Bundestagswahl 2017

Wie digital ist der deutsche Wahlkampf?

Kommentar  18.09.2017
Von 


Ismail ist Regional Vice President bei AppDynamics und lebt in Stuttgart. Er startete seine berufliche Laufbahn bei der Parametric Technology Corporation und arbeitete unter anderem bei Ariba, i2 Technologies und IBM, wo er als Sales Manager für Information Platform & Solutions tätig war. Anschließend führte ihn sein Weg von BladeLogic Deutschland und Crossbeam Systems als Managing Director zu BMC, bevor er 2013 den Posten des Sales Director bei AppDynamics übernahm.

Der Schlüsselfaktor im digitalen Wahlkampf

Der Fall Mélenchon zeigt eindrucksvoll, wie wirkungsstark der Einsatz digitaler Technologien im Wahlkampf sein kann. Der "Hologramm-Auftritt" steigerte nicht nur punktuell seine Reichweite, sondern unterstrich auch die digitale Kompetenz der Linkssozialisten - ganz nach dem Motto "the medium is the message".

Zugleich macht das Beispiel deutlich, worauf es beim Technologie-Einsatz - auch im Wahlkampf - ankommt: Was wäre passiert, hätte ein Hardware- oder Software-Fehler die Aktion scheitern lassen? Während Mélenchon in Lyon auftrat, hätten in Aubervilliers tausende Menschen enttäuscht vor einer leeren Bühne ausgeharrt. Der breit beworbene Internet-Stream hätte ausfallen können, lediglich der eigens für die Aktion ersonnene Hashtag wäre trotzdem getrendet. Mit dem Unterschied, dass er ausschließlich gehässige Kommentare über die Inkompetenz der Linkssozialisten im Umgang mit neuen Technologien zutage gefördert hätte.

Was für die freie Wirtschaft gilt, gilt auch für die Politik: Wenn Apps, Websites oder andere digitale Technologien nicht funktionieren, kann das für Anbieter einen enormen Imageschaden nach sich ziehen. Denn viele Nutzer packt in solchen Momenten der Zorn. Wie eine aktuelle Untersuchung zeigt, sorgen Performance-Probleme bei 56 Prozent der deutschen Verbraucher für Frustration, bei 27 Prozent sogar für Stress oder Wut. Dass die digitalen Angebote einer Partei potenzielle Wähler verärgern, kann selbstverständlich kein Wahlkämpfer wollen. Wer neue Technologien im Wahlkampf einsetzen will, muss die User Experience und Anwendungs-Performance deshalb lückenlos überwachen.

Das gilt auch für die bereits angesprochenen "Klinkenputzer"-Apps. Denn auch die Wahlkämpfer einer Partei erwarten komfortabel zu nutzende Anwendungen, auf die sie sich verlassen können. Das fängt bereits bei den Daten an, auf deren Basis die App vielversprechende Gegenden für den Tür-zu-Tür-Wahlkampf identifiziert. Wenn die Wahlkämpfer feststellen, dass die Einschätzungen der App im Regelfall nicht zutreffen, werden sie deren Nutzung schnell einstellen. Eine wichtige Frage ist auch, wie es um die Integration anderer Services, etwa Social-Media-Plattformen, aussieht. Zu guter Letzt sollten Politiker und Parteien unbedingt auch Metriken wie Ladezeiten oder Fehlerraten im Blick behalten. Apps, die für den Einsatz im Wahlkampf konzipiert sind, müssen letztlich den gleichen Qualitätsmaßstäben genügen, wie kommerzielle Angebote aus der freien Wirtschaft.

E-Voting als Zukunftsmodell?

Die Bestandsaufnahme macht klar, dass digitale Technologien die demokratischen Prozesse mehr und mehr verändern. Die nächste Bundestagswahl, die - aller Voraussicht nach - im Jahr 2021 stattfinden wird, wird wesentlich digitaler sein als noch die aktuelle.

Dabei könnte der Einsatz neuer Technologien nicht nur die Kampagnen der Parteien, sondern auch den Wahlakt selbst revolutionieren. Etwa wie in Estland: Der baltische Staat setzt bereits seit dem Jahr 2005 auf die elektronische Stimmabgabe - das sogenannte E-Voting. Circa 30 Prozent der Wahlberechtigten geben ihre Stimme dort über das Internet ab. Auch in der Schweiz läuft derzeit eine Debatte über die flächendeckende Einführung der elektronischen Stimmabgabe.

In Deutschland hingegen überwiegen in Sachen E-Voting die Bedenken: Einerseits warnen Sicherheitsexperten, dass elektronische Wahlen anfälliger für Manipulationen sind, da vermehrt Angriffspunkte und Fehlerquellen existieren. Das fängt beim möglicherweise virenverseuchten PC des Wählers an. Auch die Datenübertragung und die automatisierte Auswertung der Stimmen könnte ein Einfallstor für kriminelle Hacker darstellen. Andererseits dreht sich aber auch hier alles um Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit: Wenn das E-Voting-System kurz vor Urnenschluss unter dem Ansturm der Spätwähler zusammenbricht, sind Neuwahlen unausweichlich. Ganz zu schweigen vom Vertrauensverlust, den eine aufgrund von technischen Problemen annullierte Wahl nach sich ziehen würde. Auch beim E-Voting wird es deshalb entscheidend sein, die Anwendungs-Performance stets im Blick zu behalten.

Was auch immer die Zukunft bringt - einstweilen werden wir unser Kreuzchen bei der Bundestagwahl noch offline machen. Und auch die Digitalisierung des Wahlkampfs steckt hierzulande noch in den Kinderschuhen. Wenn die Parteien den Wählern glaubhaft vermitteln wollen, dass sie sich mit der digitalen Transformation befassen, sollten sie beim Einsatz entsprechender Technologien in Zukunft mehr Kreativität und Mut zeigen. Schließlich können Parteien und Politiker dabei nur gewinnen - solange die Nutzererfahrung den Erwartungen der Anwender entspricht. (fm)