Aus wenig mach viel

Wie die IT der SOS Kinderdörfer funktioniert

30.03.2014
Von 
Bettina Dobe war bis Dezember 2014 Autorin für cio.de.
Sparsamkeit, Improvisationstalent und langer Atem: Das Leben als CIO einer NGO ist nicht einfach. Doch der Einsatz wird mit mehr belohnt als bloßen Boni.

Wie macht man IT, wenn man kaum Infrastruktur hat, kein geschultes Personal und jeden Cent zweimal umdrehen sollte? Der IT-Chef des Dachverbandes von SOS-Kinderdorf International, Thomas Rubatscher, erzählt von seinem Alltag und den Herausforderungen - und den schönsten Seiten seines Berufs.

Muss sparen können: Thomas Rubatscher, CIO der SOS Kinderdörfer.
Muss sparen können: Thomas Rubatscher, CIO der SOS Kinderdörfer.
Foto: SOS Kinderdörfer

Die IT der Kinderdörfer ist global: Insgesamt koordinieren Rubatscher und sein Team mehr als 1500 Einrichtungen in 133 Ländern, von Lateinamerika bis weit nach Asien, kulturelle Unterschiede inklusive. Die Aufgaben der IT sind vielfältig: Einerseits wird IT-Graswurzelarbeit betrieben. Alle Büros der Verwaltung in den nationalen Vereinen und im internationalen Dachverband und jede Einrichtung - dazu gehören auch Kindergärten, Grundschulen, Krankenhäuser und Berufsausbildungsstätten - brauchen heutzutage eine IT-Ausrüstung. "Wir helfen auch dabei mit, wenn es etwa darum geht, in Uganda ein Büro mit IT auszustatten", erzählt Rubatscher. Das alles muss mit so wenig Mitteln wie möglich geschehen.

Kaum Budget

Das IT-Budget ist bei wohltätigen Organisationen wie SOS-Kinderdorf deutlich niedriger als in "normalen" Firmen: Bei zwei bis maximal zweieinhalb Prozent des Gesamtbudgets liegt es, statt der in der Industrie üblichen vier bis fünf Prozent. "Wir müssen schon sparsamer mit den Geldern umgehen", sagt er. "Das Geld ist immer knapp. Aber man lernt, damit zu leben", sagt der CIO. Manchmal müsse er wegen des geringen Budgets improvisieren: So werden in Asien schon mal Internet-Cafés als Außenstationen für "mobile Datenerfassung" verwendet.

Genügsamkeit gehört zu den Qualitäten eines NGO-CIOs, Abstriche müssen gemacht werden: "Wir verwenden Videokonferenzen intensiv zum Sparen von Reisekosten", sagt er. "Damit schonen wir das Budget und die Umwelt." Auch an der Bild- und Tonqualität werden Abstriche gemacht: Die Einsteiger-Programme seien gut genug. "Wir kommen damit durch", sagt er lachend. Angesichts solcher Hürden, die sich auf jeden Aspekt des Arbeitslebens erstrecken, ziehen sich die Roll-out-Zeiten schon mal hin. Das wird in Kauf genommen: "Die technische Infrastruktur ist in vielen Entwicklungsländern noch so bescheiden, da braucht man viel Geduld", sagt der CIO. "Man lernt auch, sich damit abzufinden."

Für die Sache

Die Sparsamkeit erstreckt sich nicht nur auf die Ausstattung: "Spitzengehälter können wir keine zahlen", sagt Rubatscher. Dennoch gelingt es ihm, Talente anzulocken. "Allein im internationalen Dachverband in Innsbruck habe ich 20 Mitarbeiter. Sie sind alle von unserer Mission getrieben und wollen ihren Beitrag leisten, die Lebensumstände unserer Kinder zu verbessern", sagt er. Seine Mitarbeiter seien motiviert - auch wenn sie eher unterdurchschnittlich bezahlt würden. "Aber wer sich bei uns bewirbt, weiß das." Neben der Motivation, für eine gute Sache zu arbeiten, kann Rubatscher aber noch mit einem anderen Argument punkten: "Wir arbeiten in einem sehr internationalen Umfeld. Bei uns gibt es kaum Firmen in der Nähe, die das bieten können", erklärt er. Dazu gewähre er den Mitarbeitern viel Eigenverantwortung.

So funktioniert IT: Unterricht in Kaolack, Senegal.
So funktioniert IT: Unterricht in Kaolack, Senegal.
Foto: SOS Archives

Geringere Lizenzgebühren

Gespart wird nicht nur in der Ausrüstung und bei den Gehältern: Als Nichtregierungsorganisation (NGO) haben die SOS Kinderdörfer zudem den Bonus, dass große Unternehmen ihnen schon mal unter die Arme greifen. Häufig gebe es gute Rabatte auf Lizenzgebühren, erzählt Rubatscher. "Viele Firmen unterstützen uns mit Software, Know-How und Beratung zu reduzierten Stundensätzen. Das ist ein großer Vorteil", meint er. Günstigere Konditionen bestimmen auch den Anbieter: "Microsoft ist zum Beispiel eine Firma, die wohltätige Organisationen großzügig unterstützt, aber auch Firmen wie British Telecom oder Siemens haben schon viel für unsere IT getan", sagt der CIO. Schon schmerzt das kleine Budget nicht mehr so stark.

Wissen auslagern

Als wichtigsten Beitrag des Sparens sieht Rubatscher eine ganz starke Standardisierung und Integration der Systeme - weltweit. "Das ist aus der Sicht der Landesvereine nicht immer populär, aber es hilft, die IT Budgets im Rahmen des Möglichen zu halten. Einheitliche, durchgängige Systeme sind einfach billiger zu betreiben und insgesamt einfacher handzuhaben", erklärt der CIO.

Das Ziel, so wenig Kosten wie möglich zu verursachen, erreicht Rubatscher auch mit Kreativität. Kurzerhand verlagerte er IT-Wissen in die Fachbereiche. "Wir bilden in den Fachbereichen so genannte Business Analysts aus", führt er aus. Vor zwei Jahren hat er das Programm gestartet: "Projektmanager werden von uns geschult, welche Form Requirements haben müssen." So können die Business Analysts besser mit der IT kommunizieren. "Sie liefern uns die Requirements genauso, wie wir sie brauchen. Dadurch läuft die Kooperation zwischen den Fachabteilungen und der IT sehr gut." Zwar braucht man dafür einen langen Atem: Bis alle Fachbereiche einen Kommunikator haben, dauert es. Aber die Zusammenarbeit funktioniere gut.

Weniger Konkurrenz

Ein weiteres Erfolgsgeheimnis beim Kostensparen ist der intensive Austausch mit anderen NGOs - sie stehen bezüglich IT kaum in Konkurrenz zueinander und ziehen auch sonst oft am gleichen Strang. "Wir haben vor fünf Jahren angefangen, mit anderen Nichtregierungsorganisationen zu kooperieren", sagt Rubatscher. Nun arbeiten die SOS Kinderdörfer über das IT-Konsortium Nethope mit anderen NGOs, Unternehmen und IT-Herstellern zusammen. "Der Wissensaustausch ist sehr wichtig", sagt er. "Zum Beispiel tauschen wir uns in bestimmten Ländern über Erfahrungen mit Internet-Providern aus. In einigen afrikanischen Ländern ist es gar nicht so einfach, einen kostengünstigen Internet-Anschluss zu bekommen." Inzwischen schafften mehrere NGOs auch zusammen Geräte an - die Skaleneffekte wollen auch sie sich zunutze machen, und so bilde man schlicht Einkaufsgemeinschaften, erzählt der CIO. Doch mit den Alltagsproblemen ist Rubatscher allein.

Keine Infrastruktur

Die technischen Herausforderungen im Alltag seien gelegentlich ganz andere als im Durchschnittskonzern, sagt er. SOS-Kinderdorf arbeitet oft in unterentwickelten Gegenden, weil es dort die meisten bedürftigen Kinder gibt. "Es gibt dort oft einfach keinen Vor-Ort-Support. Daran können Projekte scheitern." So gebe es in manchen der 133 Länder mit SOS Kinderdorf-Einrichtungen manchmal nur einen Mitarbeiter mit IT-Hintergrund.

Als CIO steht er vor der schwierigen Kombination: eine begrenzte Anzahl von Mitarbeitern, kaum Budget und wenig IT-Erfahrung vor Ort. "Hier hat uns das Internet geholfen", erzählt Rubatscher. Viele der Anwendungen laufen seit Jahren als Private Cloud Solutions, vollkommen zentral administriert. Das entlastet die lokalen Mitarbeiter von jeglicher technischen Wartung. "Es müssen nur der PC und der Internet-Anschluss funktionieren, den Rest erledigen wir im Dachverband."

Interkulturelle Herausforderungen

Neuerungen kann Rubatscher den Landesvereinen allerdings nicht diktieren. "Bei Neuerungen muss ich oft darüber nachdenken, wie ich das politisch verkaufe", sagt er. "Das ist das tägliche Geschäft: auf Leute einwirken, sie von Lösungen überzeugen, selbst wenn es mal eine billigere Lösung in einem Land gebe als das, was wir anbieten." Diplomatisches Geschick braucht der NGO-CIO also ebenso wie ein IT-Leiter eines Großkonzerns.

Mit den 110 Länderbüros in den Schwellenländern kann Rubatscher allerdings nicht direkt zusammenarbeiten, die Schnittstelle bilden regionale IT-Büros. "Wir setzen auf lokales Know-How", sagt er. Das verringere auch die interkulturelle Problematik: "Mit den Regionalleitern kommunizieren wir sehr gut. Sie vermitteln die Lösungen dann an die einzelnen Länder weiter und lassen uns im Gegenzug deren Bedürfnisse wissen", sagt er. Die anfänglichen interkulturellen Probleme hätten sie ausgeräumt. "Aber das kommt nicht von allein - wir haben dafür interkulturelle Trainings gemacht."

Den Kindern helfen

Neben all den Systemen für Verwaltung, Kommunikation, Mittelbeschaffung und Programmunterstützung sei die Arbeit für die Kinder am interessantesten, sagt Rubatscher. "Wir überlegen uns, wie wir mit der IT den Kindern direkt helfen können. Der neue Ansatz funktioniert zum Beispiel über E-Learning." In armen Ländern sind die Kinder oft benachteiligt, was die modernen Technologien angeht, erklärt der CIO. "Hier wollen wir ausgleichend helfen."

Die IT kommt direkt beim Kind an: SOS Kinderdorf Lumbini, Nepal.
Die IT kommt direkt beim Kind an: SOS Kinderdorf Lumbini, Nepal.
Foto: SOS Archives

Daher gibt es IT-Unterricht an den Schulen der SOS Kinderdörfer: Wie funktioniert ein PC, wo kann man im Internet Preise vergleichen und wie funktioniert die Struktur? Dafür holt sich die NGO auch Partner aus der Wirtschaft. So gibt es zum Beispiel in Brasilien eine Kooperation mit Cisco Systems, in der Jugendliche zu Netzwerkadministratoren ausgebildet werden, erzählt der CIO. Ohne IT-Kenntnisse, egal wie basic sie sind, haben die Kinder einen schlechten Start ins Leben.

Obwohl es anders klingt: Den Unterschied zwischen den SOS Kinderdörfern und anderen hält Rubatscher für nicht sonderlich groß. Unternehmen hätten vielleicht größere IT Budgets, aber sie unterliegen dem gleichen Druck auf IT-Kosten. "Allerdings muss ihre IT vermutlich schneller auf den Markt reagieren als wir, NGOs hingegen kämpfen mit größeren Problemen bezüglich Infrastruktur und IT-Arbeitskräften in Entwicklunsgländern", vergleicht Rubatscher die Situation.

Die IT-Sicherheit ist wie in anderen Unternehmen ebenfalls ein wichtiger Aspekt. "Bei uns gibt es viele Informationen zu den Kindern, den Spendern und deren Kreditkartendaten. Deshalb müssen wir uns auch sehr stark auf die Sicherheit konzentrieren", sagt er. Regelmäßig lasse er das System von Externen auf Sicherheitslücken überprüfen. Und genau wie in der freien Wirtschaft greifen bei größeren Projekten die Kinderdörfer auf externes Know-How zurück. "Wir holen uns Berater ins Haus. Sie weisen uns auf Lösungsmöglichkeiten hin und wir realisieren es dann", sagt er.

Begeisterung für die IT

Klingt also nach normalem Business? Nicht ganz. Eines, das unterscheidet ihn jedoch von den Unternehmen: "Der moralische Druck ist höher. Bei uns zahlen letzten Endes die Kinder drauf, wenn wir zu viel Geld ausgeben oder größere Fehler passieren", sagt er. Seine Fehler können Kindern Mahlzeiten kosten und nicht nur den Ärger von Großinvestoren. "Deswegen achte ich so sehr darauf, dass die IT so schlank und so günstig wie möglich ist."

Trotz aller Widrigkeiten: Das schönste an seinem Job sei die Begeisterung für die IT - in den Dörfern. In Kaolack im Senegal habe er sich mit dem Dorfleiter unterhalten, erzählt der CIO. "Er hat mir seine Ideen vermittelt, was die IT alles für die Kinder tun kann", erzählt Rubatscher. In einer Aids-Klinik in Nairobi seien Ärzte auf ihn zugekommen und hätten ihn um bestimmte IT-Lösungen gebeten, die ihren Arbeitsalltag erleichtern würden. "Die Bereitschaft, technische Lösungen anzunehmen, weil sie ihr Leben verbessern, ist sehr groß", erzählt Rubatscher. Der Lerneffekt ist umgekehrt: Normalerweise gehen Berater in Einrichtungen und erklären, wie man es besser machen kann. Hier kämen Berater mit Vorschlägen von den Dorfbewohnern selbst zurück. "Das sind die Momente, die mir am besten gefallen", sagt er.

Und er erzählt von Carlos, dem Jungen aus dem Kinderdorf in Brasilien. Carlos machte eine Ausbildung im IT-Bereich, ist heute erfolgreicher IT-Trainer - und kam zurück ins Kinderdorf, um seinerseits den Jugendlichen Technikkenntnisse zu vermitteln. Eine berührende Geschichte, sagt Rubatscher: "Das schönste ist, wenn man merkt, dass die IT direkt beim Kind ankommt. Das motiviert am meisten."