Das Beste aus beiden alten Welten
Das wollte Lutz Schüler unbedingt vermeiden. Seit Januar 2011 war er CEO des Telekommunikationskonzerns Unitymedia, im Jahr 2012 verantwortete er die Übernahme des Konkurrenten KabelBW und die Zusammenführung der beiden Unternehmen. Die Führungspositionen besetzte Schüler bewusst mit Managern aus beiden ursprünglichen Unternehmen. Das Signal: Es sollte ein neues Unternehmen entstehen, aber gewissermaßen mit dem Besten aus beiden alten Welten.
Nun trafen sich die 120 Führungskräfte zu regelmäßigen Workshops. Dort destillierten sie 13 Aussagen, mit denen sie den Kulturwandel umsetzen wollten. Darunter: Offenheit für konstruktiven Dialog, faire Anreize oder regelmäßigen Austausch. Für alle Versprechen wurden Paten aus der Führungsetage benannt. Um deren Engagement zu verdeutlichen, gaben sie das ihnen zugeordnete Versprechen in einem internen Video bekannt. Außerdem verkündete CEO Schüler öffentlich, dass er bis zu 20 Prozent seiner Zeit dem Wandel widmen werde.
"Das Change-Projekt war und ist nicht einfach", sagt Karl-Heinz Reitz, Leiter der Personalentwicklung von Unitymedia KabelBW. Abläufe mussten geklärt, IT-Systeme vereint, Mitarbeiter entlassen werden. "Aber die Führungsebene nimmt das Projekt ernst. Und eine solche dauerhafte Unterstützung ist das A und O jeder Veränderung", sagt Reitz.
- Change-Projekte steuern
Nur gut jedes zweite Change-Projekt klappt. Weil Argumente alleine so wenig nutzen wie das reine Gefühl, haben die Berater von Strategy& zehn Prinzipien aufgestellt. - 1. Mit der Firmenkultur arbeiten, nicht gegen sie.
Wer Veränderung will, darf die bestehende Unternehmenskultur nicht als Legacy betrachten. Die Art, wie Menschen kommunizieren, soll beibehalten werden. Manchmal können Entscheider diese Kultur aber nur schwer benennen oder haben bloß ein vages Gefühl dafür. Dann hilft ein alter Trick: die Mitarbeiter fragen. Führungskräfte können die Belegschaft bitten, zu beschreiben, in welcher Art sie arbeiten. Die Antworten helfen bei der Gestaltung des Change-Managements. - 2. Oben anfangen:
Strategy& stimmt der These zu, dass Change nur gelingt, wenn er auf allen Hierarchiestufen eines Unternehmens umgesetzt wird. Aber der Firmenleitung kommt eine Vorbildfunktion zu. Dass sie diese übernimmt, muss im Unternehmen sichtbar sein. - 3. Jeden mitnehmen:
Nach Schritt zwei folgt Schritt drei: Jeder Mitarbeiter muss in den Change einbezogen werden. Das ist aber kein einseitiger Prozess. Zwar beginnt die Veränderung oben, aber das Feedback von unten ist unabdingbar. Das kann zum Beispiel über eine firmeninterne Website geschehen, auf der jeder Kommentare abgeben, Erfahrungen mitteilen und Vorschläge machen darf. - 4. Rationale und emotionale Aspekte einbringen:
Entscheider setzen oft nur auf Argumente. Aussagen wie "diese Umstrukturierung wird den Umsatz in den kommenden drei Jahren um 20 Prozent steigern" mögen überzeugen - emotional berühren werden sie kaum. Die gefühlsmäßige Seite der Mitarbeiter spricht auf symbolträchtige Aktionen an. Wer etwa die Grenzen bisher getrennter Teams aufheben will, kann Trennwände in Büros einreißen lassen oder Schreibtische neu gruppieren. Solche Bilder erreichen die Mitarbeiter emotional. - 5. Gemäß der neuen Denke handeln:
Es ist wichtig, Policies und Direktiven zu erstellen. Auch Incentives unterstützen den Change. Noch wichtiger sind aber Handlungen. Will beispielsweise eine Bank den Kundenservice verbessern, muss die Führungsriege nicht nur die Schalteristen nach ihren Erfahrungen befragen - sondern sich auch einmal selbst in die Schalterhalle begeben. - 6. Drüber reden:
Kommunikation ist für Strategy& ein Schlüsselwort. Das bedeutet, dass die Firmenleitung ihre oberen Stockwerke verlassen und sich den Fragen der Belegschaft stellen muss. Nach dem Modell interner Messen können Entscheider zu bestimmten Zeiten im Foyer stehen und Fragen beantworten oder kurze Präsentationen zeigen. - 7. Spezialkräfte einsetzen:
Führung hat innerhalb jeden Unternehmens mindestens zwei Aspekte: Menschen mit formalen Titeln und solche mit informellen. Das kann ein Projekt-Manager sein, mit dem jeder gern zusammenarbeitet - oder die Empfangsdame, die schon 25 Jahre im Hause ist. Strategy& rät, diese Spezialkräfte zu Botschaftern des Changes zu machen. Sie genießen Respekt und Vertrauen innerhalb der Firma und können viel bewirken. - 8. Formale Mittel nutzen:
Sichtbar wird Veränderung an Formalem wie Trainings und Belohnungs-Systemen. Verbale Anerkennung für Mitarbeiter, die dem Change folgen, ist nötig, aber alleine nicht ausreichend. Sie sollten auch eine formale Belohnung erhalten. - 9. Informelle Mittel nutzen:
Dieser Punkt schließt an Punkt 7 an. Wer die einflussreichen Köpfe in der Belegschaft identifiziert hat, kann diesen zum Beispiel ein neues Motto an die Hand geben. Strategy& nennt das Beispiel eines Zulieferers, der nach einigen Jahren extremer Kostenfixierung stärker auf Kundenservice umschwenken wollte. Für diese unterschiedlichen Prioritäten wurden griffige Slogans gefunden: bisher habe gegolten "Ship by any means", ab sofort aber heiße es "If it’s not right, don’t ship it". Einflussreiche Mitarbeiter haben das wieder und wieder kommuniziert. - 10. Die Wirkung messen und nachbessern:
Letztendlich nützen alle Change-Initiativen ohne Erfolgskontrolle nichts. Das heißt: Unternehmen müssen Metriken für das Gelingen ihrer Projekte festlegen und diese auch anwenden. Nur so ist es möglich, die Vorgehensweise immer wieder nachzubessern.
Erste Erfolge sind schon zu erkennen: Der Gewinn stieg 2013 um neun Prozent auf knapp 1,2 Milliarden Euro, der Umsatz um sieben Prozent auf 1,9 Milliarden Euro, insgesamt verkauften die Vertriebler 560.000 neue Abonnements für Internet, Telefon und Kabelfernsehen.
Auf einen ähnlichen Schub durch seine Umstrukturierungen hofft Siemens-Chef Joe Kaeser. Seit Mitte 2013 stieg der Siemens-Kurs um knapp ein Viertel auf etwa 97 Euro. Natürlich kann Kaeser nicht garantieren, dass ihm die Früchte des Umbaus später einmal tatsächlich schmecken werden. Aber eine Alternative hat er nicht. Stillstand wäre gleichbedeutend mit Rückschritt.
Oder, wie es der Physiker Georg Christoph Lichtenberg einst formulierte: "Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll."
(Quelle: Wirtschaftswoche)