Wie Anwender ERP-Projekte begleiten

21.05.2008
Wenn Firmen Business-Software einführen, müssen sich die Nutzer einbringen. Ein paar Regeln können helfen, sich trotz knapper Personal- und Zeitressourcen nicht überfahren zu lassen.
Da die Ergebnisse aller wertschöpfenden Geschäftsprozesse in die Finanzbuchhaltung führen, ist es am besten, man geht beim Einrichten der Prozesse diesen Weg rückwärts. Das hilft, Irrtümer zu vermeiden.
Da die Ergebnisse aller wertschöpfenden Geschäftsprozesse in die Finanzbuchhaltung führen, ist es am besten, man geht beim Einrichten der Prozesse diesen Weg rückwärts. Das hilft, Irrtümer zu vermeiden.
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dass ERP-Systeme im Grunde recht einfach gestrickt sind;

dass manche Firmen glauben, mit dem Erwerb einer ERP-Software die vernachlässigte Organisation von Geschäftsprozessen nachholen zu können;

wie fehlendes Verständnis von Fachbegriffen die Zusammenarbeit zwischen Anwendern und Softwareexperten erschwert;

woran sich Anwender aus verschiedenen Abteilungen des Unternehmens orientieren können, um ein gemeinsames Prozessverständnis zu entwickeln.

Die Einführung eines ERP-Systems dauert, abhängig von der Unternehmensgröße, zwischen sechs und 36 Monate. Diese Zeitspanne liegt zwischen dem Tag der Entscheidung, ein (neues) ERP-System einzuführen, und dem Tag der Produktivschaltung. Das Interessante daran ist nicht die Zeitdauer an sich, sondern die Beobachtung, dass ziemlich genau die Hälfte der Zeit dafür verwendet wird, ein geeignetes System zu finden, und die andere Hälfte für die Einführung selbst. Das hat eine Auswertung einiger hundert ERP-Projekte gezeigt, unabhängig von Unternehmensgröße oder Branche.

Es gibt viele Ursachen dafür, dass es etwa genauso lange dauert, ein passendes Softwareprodukt zu finden, wie es nutzbar zu machen. Ein möglicher Grund ist die Kompetenz der Beteiligten. Wer weiß, was er will, und das auch durchsetzt, ist schneller am Ziel als jemand, der für jedes Detail erst einmal einen Arbeitskreis einberuft.

Viele Unternehmen, vor allem schnell gewachsene Mittelständler, glauben, ein ERP-System bringe ihnen die lange Zeit vernachlässigte Organisation ihrer Geschäftsprozesse ins Haus. Und manche Manager erwarten sogar, dass das ERP-System ihre mangelnde Führungskompetenz ersetzt. Wer so denkt, irrt jedoch gewaltig.

ERP-Systeme sind bei der Lieferung (Installation) in der Regel zunächst völlig leer. Keine Daten, keine Parameter, keine Anwender. Nur der Explorer zum Aufruf der Funktionen und die Dialogmasken sind sichtbar. Von Intelligenz oder gar der Steuerung von Prozessen keine Spur. Da hilft auch kein Blick auf die tolle Demoversion oder auf die Lösung, die ein anderes Unternehmen einsetzt. Erst im Projekt füllt sich die ERP-Software mit Leben.

Methoden und Werkzeuge

Die Anzahl der Methoden und Tools, die nötig sind, um die ERP-Einführung zu steuern, nimmt ständig zu. Jeder Systemhersteller hat seine eigene Herangehensweise beziehungsweise spezifische Werkzeuge entworfen. Allen gemeinsam ist: Sie sind überwiegend auf den formalen Teil der Projekte ausgerichtet, auf Termine, Themen, Teammitglieder. Doch was im Detail mit dem ERP-System gemacht werden soll und wie die Prozesse auszusehen haben, steckt nun mal in den Köpfen der Mitarbeiter.

Die Anwender, vertreten durch wichtige Nutzer im Unternehmen ("Key User"), haben zu Beginn des Projekts meist nur vage Vorstellungen davon, wie die Prozesse laufen, und vor allem, wie und womit sie gesteuert werden sollen. Der Übergang von einer individuellen Ablauforganisation in eine digitale, toleranzlose und systematische Steuerung ist für viele zunächst ein Kulturschock. Insbesondere dann, wenn das Unternehmen bislang selbst entwickelte Programme verwendet hat, die nicht durchweg perfektionistisch konzipiert, also stellenweise unlogisch waren, aber zur vollen Zufriedenheit funktionierten.

Auf der anderen Seite des Tisches sitzen die ERP-Berater. Sie sollen jetzt das alles ordnen und auf die Reihe bringen, sprich: im ERP-System abbilden. Doch schon nach kurzer Zeit stellen beide Seiten fest, dass sie wohl verschiedene Sprachen sprechen. Buchungskreis und Werksebene, Produktstruktur und Wareneingangsmethode sind Begriffe, die man vielleicht im Internet findet, aber nicht im Duden oder Brockhaus. Und nachdem der oder die Berater den staunenden Zuhörern die schöne neue Welt einer ERP-Steuerung vorgestellt haben, kommt der Standardsatz aller Vertreter mittelständischer Unternehmen: Bei uns ist alles ganz anders.

Auch der Berater hat einen Standardsatz: "Ich zeigen Ihnen jetzt, wie es geht, und den Rest machen Sie dann selbst." Dann steigt der Consultant hinab in die Tiefen des Systems, dort wo die Steuerparameter eingestellt werden, und schraubt daran herum. Beispielsweise fragt der Softwarespezialist die Key User nach den Auftragsarten des Unternehmens. Da mitunter keiner recht weiß, was eine Auftragsart ist und wozu sie benötigt wird, sagen die Nutzer zunächst irgendetwas - in der Hoffnung, dass sich später diese Einstellungen vielleicht ja noch ändern lassen.

Wer muss sich anpassen?

Was sich in den darauffolgenden Stunden oder auch Tagen vollzieht, entscheidet maßgeblich über den Projekterfolg: Passt sich das Unternehmen an das ERP-System an oder umgekehrt? In manchen Fällen konfigurieren Softwareexperten das System so lange, bis es als passend angesehen wird. Allerdings kann das schon mal schiefgehen.

Dabei wäre alles so einfach: ERP-Systeme haben im Grunde nur zwei Regeln, nach denen sie arbeiten: eine für die Logistik und eine für das Rechnungswesen. Letztere (Soll minus Haben ergibt null) gilt für jeden Anwender. Die Aufgabe bei der ERP-Einführung besteht darin, diese Regeln korrekt und durchgängig anzuwenden. Das ist deshalb notwendig, weil zumindest die wertschöpfenden Prozesse (Verkauf, Produktion und Einkauf) gesteuert werden müssen.

Das Fatale ist nur: Kaum einer kennt die Regeln. Und während die Berater gemeinsam mit den Key Usern an den Parametern herumschrauben und versuchen, die letzte Individualschleife im System unterzubringen, übersehen beide oft diese Vorgaben. Es ist ja auch viel erhebender und erlebnisreicher, "User Exits" zu programmieren oder "Y-Positionstypen"(eine SAP-Spezialität) zu erzeugen, als so banale Regeln zu beachten wie "Bedarf minus Bedarfsdecker ergibt null". Ist der Saldo ungleich null, gibt es entweder zu viel (Überbestand) oder zu wenig (Material, Produkte, Leistungen). So einfach ist jedes ERP-System gestrickt.

Die Aufgabe der Anwender

Das Projekt steht und fällt mit den Vorstellungen und Anforderungen der Anwender. Je klarer, vollständiger und besser durchdacht diese sind, desto schneller und besser verläuft die Einführung. Es hat sich bewährt, anstelle umfangreicher Stichwortsammlungen als Pflichtenheft (die von den Anbietern nur abgehakt werden) eine konsistente Beschreibung aller Prozesse als Vorgabe zu verwenden. Darin steht neben dem "Was" (machen die Funktionen?) auch das "Wie" (läuft die Steuerung?).

Die Herausforderung an die Anwender ist, unternehmerisch zu denken, den eigenen Schreibtisch zu verlassen und die Abläufe im Unternehmen von außen zu betrachten, aus der Sicht der Geschäftspartner. Designer und Produktentwickler orientieren sich schon lange an der Frage: "Wie hätte es der Kunde gerne?" Softwareanwender hingegen fragen meist nur: "Wie ist es für mich am einfachsten?"

Voraussetzungen fehlen

Natürlich ist es für einen einzigen Anwender sehr schwierig, ganze Prozesse der Wertschöpfungskette zu definieren, da die meisten Mitarbeiter ja als Spezialisten für eine Aufgabe (Verkaufen, Planen etc.) fungieren. Auch fehlen vielfach die Voraussetzungen, denn nur wenige haben eine Doppelausbildung in einem technischen und einem kaufmännischen Beruf. Geschäftsprozesse steuern stets gleichzeitig die Ware und deren Wert, auch wenn das nicht immer allen Beteiligten bewusst ist.

Bei der Einführung eines ERP-Systems kommt es genau darauf an, die Prozesse aus Sicht der Logistik und des Rechnungswesens zu betrachten. Schließlich basiert der Erfolg der ERP-Systeme genau darauf, dass sie immer beides, Ware und Wert, gleichzeitig erfassen, steuern und buchen können.

Gibt es einen Königsweg?

Vieles wurde schon probiert, um die Unwägbarkeiten und unbekannten Hindernisse bei einer ERP-Einführung zu vermeiden oder wenigstens zu umgehen. Mittelständische Unternehmen trifft hier eine besondere Herausforderung: die Ressourcenknappheit. Nur selten gibt es Stabsabteilungen für die Organisation und IT. Und wenn, dann sind das häufig Einzelkämpfer und allein schon mit den Alltagsproblemen von fehlenden Druckerpatronen bis zum Einrichten neuer Passwörter ausgelastet.

Es kommt also darauf an, alles nur einmal und dann aber richtig zu machen. Ein "Trial-and-Error-Ansatz" ist aufwändig und langwierig. Ideal wäre ein Königsweg, eine leichte und optimale Lösung für diese Aufgabe. Es ist zumindest eine Überlegung wert, ob es das geben kann. Da wäre zum Beispiel die Überlegung, dass in ERP-Systemen alle Vorgänge sowie Bewegungsdaten aus den Geschäftsvorfällen (Kunden-, Produktions- und Einkaufsaufträge) irgendwann, nämlich wenn sie einen Wert für das Unternehmen erzeugt haben, in der Buchhaltung und Kostenrechnung münden. Dahinter - zeitlich danach - kommen nur noch Auswertungen. An den Geschäftsprozessen selbst ändert sich dadurch nichts mehr. Was oder wo aber ist der Anfang?

Bevor also die Logistiker an den Schrauben der Auftragssteuerung drehen - das ist der übliche Einstieg in ein ERP-Projekt -, sollte das Ende des Weges klar vorgegeben sein. Das sind Kontenplan und Kostenstellen (und natürlich die Strukturen des Berichtswesens). Und dann sollte man den Weg ganz langsam und umsichtig rückwärts, vom Ende zum Anfang gehen, und immer fragen: Bin ich noch auf dem richtigen Weg, finden die Daten ihr Ziel, habe ich alle Informationen über Ware und Wert?

Das ist ein Vorschlag zur Orientierung, dem sich letztlich aber kein Teammitglied widersetzen wird. Schließlich wollen alle Anwender dorthin, sie kennen bloß noch nicht den (gemeinsamen) Weg. Viele ziehen es vor, getrennt zu marschieren - der eine kümmert sich um den Vertrieb, er richtet also die Verkaufsprozesse ein, der andere schraubt an der Materialwirtschaft (Artikelstamm und Lagerorganisation) herum und ein weiterer an der Produktionsplanung und Fertigungssteuerung.

Diese Aufgabenteilung erscheint praktisch, ist aber nicht zielführend. Im Gegenteil: Wenn die Rechte (Materialwirtschaft) nicht weiß, was die Linke (Vertrieb) tut, dann hat der in der Mitte (Produktion) ein Wissensdefizit. Und das Rechnungswesen (Finanzbuchhaltung und Controlling) soll es (die Buchungen der Wertschöpfung) dann wieder so hinbiegen, dass das Ende des Weges erreicht wird. Das ist viel verlangt.

Der Königsweg bei der ERP-Einführung: Da die Ergebnisse aller wertschöpfenden Geschäftsprozesse in die Finanzbuchhaltung einfließen, ist es am besten, man geht beim Einrichten der Prozesse diesen Weg rückwärts. Das hilft, Irrtümer und Abweichungen zu vermeiden.

Es empfiehlt sich, diese Strecke noch vor Beginn der Einführung aufzuzeichnen. Natürlich sollte sich auch jedes Teammitglied den Weg einprägen - ein paar Meilensteine erleichtern die Orientie-rung. (fn)