Zentrale Sourcing-Plattform für 300 Unternehmen

Wie ABB beim Einkauf spart

29.08.2003
MÜNCHEN (rg) - Trotz großer Widerstände innerhalb der weltweit agierenden Gruppe hat der ABB-Konzern ein Supplier-Extranet zur elektronischen Beschaffung eingeführt. Damit konnte er deutliche Kostensenkungen erzielen, musste aber viele für E-Procurement typische Hürden überwinden.

Die Beschaffung von indirektem, nicht produktionsrelevantem Material lag bei den rund 400 Unternehmen der ABB-Gruppe bisher in den Händen von Sekretärinnen und Abteilungseinkäufern. Wenn es um MRO-Material (Maintenance, Repair, Operations) ging, zeichneten auch die technischen Abteilungen des Konzerns verantwortlich, die ihr Material ohne hinderliche Vorschriften oder Prozesse meist in eigener Regie beschafften.

Die dabei entstandenen Partnerbeziehungen waren für den Gesamtkonzern jedoch nicht optimal. Gute lokale Insellösungen, etwa für den Einkauf von Büromaterial oder Schrauben, bildeten eine hohe Barriere für die angestrebte konzernweit zentrale Steuerung der Beschaffung. Hinzu kamen lieb gewordene Gewohnheiten: So musste das mit der Einführung einer elektronischen E-Procurement-Plattform betraute Projektteam bei der Datenerhebung feststellen, dass für die Beschaffung von Befestigungsmaterial auf 50 verschiedene Lieferanten zurückgegriffen wurde. Auch für Handwerkzeuge und IT-Verbrauchsmaterial wie Disketten, CDs oder Drucker gab es keinen Standardlieferanten.

In einem ersten Schritt war also der Status quo zu ermitteln. Allein die Datenerhebung stellte das Projektteam Schweiz um Günter Diener, Practice Manager E-Solutions IM/IT bei der ABB Schweiz AG, Process & Business Consultancy, vor erhebliche Schwierigkeiten. "Eine gesicherte Aussage über das Beschaffungsvolumen von indirektem Material war von keinem unserer 20 Unternehmen in der Schweiz zu erhalten, allenfalls gab es Schätzungen", fasst Diener die Ausgangssituation zusammen. Während für produktionsrelevante oder direkte Materialien im ERP-System Materialstämme angelegt worden waren, war für indirektes Material eine solche Pflege im SAP-Modul MM (Material-Management) der einzelnen Unternehmen naturgemäß nicht vorgesehen. Schließlich, so argumentiert Diener, sei Verbrauchsmaterial nicht mit einem Kundenauftrag verknüpft und stelle außerdem nur in ganz seltenen Fällen einen Engpass dar. Fast alle Unternehmen des Elektronikkonzerns verbuchen indirekte Materialien als Kosten direkt in der Finanzbuchhaltung FI und ordnen meist noch eine Kostenart zu. Zunächst galt es also, diese Güter so zu klassifizieren, dass das Bestellvolumen der Länderorganisationen annähernd geschätzt werden konnte.

Für alle 400 ABB-Unternehmen ermittelten die Projektbeteiligten ein relevantes Einkaufsvolumen von insgesamt rund 900 Millionen Dollar, die sich auf rund 1,32 Millionen Transaktionen verteilen. Im Projektfokus waren jedoch nur 300 Töchter, so dass sich diese Werte entsprechend verringern. Mit dem so erarbeiteten und teilweise geschätzten Datenmaterial konnte nun ein Business Case erarbeitet werden, der sich auf die beiden Pfeiler "Prozesskosteneinsparung" und "Preisreduktion durch Volumenbündelung" stützte. Dabei wurde ein Erfahrungswert aus früheren Prozesskostenrechnungen von 115 Dollar pro Bestellung zugrunde gelegt. Laut Diener schienen durch die Bereitstellung eines Internet-basierenden Einkaufssystems mit standardisiertem Katalogmaterial und vorgegebenen Lieferanten 50-prozentige Einsparungen bei den Prozesskosten prinzipiell erreichbar . Bottom Line sollten davon 25 Prozent erzielt werden. Dies entspricht einer Kostenreduzierung von zirka 15 Millionen Dollar allein im ersten Jahr nach Einführung der Sourcing-Plattform.

Payback innerhalb eines Jahres

Weitere fünf bis 15 Prozent des gesamten Einkaufsvolumens sollten durch Volumenbündelung und Neuverhandlung von Lieferverträgen eingespart werden. Dies stellte für die mit der Lieferantenauswahl beauftragten Teams eine große Herausforderung dar, da viele Lieferanten bereits durch vorherige Programme zu Preisnachlässen gezwungen worden waren. Die Berechnungen ergaben hier ein Einsparpotenzial bei indirektem Material von 65 Millionen Dollar, was sich mit den 15 Millionen aus der Prozesskostenreduzierung nach erfolgter Einführung eines Internet-basierenden Beschaffungssystems auf 80 Millionen Dollar summieren sollte. "Diese Zahlen öffneten beim Management Tor und Tür", beschreibt Diener die damalige Euphorie. Eine Wirtschaftlichkeitsrechnung habe außerdem ergeben, dass die Einsparungen die notwendigen Investitionen nach Ablauf eines Jahres kompensieren würden.

Ein wichtiger Faktor war für ABB, dass die Steuerung der Kataloginhalte in Bezug auf Standards und Preise im eigenen Haus verblieb. Dies führte zur Errichtung einer zentralen Sourcing-Organisation für indirektes Material, die direkt dem Supply and Demand Chain Management des Konzerns zugeordnet war. Die zentrale Steuerung des Sourcing war von größter Bedeutung für den Erfolg des Projekts, entpuppte sich aber auch als erhebliche Barriere.

Internationales Preisgefälle genutzt

Nur wenige Lieferanten waren in der Lage, die ABB-Gruppe weltweit zu bedienen. Die meisten konnten nicht alle regionalen Standards, Vorschriften und Gesetze berücksichtigen. Deshalb musste der Konzern entgegen der ursprünglichen Absicht viele regionale oder sogar lokale Lieferanten einbinden. Dennoch sieht Diener deutliche Erfolge: "Wir hatten vorher sogar innerhalb einer Einheit oftmals mehr als einen Lieferanten für das gleiche Material. Mit dem neuen System konnten wir wenigstens auf Länderebene bei demselben Zulieferer einkaufen."

Die höchsten Einsparungen ergaben sich im Bereich MRO, wo das internationale Preisgefälle erheblich ist. Laut Diener lässt sich aufgrund dieser Preisdifferenzen besonders gut verhandeln, so dass bei gleich bleibender Qualität und hohem Liefervolumen signifikante Rabatte zu erzielen seien. Auch bei der IT-Beschaffung habe sich gezeigt, dass die Preise noch große Spielräume böten. Bei Büroartikeln lägen die erzielten Einsparungen jedoch nur im einstelligen Prozentbereich.

Auf der Suche nach einem geeigneten Softwareanbieter für die Beschaffungsplattform entschied sich ABB nach einem kurzen Evaluierungsprozess für Ariba. Die Auswahl potenzieller Lieferanten gestaltete sich dagegen weitaus aufwändiger und schwieriger als geplant. Das führte dazu, dass die technische Plattform für das ABB Supplier Network fertig war, bevor alle Lieferantenverträge fixiert waren. Da anfangs noch zu wenig Kataloge eingestellt waren, musste ABB rund ein halbes Jahr die neue Beschaffungsplattform mit den alten Prozessen koordinieren. In dieser Projektphase kämpfte Diener mit Akzeptanzproblemen bei der Anwenderschaft.

ERP-Integration war nicht zu stemmen

Mit dem neuen System stellte ABB seinen Mitarbeitern in der Schweiz ab Juni 2001 erstmals ein einheitliches Tool zur Beschaffung von indirektem Material zur Verfügung. Sukzessive folgten dann die anderen Länder. Aufgabe des Systems ist es, komplette Bestellprozesse einschließlich der Genehmigungs-Workflows zu unterstützen. Dabei verzichtete ABB vorerst sowohl order- als auch rechnungsseitig auf die volle Integration seiner vielen unterschiedlichen ERP-Systeme, darunter SAP-, Baan- und J.D.Edwards-Lösungen. Die rechnungsseitige Integration der Lieferanten in die ABB-Systeme schien unrealistisch. Der Konzern hatte zu viele unterschiedliche ERP-Systeme, als dass er seinen globalen Lieferanten hätte zumuten können, sie alle zu bedienen.

Deshalb erarbeitete ABB eine Lösung mit dem Arbeitstitel "Light Integration"; Die Bestellung erfolgt aus dem Ariba-System in der Regel über einen ABB Message Broker oder in Ausnahmefällen über das Ariba-Netzwerk zum Lieferanten. Der gesamte Prozess wird aus den oben erwähnten Gründen ohne das ERP-System des Bestellers abgewickelt.

Um die Prozesskosten senken zu können, war es ABB jedoch wichtig, dass die Bestellung im ERP-System des Lieferanten automatisch als Auftrag angelegt wird. Dazu aber ist für jede Lieferantenintegration ein kleines Projekt erforderlich. Als Message-Description-Standard dient dabei - je nach technischer Ausstattung des Lieferanten - entweder EDI, Web-EDI oder XML. Den Aufwand für diese Schnittstellen-Erstellung beziffert Diener auf 6000 bis 7400 Dollar, wobei der Zulieferer etwa die Hälfte dieser Kosten selbst trägt. Insgesamt sind mittlerweile 200 Lieferanten auf diese Weise in das System eingebunden, die Zahl aller Zulieferer konnte drastisch verringert werden. Auf die Übermittlung von Auftragsbestätigungen wurde verzichtet, da das Material nicht zeitkritisch ist.

Wesentlich komplexer gestaltet sich der Rechnungsprozess. Dabei muss die elektronische Rechnung in das jeweilige ERP-System von ABB übermittelt werden, um sie zu verbuchen und die Zahlung auszulösen. Da jedoch die Bestellreferenz nicht im ERP-System hinterlegt ist, wird die Legitimität der Rechnung bereits im Frontend-System des ordernden Anwenders geprüft. Erst wenn er Preis und Menge der Rechnung mit der Bestellung abgeglichen hat, erfolgt mit einer Okay-to-Pay-Meldung im ERP-System die Verbuchung und Zahlungsaufforderung. Für die gängigsten in den Konzerntöchtern eingesetzten Systeme wie die von SAP und Baan hat ABB Schnittstellen entwickelt, mit deren Hilfe die Verbuchung manuell ausgelöst werden könne.

Probleme mit Rechtsvorschriften

Erschwerend kommen unterschiedliche länderspezifische Rechtsvorschriften hinzu. Während in den skandinavischen Ländern Vorschriften für die elektronische Verbuchung von Eingangsrechnungen locker gehandhabt werden, bestehen für Länder wie die Schweiz oder Deutschland unter anderem wegen der Verbuchung der Vorsteuer strenge Regeln. Diesen Prozess hat die EU erst im Dezember 2001 mit einer Verordnung geregelt. Die Regelung sieht die elektronische Signatur vor, die den Absender einer Rechnung eindeutig identifiziert. "Die Umsetzung dieser Verordnung wird jedoch durch den Mangel an überregionalen zertifizierten Dienstleistern stark erschwert", fasst Diener die Problematik zusammen.

Vorerst müssen die ABB-Lieferanten deshalb eine Papierrechnung als Buchungsbeleg mitschicken. Verantwortlich für die Abgleichung der elektronischen mit der Papierrechnung ist der Besteller, womit bis zur Einführung einer voll elektronischen Lösung zusätzliche Prozesskosten in nicht unerheblicher Höhe anfallen.

"Die geplanten Einsparungen von 50 Prozent bei den Prozesskosten waren im Nachhinein zu optimistisch geschätzt", zieht Diener ein nüchternes Resümee. Das liege auch daran, dass viele Abläufe bereits vorher optimiert worden seien. Deren Ablösung zugunsten des einheitlichen ABB-Beschaffungssystems habe zu erheblichen Schmerzen bei verschiedenen lokalen Einheiten geführt und die Freude am neuen System geschmälert. Einige in der Vergangenheit mit ihren Supply-Management-Prozessen besonders effiziente Einheiten hätten sogar höhere Prozesskosten in Kauf nehmen müssen.

Dieser Effekt habe allerdings leicht aufgefangen werden können, da aufgrund gebündelter Einkaufsvolumina im Schnitt Preisreduktionen von zehn Prozent erzielt wurden. Bei einzelnen Posten, beispielsweise Projektoren, konnte ABB sogar Einsparungen von bis zu 40 Prozent erreichen. Günter Diener ist offen für einen Meinungsaustausch mit Beschaffungsexperten anderer Unternehmen (Kontakt: guenter.diener@ch.abb.com). (rg)

Steckbrief

Unternehmen: Industriekonzern mit Schwerpunkt auf Energie- und Automatisierungstechnik, in rund 100 Ländern aktiv.

Ziel: Einsparungen beim Einkauf in Höhe von 80 Millionen Dollar.

Projektumfang: Zentrale Sourcing-Plattform für 300 der insgesamt 400 Unternehmen der ABB-Gruppe.

Herausforderung: Aufwändige Datenerhebung, Überwindung interner Barrieren, elektronische Rechnungsbearbeitung.

Zeitrahmen: Seit Frühjahr 2000.

Stand heute: 200 Lieferanten mit speziell auf ABB zugeschnittenen Katalogen integriert.

Ergebnis: Bedarfsbündelung führte zu Preisreduktionen von durchschnittlich zehn Prozent.

Basis: Sourcing-Plattform von Ariba.

Realisierung: Inhouse und mit externen Beratern.