Karriere trotz Handicap

Wie behinderte IT-Profis das Rechenzentrum schmeißen

31.12.2013
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Wie gelingt es, marktgerechte Outsourcing-Services anzubieten, wenn über 40 Prozent der Mitarbeiter mit einem Handicap leben? Der Dienstleister Akquinet zeigt, dass es geht.

Wer zur Akquinet AG nach Hamburg kommt, befindet sich auf dem Gelände der Evangelischen Stiftung Alsterdorf; 6200 Mitarbeiter betreuen über 15.000 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. In den 25 verschiedenen Werkstätten und Betrieben wird Inklusion gelebt. In der Hafenstadt sind Rollstuhlfahrer, Menschen mit Sehbehinderungen, mit Folgeschäden einer Krebserkrankung oder mit Multipler Sklerose tätig. Falls erforderlich, werden Arbeitsplatz und Arbeitsumfeld entsprechend gestaltet, das gesamte Firmengebäude ist barrierefrei. Die Behinderten arbeiten als Entwickler, Administratoren, im Werkschutz oder im Helpdesk. Von Anfang an verfolgten die Unternehmensgründer das Ziel, dass sich der Betrieb finanziell selbst tragen müsse.

Volle Auslastung

Zur Vorgeschichte: Im Jahr 2003 baut Akquinet mit der Stiftung das erste deutsche Integrationsrechenzentrum für über fünf Millionen Euro. Ein Jahr später übergibt die Itzehoer Versicherung ihr Rechenzentrum der Akquinet. Mit über 40 weiteren Kunden erreichen die beiden Rechenzentren schon 2009 ihre Kapazitätsgrenze. Im Jahr 2011 gewinnt Akquinet die Ausschreibung des größten deutschen ländereigenen IT-Dienstleisters Dataport. Mit den Stadtwerken Norderstedt baut der Dienstleister zwei neue Rechenzentren in Alsterdorf und Norderstedt mit einer Gesamtinvestition von 60 Millionen Euro für 3400 Quadratmeter reine IT-Fläche. Beide neuen Rechenzentren gehen Mitte 2013 in den Routinebetrieb über. Auf dem neuen Rechenzentrum in Alsterdorf wird nun eine barrierefreie Dreifeld-Turnhalle für die Buggenhagen-Schule errichtet. Die Turnhalle wird aus der Abwärme des Rechenzentrums geheizt.

Der Dienstleister integriert aber nicht nur Menschen, sondern auch IT-Lösungen. Über 450 Mitarbeiter verbinden Individualsoftware der Kunden mit den ERP-Systemen von SAP und Microsoft, und diese werden in den Rechenzentren gehostet.

Keine Sonderbehandlung

„Das Engagement insbesondere der Kollegen mit Handicap gleicht alle anderen Dinge aus", sagt Akquinet-Vorstand Norbert Frank. Alles, was die Behinderten bräuchten, sei die Chance, ihre besonderen Fähigkeiten auch einzusetzen. Keiner möchte eine „behütete" und damit „gängelnde" Sonderbehandlung. „Wir erwarten und erhalten von allen Mitarbeitern die gleiche Leistung und damit auch vergleichbare Ergebnisse und Bezahlung", so der Akquinet-Chef. Dieses Erfolgsrezept, lasse „alle Mitarbeiter auf Augenhöhe zusammenarbeiten".

Norbert Frank, Akquinet: „Wir erwarten und erhalten von allen Mitarbeitern die gleiche Leistung und damit auch vergleichbare Ergebnisse und Bezahlung."
Norbert Frank, Akquinet: „Wir erwarten und erhalten von allen Mitarbeitern die gleiche Leistung und damit auch vergleichbare Ergebnisse und Bezahlung."
Foto: Privat

Der Erfolg der Integrations-Rechenzentren beruht laut Frank auch auf einem besonderen Geschäftsmodell. Die Akquinet Outsourcing ist eine gemeinnützige GmbH. Der wirtschaftliche Erfolg und die räumliche Nähe zur Stiftung Alsterdorf waren die Basis, um hier auf Gewinnmaximierung zu verzichten.

Leistung muss stimmen

Ein Schwerpunkt liegt auf Firmen aus den Bereichen Versicherungen, Banken, Sozialeinrichtungen, Krankenhäusern und dem öffentlichen Sektor. Für diese Kunden bedeutet die Vergabe von Aufträgen an das integrative RZ auch eine Fortsetzung ihres fest verankerten sozialen Engagements.

Zusätzlich bietet der Status als gemeinnützige GmbH einen handfesten Wettbewerbsvorteil: Das Unternehmen muss nur sieben Prozent Mehrwertsteuer berechnen. Hiervon profitieren insbesondere Kunden, die selbst nicht vorsteuerabzugsfähig sind. Aber auch andere Kunden wie Ernst Dello, Still, Albis, Sterling, Smurfit Kappa, Columbia und viele mehr sind von der Leistungsfähigkeit der Rechenzentren und der Mitarbeiter überzeugt. Inklusion sei für sie zwar ein Pluspunkt, der positiv bewertet wird, ausschlaggebend bei ihrer Entscheidung sei aber die Leistungsfähigkeit, Verfügbarkeit und Sicherheit. Auch in der Verwaltung und im Rechnungswesen werden Mitarbeiter mit Handicap beschäftigt.

"Die Akzeptanz der Arbeitgeber ist noch viel zu gering"

Norbert Frank, einer der Gründer und Vorstand von Akquinet, und der sehbehinderte Lucas Carvalhana, Mitarbeiter im Helpdesk der Unternehmenstochter Akquinet Outsourcing, erläutern, wie ihr Integrationsmodell funktioniert.

CW: Wie reagieren Kunden, wenn sie erfahren, dass Akquinet das Rechenzentrum als Integrationsbetrieb führt?

Norbert Frank: Sie sind erstaunt und wollen mehr wissen. Anfangs befürworten sie das Geschäftsmodell. Im Lauf der Gespräche kommt aber auch Skepsis auf. Können die Mitarbeiter denn auch die geforderten Leistungen hundertprozentig erbringen? Die Frage ist verständlich, weil von der Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit des Rechenzentrums und der damit verbundenen Services der gesamte Geschäftsalltag abhängt. Wir müssen unsere Leistungsfähigkeit gegenüber den Wettbewerbern sogar stärker unter Beweis stellen als andere.

CW: Was raten Sie Unternehmen, die überlegen, verstärkt Menschen mit Handicap einzustellen?

Frank: Meist ist die Mobilität durch viele Barrieren eingeschränkt. Die Mitarbeiter sollten deshalb nicht unbedingt viel reisen müssen. Die Firmengebäude selbst sollten barrierefrei oder entsprechende Umbaumaßnahmen realisierbar sein. Die eigentliche Herausforderung für das Unternehmen liegt eher in anderen Bereichen: Die Akzeptanz der Arbeitgeber gegenüber Menschen mit Handicap ist noch viel zu gering. Ein Mensch mit Behinderung als Ansprech- oder Verhandlungspartner ist für viele ungewohnt. Hier ist aber in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch die Bundesregierung, viel Überzeugungsarbeit geleistet worden.

CW: Herr Carvalhana, welchen Tipp geben Sie jungen Menschen mit Handicap auf den Weg?

Lucas Carvalhana: Sie sollten sich von den Ratschlägen vieler Sozialpädagogen bezüglich ihres Werdegangs nicht abschrecken lassen. Sie sollten tun, was sie wirklich interessiert. Die Ratschläge sind gut gemeint, führen aber meist zu einer zusätzlichen Einschränkung, die nicht sinnvoll ist. Die Unternehmen auf der anderen Seite sollten Bewerber mit einer Behinderung individuell betrachten: So wie jeder andere Bewerber bringen auch sie ihre speziellen Stärken und Schwächen mit.

Lucas Carvalhana, Akquinet: "So wie jeder andere Bewerber bringen auch Menschen mit Handicap ihre speziellen Stärken und Schwächen mit."
Lucas Carvalhana, Akquinet: "So wie jeder andere Bewerber bringen auch Menschen mit Handicap ihre speziellen Stärken und Schwächen mit."
Foto: Privat

CW: Herr Frank, für Akquinet ist es ein Geschäftsmodell geworden, dem IT-Fachkräftemangel auch mit der Anstellung von Menschen mit Handicap zu begegnen. Wie setzen Sie diesen Ansatz um?

Frank: Qualifizierte IT-Mitarbeiter mit Handicap sind genauso schwer zu finden wie „normale“ Fachkräfte. Seit über einem Jahr bilden wir gemeinsam mit der Fachhochschule Wedel angehende Wirtschaftsinformatiker im dualen Studium aus. Hierfür stellen wir bevorzugt Studierende mit Handicap ein.

CW: Herr Carvalhana, können Sie sich erklären, wieso die Suche nach qualifizierten behinderten Mitarbeitern so schwierig ist?

Carvalhana: Oft werden junge Menschen mit Behinderung im Schulsystem zu sehr umsorgt. Ich war auf einer Schule für Blinde und Sehbehinderte. Dort gab es keine Lehrer, die fundiertes Wissen in IT und Wirtschaft vermitteln konnten. Hier ist eher die Angst vor technischen Themen zu spüren. Der Fachkräftemangel entsteht, weil an den Schulen zu wenig Begeisterung für diese Themen geweckt wird

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