Wie die Allianz AG alte und neue Welt vereint

26.01.2012
In einer Studie des Beratungsunternehmens BearingPoint (siehe Kasten "Die Studie in aller Kürze") wird die Allianz AG als besonders Social-Media-affin herausgehoben. Ein Grund, nachzufragen, was der Versicherungs-Riese eigentlich so treibt.

Von einer Facebook-Präsenz versprechen sich viele Unternehmen den Zugang zu neuen potenziellen Kunden - vor allem in der Gruppe der jungen Erwachsenen. Das gilt nicht nur für die Anbieter von Konsumgütern. Auch ein Finanzdienstleister wie die Allianz macht da keine Ausnahme. Aber Thomas Lukowsky, Direktor Markt-Management beim Münchner Versicherungskonzern, will das Facebook-Engagement seines Arbeitgebers nicht darauf beschränken: "Facebook nur als cool und jung zu sehen wäre sicher zu kurz gesprungen. Es ist vielmehr eine zusätzliche Interaktionsplattform."

Zusätzlich! Dieses Adjektiv beschreibt die Art und Weise, wie sich das Unternehmen dem Phänomen der sozialen Medien nähert. Mit "MeineAllianz" bietet der Versicherer seinen 20 Millionen Bestandskunden längst einen "virtuellen Versicherungsordner", also eine personalisierte und passwortgeschütze Website, über die sie ihre jeweiligen Verträge im Blick haben und die relevanten Informationen verwalten beziehungsweise verändern können.

"Diese Seite werden wir jetzt noch mit unserem Bankportal zusammenschalten", ergänzt Andreas Nolte, CIO der Allianz Deutschland. "So hat der Kunde sowohl die Versicherungs- als auch die Banksicht."

Neben diesen beinahe schon konventionellen Kundenbindungsaktivitäten ist die Allianz seit etwa anderthalb Jahren auch im Web 2.0 unterwegs. Wie Nolte berichtet, hat das Unternehmen im August 2010 eine Facebook-Dachseite aufgesetzt, die es für Kampagnen und Sponsoring nutzt.

Das Ropo-Phänomen

Wer die Seite öffnet, dem springt gleich das knallrote Dach der Münchner Fußballarena ins Auge. Es verdeutlicht, dass Online-Marketing nichts mehr mit dem dumpfen Einhämmern von Werbebotschaften zu tun hat. Stattdessen bietet die Allianz den Nutzern ein Thema an, dass viele von ihnen interessiert: Bundesliga-Fußball der Spitzenklasse. "Nur weil Facebook da ist, machen irrelevante und schlecht dargestellte Informationen nicht automatisch die Runde", so Lukowsky. Facebook sei wohl kaum das richtige Medium, um das Kleingedruckte eines Vertragswerks zu kommentieren. "Die Kunst" sei es vielmehr, "eine produktive Kommunikation mit dem Kunden hinzubekommen". Und dazu zähle auch ein Format wie "Frag den Star", wo beispielsweise der FC-Bayern-Angreifer Mario Gomez erzählt, was er so zu Hause macht.

Das nimmt sich wie Spielerei aus, hat aber geschäftliche Auswirkungen. "Das Konsumentenverhalten hat sich verändert", erläutert Lokowsky: "Bevor ein Kunde mit einem Vertreter redet, will er sich erst einmal im Internet informieren." Das bestätige auch eine Studie, die die Allianz schon 2010 mit Google unternommen habe: "Im Fachjargon nennen wir das Ropo: Research online - purchase offline", so der Markt-Manager. Um neue Kunden zu bekommen, müsse man also zum einen im Netz auffindbar sein und zum anderen auch die richtigen Inhalte anbieten.

Offenbar hat der Versicherungskonzern diese erste Hürde genommen. Die Allianz-Deutschland-Seite auf Facebook hat fast 25.000 Fans, "obwohl", so Lukowsky, "wir auf Verlosungen und ähnlich billige Tricks verzichten".

Erst wenn der Kunde angebissen hat, geht es zum eigentlichen Business. Und ab hier übernehmen die regionalen Vertreter. Die Facebook-Dachseite leitet die Besucher über Links auf die jeweiligen Agenturseiten um (zu finden über die Link-Sammlung "Allianz vor Ort").

Lokaler Bezug bleibt erhalten

Die Vertreter konfigurieren ihre eigenen Seiten - wenn auch mit Hilfe von Templates, die die Allianz ihnen zur Verfügung stellt. Dazu Lukowsky: "Vertreter ist eben nicht gleich Vertreter. Der eine ist sehr stark im geschäftlichen Kontext unterwegs, der andere bei bestimmten Zielgruppen, der dritte hat eine Landagentur etc." Die Inhalte der Facebook-Seiten müssten auf die jeweilige Agentur zugeschnitten sein. Das Template erlaube dem Vertreter, mit ein wenig Anpassungsarbeit und der Integration seiner Daten einen eigenen Facebook-Auftritt zu lancieren, um in seiner dezentralen Community aktiv zu sein.

Laut Lukowsky ist es wichtig, dass der lokale Bezug nicht verloren geht: "Der Erfolg des Modells besteht ja darin, dass der Vertreter in seinem begrenzten Umfeld als der Mann von der Allianz bekannt ist - eine geschätzte und vertrauenswürdige Person, die man beim Kirchgang, im Skatverein und Tennisclub trifft und die deshalb erster Ansprechpartner in Sachen Versicherung ist."

Gerade in den Dörfern wandere mittlerweile ein Großteil der Kommunikation ins Netz, weiß der Markt-Manager: "Der Kirchenchor hat kein Schwarzes Brett mehr, sondern eine Website. Auch der Ausflug des Kindergartens wird im Internet angekündigt." Die Facebook-Seiten der Agenturen seien insofern "die Übertragung des traditionellen Erfolgsmodells der Allianz-Vertreter in die digitale Welt".

Im vergangenen Jahr ist der Versicherungskonzern mit 50 Agenturen in den Pilotversuch eingestiegen. Wie Lukowsky beteuert, machte er dabei "extrem gute Erfahrungen - sowohl auf der Vertreter- als auch auf der Kundenseite. Im Laufe dieses Jahres werde das Template ausgerollt. Etwa 300 Agenturen hätten bereits Interesse angemeldet. "Wir zwingen keinen Vertreter, auf Facebook aktiv zu sein", beteuert Lukowsky, "man muss das wollen, und es muss einem liegen, sonst geht der Schuss nach hinten los."

Am Ende werden es die ohnehin schon Internet-aktiven Vertreter sein, die mitmachen, vermutet der Marketier. Immerhin seien das "mindestens ein Drittel der 10.000 Vertreter, die wir allein in Deutschland haben".

Die überwiegende Anzahl der Vertreter hat also längst eine eigene Website. Ihnen will die Allianz demnächst neue, konfigurierbare Homepages anbieten - unterschieden nach Typ, geografischer Lage, Sprache etc. "Mit diesem Konfigurator kann der Vertreter aus einem Toolkit seine Homepage zusammenbauen und bei seinen Partnern im regionalen Bereich Banner platzieren, die über einen Link auf seine Seite führen", erläutert CIO Nolte.

Startklar für Google+

Im Übrigen will sich die Allianz nicht an Facebook binden. "Wir stehen für Google+ in den Startlöchern", sagt Lukowsky: "Die Domains sind gesichert, und sobald da etwas passiert, legen wir los." Twitter werde von der Unternehmenskommunikation genutzt, allerdings nicht zur Kommunikation mit den Endkunden. Und einige Vertreter seien auf Xing aktiv, was die Allianz sicher nicht unterbinden wolle. Zentrale Unstützung bekämen aber nur "Plattformen, die ein Community Building unterstützen", und das seien bislang Facebook sowie - auf Perspektive - Google.

Vorstand fordert "Zuhören"

Dass die sozialen Medien keine Einbahnstraße sind, ist Nolte und Lukowsky durchaus bewusst. Schließlich hat auch Markus Rieß, Vorstandsvorsitzender der Allianz Deutschland AG, kürzlich in einem Gastbeitrag für die Börsenzeitung explizit darauf hingewiesen: "Über das Netz erfahren wir viel darüber, was Kunden und Interessenten über unser Unternehmen und unsere Produkte denken", schrieb er - und forderte seine Mitarbeiter zum "Zuhören" auf.

"Zuhören ist in der Tat eine wichtige Funktion", bestätigt Lukowsky. Allerdings sei das primär Sache der Vertreter und Agenturen - "auf einer individuellen Basis, so, als würden sie sich mit den Leuten am Telefon oder auch physisch unterhalten".

Weder das Markt-Management noch die IT zählen das Social Media Monitoring zu ihren Aufgaben. "Wir lassen auch keine große Maschine mitlaufen, um die Informationen in eine große Datenkrake zu schaufeln und für Werbeaktivitäten zu nutzen", konstatiert Lukowsky: "Ganz bewusst verzichten wir darauf, Grauzonen im Datenschutzbereich auszuloten oder mal zu sehen, was so alles geht." CIO Nolte ergänzt: "Wir locken die Facebook-Nutzer auch nicht auf eine andere Website, um ihre Credentials mitzunehmen und ihre Adressdaten dort auszuwerten."

So lobenswert diese Einstellung auch sein mag - sie könnte sich als Bumerang erweisen, wenn sich etwa einmal geballter Unmut unter den Kunden breitmachen und eine rasche, zentral abgestimmte Reaktion notwendig machen sollte. Oder sind Versicherungen etwa immun gegen das Phänomen "Shitstorm"?Sicher nicht, räumt Lukowsky ein: "Der Versicherungskunde ist ja quasi ein Querschnitt durch die Bevölkerung." Für lawinenartige Unmutsäußerungen in den sozialen Medien müsse es aber erst einmal einen Anlass geben - "wie beispielsweise das missglückte Krisen-Management beim Untergang der Ölbohrplattform Deepwater Horizon". Und so etwas sei "ein Einzelfall". Vor allem aber sei die Reaktion darauf kein Marketing-Thema, sondern Sache der "klassischen" Unternehmenskommunikation, so der Direktor Markt-Management.

IT-Bereich als Innovations-Scout

Sache der IT ist beim Marketing 2.0 nicht nur die Umsetzung - auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht. "Hier sehe ich die IT als Innovations-Scout", sagt Nolte: "Wir bringen mit den technischen Möglichkeiten auch die Ideen in den Fachbereich, stellen also vor, was alles möglich ist."

Ein Beispiel für innovative Ideen aus der IT sei die neue Beratungssoftware für Vertreter, berichtet der CIO. Sie laufe auf iPads und werde gerade in einem Testfeld von rund 200 Agenturen ausgerollt. Für den Frühling dieses Jahres sei der Rollout in die Breite geplant - und zwar Device-unabhängig als HTML-5-Applikation. Als zweites Beispiel nennt Nolte die App-Entwicklung. Hier gehe es darum, Anwendungen, die traditionell auf den Vertreter-Laptops laufen, auf iOS- oder Android-Devices zu bringen.

Und was tragen diese Techniken zum Marketing bei? "Die IT kann durchaus helfen, Kundenbedarf zu wecken", lobt Nolte seine Mitarbeiter. So habe einer der Entwickler die Idee gehabt, die Prämien- und Leistungsberechnung für die Lebensversicherungen via iPhone zur Verfügung zu stellen - für Kunden wie für Noch-nicht-Kunden. Darüber hinaus biete die Allianz eine Online-Banking-App, mit der ein Nutzer seinen gesamten Finanzstatus über eine Schnittstelle managen könne, und zwar auch für Konten, die er nicht bei der Allianz-Bank haben. "Diese App wurde nach dem Start einige tausend Mal pro Woche heruntergeladen", freut sich der CIO.

Auf die harte Tour gelernt

Solche Ideen lassen sich nur entwickeln und in die Tat umsetzen, wenn IT, Betriebsorganisation und Marketing eng zusammenarbeiten. Deshalb trifft sich der aus den drei Bereichen bestückte Lenkungsausschuss alle 14 Tage.

"Wir haben verstanden, dass auch die Projektarbeit nicht mehr klappt, wenn man nur im eigenen Bereich unterwegs ist", bestätigt Lukowsky: Eine Lösung für ein Problem, das in der IT aufgetreten sei, habe ja möglicherweise Auswirkungen auf die Prozesse oder die Kundenbearbeitung. Deshalb müssten Änderungen mit allen Beteiligten diskutiert werden: "Wir haben das quasi auf die schmerzhafte Tour gelernt. Aber durch unsere institutionalisierten Treffen stellen wir sicher, dass das nicht mehr passiert." Von Karin Quack

Die Studie in aller Kürze

- Eine Bestandsaufnahme zum aktuellen Stand von Social Media bei Versicherungen nennt BearingPoint seine Studie "Social Media in der Versicherungbranche".

- Dazu untersuchte das Consulting-Unternehmen 50 repräsentativ ausgewählte Assekuranzunternehmen hinsichtlich Präsenz und Engagement in sozialen Medien sowie Akzeptanz auf der Nutzerseite; besondere Berücksichtigung fand in einer zweiten Fragerunde die Plattform Facebook.

- Nur 15 Versicherer ragten heraus - entweder durch deutliche Präsenz oder durch hohes Engagement in den Communities.

- Besonders strengen sich offenbar die Kraftfahrzeug-Versicherer an, was BearingPoint mit dem hart umkämpften Markt und der hohen Wechselquote der Versicherten begründet.

- Dagegen schwächeln die Rechtsschutzversicherungen; sie zeigen weder viel Inititative noch großes Engagement. Das spiegle sich auch im Kaufverhalten wider, so BearingPoint: Nur eine von 15 Rechtsschutzversicherungen werde online abgeschlossen.

- Besonders erwähnenswert fanden die Autoren der Studie das Engagement dreier Unternehmen: R+V, Gothaer und Allianz. Diese Versicherer seien bereits "ein fester Bestandteil" in Social Networks. Ihr Engagement äußere sich in täglichen Updates, News, Recruiting-Aktivitäten und Tweets sowie - als Effekt davon - in einem regen Meinungsaustausch mit den Nutzern.

- Allerdings weist die Studie keine Korrelation zwischen Umsatz und Social-Media-Aktivitäten aus. So zählen zu den acht Klassenbesten auch ein mittleres und drei kleinere Unternehmen.