Kollaborative Roboter

Wie Corona Cobots treibt

Kommentar  06.08.2020
Von 
Eric Schaeffer ist Senior Managing Director, Global Industrial Lead, bei Accenture
Cobots, also kollaborative Roboter, könnten wegen ihrer Flexibilität zu den großen Gewinnern des Corona-bedingten Automatisierungs-Booms gehören.
Cobots stellen praktisch den perfekten Arbeitskollegen dar - nicht nur während der Coronakrise.
Cobots stellen praktisch den perfekten Arbeitskollegen dar - nicht nur während der Coronakrise.
Foto: Zapp2Photo - shutterstock.com

Die COVID-19-Pandemie hat nahezu alle Industriezweige dazu gezwungen, sich an die neue Normalität anzupassen - darunter auch die Fertigungsbranche. Als kurzfristige Reaktion wurden dort etliche Produktionsstätten dichtgemacht. Womit sich die Chefetage jedoch aktuell auseinandersetzen muss, ist eine längerfristige Transformation: Durch Corona wird der Druck stärker, lokal und flexibler zu produzieren, mehr Prozesse zu automatisieren und neue Gesundheitsanforderungen zum Schutz der Arbeitnehmer umzusetzen.

Cobot-Durchbruch bereits vor Corona

Aus Sicht von Accenture könnte ein Teil der Lösung der verstärkten Einsatz von kollaborativen Robotern oder "Cobots" darstellen. Obwohl es Cobots schon seit fast zwei Jahrzehnten gibt, gelang ihnen der kommerzielle "Durchbruch" erst in den letzten Jahren. Damals erkannten die Chefs in den meisten großen Fertigungsunternehmen der Welt, dass Cobots dazu beitragen können, das Risiko für die Mitarbeiter zu verringern, die Effizienz zu steigern und komplexere Fertigungsprozesse zu bewältigen. Da sie leichtgewichtig sind, typischerweise auf mobilen Plattformen installiert werden und einfach zu programmieren sind, stellen sie quasi den idealen Arbeitskollegen dar.

Das wird unter anderem deutlich, wenn man sich bewusst macht, wozu Cobots eingesetzt werden können. So sind sie etwa in der Lage, schwere Komponenten zu heben, eine Maschine zu beladen oder repetitive Aufgaben wie das Verpacken und Stapeln zu erledigen. Sie können all das tun, was in der Branche mit den vier "D "s bezeichnet wird - "dirty", "dangerous", "dear" und "demeaning" (schmutzig, gefährlich, teuer und erniedrigend). Das erklärt auch, warum Cobots bereits vor der COVID-19-Krise mit jährlichen Wachstumsraten von 60 Prozent eines der am schnellsten wachsenden Segmente der Industrierobotik waren. Schätzungen der Robotic Industries Association aus der Zeit vor Corona gingen davon aus, dass die Einnahmen mit Cobots bis 2027 weltweit 5,6 Milliarden Dollar erreichen werden. Dennoch und trotz der vielen Anwendungsgebiete für Cobots in verschiedenen Branchen ist ihr Anteil am gesamten Robotikmarkt noch gering: Berechnungen der International Federation of Robotics zufolge waren im Jahr 2018 nur 14.000 von 422.000 installierten Industrierobotern - oder 3,3 Prozent - Cobots.

Günstiger automatisieren mit kollaborativen Robotern

Dies wird sich aber in den nächsten Jahren ändern - und zwar aus zwei Gründen: Erstens ermöglichen Cobots einen höheren Automatisierungsgrad und dies zu relativ geringen Kosten. Zweitens sind Cobots äußerst flexibel und in der Lage, ein breites Spektrum an Aufgaben zu bewältigen, von einfachen Jobs bis hin zu sehr komplexen Tätigkeiten. Das bedeutet, dass Cobots nicht nur ein Game Changer für große Fertigungsunternehmen sind, sie eignen sich auch dazu, die Belegschaft kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) zu unterstützen.

Im Großen und Ganzen gibt es drei Trends, die den "Cobot-Boom" antreiben werden:

  • Die Lieferkette wird immer lokaler und flexibler,

  • der Mittelstand muss stärker automatisieren und

  • Cobots helfen beim Social Distancing in der Fabrik.

Als Reaktion auf COVID-19 wird sich die Produktionslandschaft geografisch breiter aufstellen, um die Lieferketten vor zukünftigen Unterbrechungen in einer volatileren globalen Wirtschaft zu schützen. Das bedeutet nicht das Ende der globalen Lieferkette, sondern vielmehr eine höhere Anzahl von Produktionsstätten, die zudem weitaus flexiblerer sind. Stellen Produktionsanlagen mehr als ein Produkt her, trägt das zu einer höheren Auslastung bei, was die Kosten für mehr Fertigungsstätten wieder auszugleicht. Dass kleine, einfach zu bedienende und mobile Cobots dabei helfen können, die Produktvielfalt zu erhöhen, konnte man bereits zum Höhepunkt der Coronakrise beobachten, beispielsweise in der Automobilindustrie, die ihre Produktion auf Atemschutzmasken umstellen konnte, um der gestiegenen Nachfrage gerecht zu werden.

Cobots gegen den Automatisierungsdruck

Mit COVID-19 hat sich der Druck auf den Mittelstand, die Produktivität zu steigern, um wettbewerbsfähig zu sein, weiter erhöht. Viele KMUs sind dazu jedoch zu "unter-automatisiert", was zum Teil auf die vermeintlich hohen Kosten für Automatisierung zurückzuführen ist. Einen Ausweg aus diesem Dilemma könnten Cobots darstellen, da sie für nur 20.000 Dollar oder - anders ausgedrückt - etwa ein Fünftel des Einstiegspreises für herkömmliche Industrieroboter erhältlich sind. Zu den relativ niedrigen Kosten kommt hinzu, dass Cobots wenig Platz beanspruchen und somit auch in kleinere Produktionsanlagen passen - oder sogar in Kellerräume oder Bürogebäude, was sie ideal für Neugründungen macht. Da sie außerdem in der Lage sind, auch anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen, eignen sie sich ideal zur Fertigung maßgeschneiderte Produkte, die das Markenzeichen vieler KMU sind.

Die Allrounder-Fähigkeiten von Cobots zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie für diverse Produktionsschemata programmiert werden können. Und weil dazu keine nennenswerten Programmierkenntnisse erforderlich sind, können Cobots schnell und einfach eingerichtet werden. Auf diese Weise können selbst ungelernte Arbeiter problemlos mit Cobots zusammenarbeiten, um komplexe Aufgaben zu erledigen.

Die Abstandsregelungen werden uns wahrscheinlich noch eine ganze Weile begleiten. Damit stehen Fertigungsunternehmen vor der Herausforderung, die Einhaltung dieser Regelung entsprechend sicherzustellen und die Anzahl der Begegnungen von Mensch zu Mensch in Fabriken zu begrenzen. Eine Lösung ist der vermehrte Einsatz "gemischter Teams", in denen Menschen und Cobots gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten, zum Beispiel ein Produkt überprüfen, stapeln, verpacken und verladen. Cobots können auch einige Aufgaben selbstständig ausführen, wie beispielsweise den Transport von Materialien in Fabriken, um die Zahl der Arbeiter, die sich von Ort zu Ort bewegen, zu reduzieren. (mb/fm)