Mobilfunk/Das Mobiltelefon mutiert zur multimedialen Drehscheibe

Wie die Bilder laufen lernen

06.04.2001
"Film ab" wird es bald auf den Handys der nächsten Mobilfunkgeneration UMTS heißen. Eine echte Herausforderung für die Anbieter, die ihre Endgeräte in Funktion, Design und Ergonomie auf die multimediale Mobilfunkzukunft trimmen müssen. Von Alexander Deindl*

Die Prognosen mancher Marktforscher sind berauschend: Bis zum Jahr 2010 sollen deutschlandweit rund 100 Millionen Kunden über ein Handy verfügen. Zu einem beeindruckenden Ergebnis kommen auch die Analysten von EMC in ihrer aktuellen Studie "World Cellular Database": Den Briten zufolge kommunizieren in drei Jahren weltweit bereits rund eine Milliarde Menschen mobil. Heute sind es in Deutschland knapp 50 Millionen und international rund 500 Millionen Menschen. Über kurz oder lang werden Mobiltelefone, darüber herrscht unter den Experten Konsens, die heute noch dominierenden Festnetzgeräte fast gänzlich vom Markt fegen. Weltweit permanent telefonisch erreichbar, Internet-Zugang, E-Mail-Empfang und -Versand, E-Banking, Bild- und Audioübertragungen, E-Shopping, Fernseh- und Rundfunknutzung, Übertragung von Videofilmen und die Steuerung der Wohnungstemperatur per Handy, all dies unter ein und derselben Telefonnummer - für Branchenkenner ist das keine Science-Fiction.

Hohe Funktionalität im JackentaschenformatDen technologischen Dreh- und Angelpunkt für dieses Zukunftsszenario bildet das Universal Mobile Telecommunications System (UMTS), das den in Europa derzeit verwendeten Standard Global System für Mobile Communication (GSM) ablösen wird. Denn während sich die derzeit erhältlichen GSM-Geräte der zweiten Mobilfunkgeneration mit einer dürftigen Datenübertragungsrate von 9,6 Kbit/s in der Praxis lediglich für das das Telefonieren und den Versand beziehungsweise den Empfang von SMS-Nachrichten eignen, ermöglicht UMTS theoretisch Transferraten von bis zu 2 Mbit pro Sekunde. Wäre diese Geschwindigkeit voll auszuschöpfen, könnten sogar komplexe Multimedia-Anwendungen oder Videofilme in hoher Qualität über den Äther geschickt werden.

Hinsichtlich des hohen Anspruchs der Kunden an die Darstellung multimedialer Inhalte verwundert es kaum, dass Hersteller von Mobiltelefonen mit großem Elan an der Entwicklung neuartiger und futuristisch aussehender Geräte tüfteln. Komplexe Mobiltelefone mit PC- oder zumindest Organizer-Funktionen, leistungsfähigen Akkus und Displays, die trotz eines noch vor wenigen Jahren unvorstellbaren Funktionsumfangs in eine Jackentasche passen, sind gefragt - detaillierte Fragen zu technologischen Einzelheiten künftiger Geräte hingegen nicht unbedingt. Ob Alcatel, Ericsson, Motorola, Nokia oder Siemens: Die Endgerätehersteller hüten die Bestandteile der künftigen Telefone wie die Automobilbranche brisante Details über ihre Erlkönige.

Dennoch lassen manche Rückschlüsse und Bilder von Prototypen erahnen, wohin die UMTS-Reise geht. Das Engagement in der Entwicklung führt bei sämtlichen Herstellern zu einer Mischung aus heutigen Mobiltelefonen und Organizern beziehungsweise Personal Digital Assistants (PDAs). Damit lassen sich auch umfangreichere Anwendungen, etwa für mobile Banking, Video-Conferencing oder Surfen im Internet, realisieren. Klar ist auch, dass die ersten Endgeräte der dritten Generation entweder im Dualmode- oder im Multiple-Band-Betrieb sowie in abgelegenen Gebieten mit Satellitenfunk funktionieren müssen und aufgrund ihrer Komplexität etwa 1 GB Daten speichern können.

Forschung an hochauflösenden Displays"UMTS gehört die Zukunft", gibt sich denn auch Siemens-Sprecher Kurt Wagenlehner zu aktuellen Entwicklungen des Münchner Konzerns relativ wortkarg. Nicht weniger als 800 Millionen Euro will der deutsche Konzern eigenen Angaben zufolge bis 2004 jährlich in Forschung und Entwicklung von Netztechnologie sowie Endgeräten für UMTS investieren. Ins gleiche Horn stößt Lothar Pauly, Mitglied des Bereichsvorstands von Siemens Information and Communication Mobile: "Derzeit arbeiten nicht weniger als 4000 Ingenieure und Entwickler bei Siemens an UMTS-Produkten. Unser Ziel ist es, einen weltweiten Marktanteil von 15 Prozent zu erreichen", unterstreicht der Manager die hohen Erwartungen von Siemens in den UMTS-Massenmarkt.

Erste Prototypen der Mobiltelefone hat das Unternehmen kürzlich vorgestellt. Für die Erstellung von Nachrichten und E-Mails via Telefon dienen eine alphabetische Tastatur oder eine Schrift- beziehungsweise Spracherkennung sowie ein hochauflösender "Bildschirm". Hinzu kommen ein leistungsfähiger Grafikchip, der die Übertragung qualitativ hochwertiger Videos gewährleisten soll sowie eine für Otto-Normalverbraucher erschwingliche, integrierte Videokamera. Als "Lieferant" für die benötigte Rechenleistung hat sich Siemens für den US-Chipgiganten Intel entschieden, der mit einem speziell für Mobilfunkgeräte und Mini-Devices ausgerichteten Strong-Arm-2-Prozessor mit 1200 Mips und einer Taktrate im Gigahertz-Bereich für die entsprechende Geschwindigkeit sorgt.

Showdown der Handy-GigantenMit dem Prototyp von "Internet on the Air" legte der Münchner Hersteller dem Fachpublikum seine Zukunftsvision der durchgängigen Multimedia-Kommunikation für mobile drahtlose Geräte in heterogenen Netzen dar: Mittels IP-Transport und Routing-Funktionen sowie nahtlosem Roaming und Handover sollen Benutzer auf das Internet zugreifen und ohne jede Einschränkung die Vorzüge der Mobiliät nutzen können, heißt es beim Elektronikkonzern. Gleichzeitig demonstrierte der Hersteller, wie sich verschiedene Geräte und Funktionen im Haushalt durch den General Packet Radio Service (GPRS) - einer Vorstufe von UMTS - mit einem Mobiltelefon über das Internet fernsteuern lassen. Der Anwender gelangt dabei mit seinem GPRS-Endgerät über das Internet zum zentralen "Schaltpult" seiner Wohnung und kann so wie von Geisterhand verschiedene Einstellungen, wie etwa bei Beleuchtung oder Temperatur, an Fenstern oder Alarmanlage vornehmen.

Mit Pay@once, einer Gemeinschaftsentwicklung von Brokat und Siemens, entwickelt der Anbieter unterdessen eine entsprechende Softwarelösung für das mobile Business beziehungsweise den Electronic Commerce. Sie soll in naher Zukunft das gesamte Anforderungsspektrum an das sichere Bezahlen über das Handy abdecken, heißt es bei Siemens. Die Lösung bietet darüber hinaus Schnittstellen zu bestehenden Anwendungen und Prozessen der Finanzdienstleistungsbranche.

Mobile Videokonferenzen geplantIn die gleiche Richtung gehen derzeit Forschungsanstrengungen der Siemens-Konkurrenten Nokia, Motorola, Alcatel und Ericsson. Schnelle Datenübertragung, mobiler Internet-Zugriff und Intranet-basierende Anwendungen - auf diese Schwerpunkte konzentriert sich beispielsweise der finnische Handy-Primus Nokia. Konkret arbeitet der Konzern an neuartigen Geräten für den professionellen Einsatz, womit zum Beispiel mobile Videokonferenzen zwischen mehreren Benutzern abgehalten werden können, aber auch die gleichzeitige Nutzung von Daten und Bildern durch mehrere Anwender möglich sein soll.

Privatanwendern wiederum liefert das UMTS-Gerät der Zukunft, so Nokias Vorstellungen, auf Wunsch Informationen zu Filmen in den Kinos der näheren Umgebung - selbst Filmausschnitte lassen sich auf dem mobilen Begleiter betrachten.

Hersteller unterstützen Videostandard MPEGNina Lenders, Pressereferentin bei der Düsseldorfer Nokia Mobilephones GmbH, konkretisiert: "Die Bildinformation wird eine Schlüsselrolle bei den Geräten der nächsten Generation einnehmen. Hier zeigt sich eine Entwicklung von Grafiken über Bildmitteilungen bis hin zu Videoclips, Videokonferenzschaltungen und schließlich mobile Multimedia-Anwendungen." Bereits heute, so Lenders, ließen sich mit dem "Nokia 9210 Communicator" Videosequenzen ansehen, die als E-Mail-Attachments empfangen oder aus dem Internet heruntergeladen werden können. Ebenso sei es möglich, Bilder von einer Digitalkamera per Infrarot auf das Gerät zu übertragen. Auch die Leistungsfähigkeit des Akkus werde angepasst.

Um Bild- beziehungsweise Filmsequenzen zu unterstützen, setzt der Hersteller auf ein aktives LCD-Display mit einer Auflösung von 640 x 200 Bildpunkten bei 4096 Farben. Damit können laut Nokia neben den Office-Anwendungen wie etwa Word, Excel und Powerpoint auch Bilder, Internet-Inhalte und Videosequenzen in Hochauflösung angeschaut werden.

Für die Übertragung von Bewegtbildern haben sich nahezu alle Hersteller auf den Videostandard der Motion Picture Experts Group (MPEG) entschieden. Konkret ist die Unterstützung der bis dato noch immer nicht standardisierten Version 4 von MPEG geplant, um den Bildern das Laufen zu lernen. Anders als bei PC-Monitoren, die aufgrund ihrer Größe von 17 und mehr Zoll Videobilder oft unscharf und unflüssig liefern, kommt das kleine Display bei Handys den Herstellern gelegen. Selbst bei einer Videoauflösung von 240 x 180 Punkten sind Bewegtbilder in einer akzeptablen Qualität erreichbar. Branchenkenner halten es für realistisch, dass sich damit MPEG4-Videos mit 128 bis 256 Kbit/s bei 25 Bildern pro Sekunde übertragen lassen.

Eine entscheidende Rolle in der UMTS-Strategie des finnischen Konzerns spielt die Technologie Bluetooth. Die von IBM, Intel, Ericsson, Toshiba und Nokia entwickelte Funktechnik wird eine drahlose Datenverbindung zwischen allen IT- und Kommunikationsgeräten wie PCs, Mobiltelefonen, PDAs und digitalen Kameras ermöglichen. Unter der Bezeichnung Symbian entwickeln Nokia, Ericsson und Psion zudem ein Betriebssystem für tragbare Geräte wie den Communicator oder Smartphones.

Motorola wiederum hat mit dem rund 1700 Mark teuren "Accompli 008" ein erstes "greifbares" Gerät der mobilen Kommunikationstechnik vorgestellt: Das Dualband-Handy bietet dem Nutzer einen vergleichsweise großen Touchscreen, Organizerfunktionen sowie GPRS-Technologie und unterstützt die Java-2-Micro-Edition (J2ME) für neueste Anwendungen und Spiele. Das Gehäuse bietet Platz für ein 40 x 53 Millimeter großes High-Quality-Display. Grafische Bedieneroberfläche und Menüs aktiviert und steuert der Nutzer mit einem PDA-ähnlichen Stylus, der bei Nichtgebrauch im Gehäuse versteckt werden kann. Eine Handschriftenerkennung soll Anwendern die Dateneingabe und Kommunikation erleichtern. Das Accompli 008 ist, so Motorola, ab Mitte 2001 in Deutschland verfügbar.

Zur CeBIT 2001 kündigte Motorola außerdem ein komplettes Portfolio von GPRS-Endgeräten an. Neben dem bereits lieferbaren GPRS-Gerät "Timeport 260" stellte das Unternehmen in Hannover fünf weitere GPRS-Mobiltelefone vor. Motorola unterstützt dabei verschiedene Inhalte und Applikationen: Integration von Spielen, personalisierte Anwendungen und Applikationen im Bereich Textnachrichten (SMS). Im Rahmen der Kooperationsverträge mit der Tochterfirma Metrowerks erhält Motorola die Exklusivrechte an Spielen, die für den Hersteller einen wichtigen Bestandteil künftiger Mobiltelefone darstellen. Motorola wird in Zusammenarbeit mit Metrowerks eine integrierte Plattform "Codewarrior" anbieten, welche die Spieleentwicklung und -verbreitung über die Motorola-Spieleplattform unterstützt. Diese Java-Plattform verarbeitet sowohl SMS und WAP als auch J2ME-Entertainment-Applikationen. Sie ist optimiert für das mobile Umfeld und unterstützt ausgereifte Abrechnungssysteme, Location Based Services und Netzwerkoptimierung, insbesondere für GPRS.

UMTS-Endgerätesimulator von EricssonAuch bei Ericsson herrscht Hochbetrieb in der Entwicklung. Der schwedische Anbieter hat mittlerweile ein erstes UMTS-Demogerät im Produktportfolio: Mit "Emil" präsentiert Ericsson einen UMTS-Endgerätesimulator, der mögliche UMTS-Anwendungen live simuliert. Das Gerät besitzt die Größe und Form eines konventionellen Business-Handys, verfügt aber als wichtigste Eigenschaft über ein hochauflösendes Touchscreen-Farbdisplay. Schon heute demonstriert Emil Multimedia Messaging (SMS, E-Mail mit Dateianhängen, Fax) und Chat-Funktionen. Das Mobiltelefon der nächsten Generation verfügt über einen Zugriff auf eine umfangreiche Video- und Bilddatenbank, Spiele sowie einen interaktiven Stadtplan, über den Anwender ortsabhängig Shopping-Angebote nutzen können. Auch Emil besitzt Bluetooth-Funktionalität, indem das Gerät während der Demonstration mit bis zu 768 Kbit/s auf Anwendungen zugreift, die auf einem Notebook mit optionalem Internet-Zugang vorgehalten werden. Eine Serienfertigung des Geräts ist allerdings nicht geplant.

Konkurrenz aus der Handheld-EckeUngemach droht den traditionellen Mobilfunkherstellern jedoch auch aus einem Marktsegment, das man bisher nicht als Konkurrenten zu befürchten hatte - den Handheld-Herstellern. Der PDA-Spezialist Palm etwa offeriert bereits seit Juni 1999 in den USA einen Palm VII mit integriertem Mobilfunkempfangsteil. Bislang unterstützt das Gerät allerdings nur rund 50 proprietäre, meist kostenpflichtige Internet-Seiten. Psion andererseits drängt mit dem Betriebssystem EPOC32 auf den UMTS-Markt und hat dazu mit Ericsson und Nokia ein Joint Venture geschlossen, das unter dem Namen Symbian am Markt auftritt. Gleichzeitig suchen japanische Konzerne ihre Chance auf dem europäischen Markt: "Europaweit werden die japanischen Hersteler schon in diesem Jahr reine UMTS-Geräte anbieten. Bis 2003 dürften dann auch UMTS/GSM-Dualband-Geräte für Europa marktreif sein", prophezeit Falk Müller-Veerse, Marktforscher bei Durlacher Research.

Ebenso wie aktuelle GSM-Geräte oder Terminplaner werden UMTS-Multitalente künftig aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sein. Fachleute rechnen damit, dass in etwa 15 Jahren jeder Erwachsene ein Palmtop-großes Gerät für die mobile Telefonie, Terminplanung oder Informationsgewinnung nutzen wird. Das Gerät ist dabei, so die Vision von Branchenkennern, permanent im UMTS-Netz eingeloggt und empfängt laufend Telefonate oder eingehende Mails unter einer Telefonnummer oder IP-Adresse.

*Alexander Deindl ist freier Journalist in München

Abb: Mobilfunkteilnehmer der dritten Generation - Prognose

Als UMTS-Pionier nimmt Japan im Vergleich zu Europa und Amerika eine starke Mittelposition ein. Quelle: Forward Concepts