingungen galten keine Änderungen am bestehenden Fernsprechnetz, keine oder nur sehr einfache Zusatzgeräte beim Teilnehmer sowie einfache Handhabung und damit auch für ungeübte Benutzer geeignet, ohne für geübte Benutzer langweilig zu werden.

Dornier war auf diese Problematik bei der Entwicklung eines bedarfsgesteuerten Nahverkehrssystems, in dem die Fahrzeuge nicht mehr nach einem vorgegebenen Fahrplan, sondern dem tatsächlichen Bedarf entsprechend fahren, gefaßt. Der Fahrgast muß seinen Fahrtwunsch einem Dispositionsrechner mitteilen. Der Rechner ordnet den Fahrauftrag einem geeigneten Fahrzeug zu und gibt dem Fahrer eine entsprechende Anweisung. Dabei sollte die Kommunikation zwischen Fahrgast und Rechner sowie Rechner und Fahrer direkt ohne Zwischenschaltung von Personen erfolgen. Es war natürlich klar, daß die Lösung dieser Aufgabe über das Projekt hinaus von allgemeinen Interesse sein würde.

Im Rahmen der Studie, die den Titel trug "Das Telefon für rechnergesteuerte Informationssysteme" wurden nun die verschiedenen Ein- und Ausgabemöglichkeiten, Dialogformen und Anwendungsbeispiele untersucht.

Für die Dateneingabe boten sich die Wahleinrichtungen des Telefons an, entweder Impulswahl oder Mehrfrequenzton-Verfahren (MFV) - damals stand das elektronisch gesteuerte Wahlsystem EWS noch zur Diskussion. Als Ausgabe standen hauptsächlich Fernsehgerät und synthetische Sprache zur Diskussion.

Erster Anfang von Agentur

Nach wenigen Monaten lief auch bei Dornier das erste Bildschirmtextsystem mit einem handelsüblichen Fernsehgerät, in Verbindung mit einem normalen Telefon. "Auch" muß man sagen, weil die Ingenieure in Friedrichshafen bei ihren Untersuchungen darauf stießen, daß diese Idee, wie so oft, offensichtlich "in der Luft lag", und an anderen Stellen in gleicher Richtung gedacht wurde. Besonders das englische "Viewdata" war eine Nasenlänge voraus und in Frankreich wurde "Antiope" entwickelt.

Das erste Btx-System von Dornier unterschied sich natürlich noch in vielem von dem Btx-Dienst derzeit bei der Bundespost. Es hatte aber schon alle typischen Merkmale, insbesondere die Verbindung zu externen Rechnern und für programmierbare Zeichen ähnlich den heutigen DRCS. Gravierender Nachteil war die langsame Datenübertragung von 300 Bit/s, durch die Ankopplung der modulierten Daten aus dem Zweithöreranschluß des Telefons.

Und noch eine wesentliche Eigenschaft besaß dieses System: Es löste bei Vorführungen die gleichen heftigen Diskussionen aus, wie sie später in breiter Öffentlichkeit als Disput über die neuen Medien stattfand.

Den ersten Auftrag für ein Btx-System erhielt Dornier von einer Nachrichtenagentur. In enger Zusammenarbeit mit den Redakteuren wurde ein Arbeitsplatz entwickelt, der den gewohnten Arbeitsmethoden der Redaktionen entsprach. Der Auftrag selbst wurde später storniert, weil die Aufsichtsgremien der Agentur - die aus dem Presselager kamen - befürchteten, mit diesem Auftrag einer Konkurrenz Starthilfe zu geben.

Parallel zum Btx wurden die Möglichkeiten der Sprachausgabe intensiv weiterverfolgt. Da der Integrationsgrad der Bauelemente noch meist geringer und Speicher noch wesentlich teurer waren, erreichte man mit den damaligen Geräten trotz größeren Aufwandes nur eine mäßige Qualität, die jedoch ausreichte und, wie erste Versuche zeigten, durchaus akzeptiert wurde.

Als erstes komplettes Informationssystem mit Bildschirmtext - 20 Geräte in verschiedenen Reisebüros - und Sprachausgabe wurde 1979 die Fahrplanauskunft "Karlchen" in Betrieb genommen. Sie vermittelt gezielte Auskünfte von Frankfurt zu 300 Zielorten im In- und Ausland. Da die Eingabe über die Wählscheibe des Telefons erfolgt (Impulswahl), ist das System nur im Ortsbereich Frankfurt nutzbar, erfreut sich dort aber großer Beliebtheit. Der Anfang des Dialogs mit synthetischer Sprache kann von jedem Ort unter der Telefonnummer 069/7 54 32 abgehört werden.

Inzwischen sind fast zehn Jahre seit den ersten Überlegungen vergangen. Die Idee hat sich längst verselbständigt. Vorbei ist die Zeit, in der ein kleiner Kreis mit fast missionarischem Eifer über Chancen und Möglichkeiten, Technik und Standards diskutierte. Ob die "von der ersten Stunde" einen historischen Augenblick erlebt haben, ähnlich der Erfindung des Telefons, wird die Zeit zeigen. Als allgemeiner Dienst der Post ist Bildschirmtext seit kurzem eingeführt, die Bewährung allerdings steht noch aus.