Where is the tiger?

20.06.1981

Dem Unternehmensbereich Daten- und Informationssysteme der Siemens AG droht erneut Ärger mit seinen Kunden. Denn es sieht nicht so aus, als ob die Münchner ihre 7.500er Top-Modelle7.561 und 7.571 ab September 1981 ausliefern könnten, wie dies bei der Ankündigung im Juni 1980 in Aussicht gestellt worden war (CW 25 vom 20. Juni 1980, Seite 1: "Siemens-Lückenfüller konkurriert mit 4331-2").

Die Frage, ob Siemens mit den neuen Zentraleinheiten überhaupt zu Potte kommt, drängt sich auf. Dazu ist erwähnenswert, daß es sich bei dem 7.561/7.571-Prozessor - werksintern "Tiger" genannt- um eine Siemens-eigene Entwicklung hahdelt, von der sich die Münchner einen enormen Performance-Gewinn versprachen.

Wie groß auch immer die Leistungsvorteile des Tigers gegenüber den vorhandenen 7.500er Prozessoren sein mögen, einige Siemens-Leute scheinen selbst nicht mehr daran zu glauben daß das Wunderding, Marke Eigenbau, in absehbarer Zeit reif für die Serienfertigung wird.

Außenstehende können zwar nur spekulieren, wo die Hardware-Labors in Neuperlach der Technologie-Schuh drückt (sichere Chips!), aber soviel läßt sich guten Gewissens sagen: Allzuviel scheint man von dem japanischen OEM-Partner Fujitsu, was die Produktion schneller Prozessoren angeht, nicht abgeschaut zu haben. Merke: Die Kochrezepte für ihre neueste Hardware-Generation rücken die Japaner nicht heraus. Auf dem Gebiet der System-Architektur tut sich, wie man gesehen hat, bei den Söhnen Nippons einiges (CW 24 vom 12. Juni 1981: "3081 neben Fujitsu-Jumbo ein Rechenzwerg").

Dem Dilemma, Fertigungs- und Testprobleme öffentlich bekanntgeben zu müssen, will die Siemens-DV-Division offenbar durch eine Übergangslösung entkommen. Da wurde im April dieses Jahres als Nachfolger der betagten 7.762 ein Doppelprozessor-Modell 7.552 auf den Markt gebracht; das das Leistungsloch zwischen der 7.551 und der 7.561 schließen soll (CW 14 vom 3. April 1981, Seite 1: "Siemens 7.552 zielt auf IBM 4341-2-Markt").

Die Version 6 des Betriebssystems BS2000 habe sich, laut Siemens, als geeignet für Biprozessoren erwiesen. Nur Taktik, Tarnung? Denn siehe da, der "neue" Rechner sollte kurzfristig lieferbar sein. Für Branchen-lnsider ist damit klar, daß die 7.552 noch nicht den neuen Prozessor verwendet. Für diese Vermutung spricht auch, daß man über wichtige Leistungsdaten der Maschine, wie Speicherzykluszeit oder Maschinenzykluszeit, von den Siemens-Öffentlichkeitsarbeitern keine befriedigende Auskunft erhält.

Siemens-Fans bleibt unbenommen, dies für eine Lappalie zu halten. Neutrale Marktbeobachter brauchen Fakten, sofern sie nicht Bla-Bla reden wollen.

Die Münchner möchten doch sicherlich, daß ihre Ankündigungsversprechungen weiterhin ernstgenommen werden. Also müssen sie sich an ihren eigenen Aussagen messen lassen.

"Mit der 7.500 verfügen wir jetzt über eine Systemfamilie, in der unsere Kunden vom Bürocomputer 7.531 bis zum Großrechner 7.571 unter einem Betriebssystemdach aufsteigen können", hatten sich die Siemens-Mannen noch vor Jahresfrist gefreut. Angespielt wurde offenkundig auf den "großen Bruder" IBM, den der Betriebssystem-Riß zwischen OS und DOS plagt. Gegenüber dem Hauptkonkurrenten auf dem Universalrechner-Sektor mußte es Siemens gelegen kommen, auf die BS2000-Klammer hinweisen zu können. Auf einmal zählten Vorteile wie Elastizität und Anpassungsfähigkeit. Diese Argumente ziehen nicht, solange die Hardware (7.561, 7.571) aussteht.

Auf eine Stellungnahme der Münchner zu diesem Punkt darf man mit Recht gespannt sein.