Internet-Rebell

WhatsApp schlüpft bei Facebook unter

20.02.2014
Von 
Thomas Cloer war Redakteur der Computerwoche.
Der Kurznachrichtendienst WhatsApp versprach, anders als Facebook und Co zu sein: Keine Werbung, keine Auswertung von Nutzerdaten. Doch jetzt wird die kleine Firma mit 450 Millionen Kunden ausgerechnet von Facebook gekauft. Für Nutzer werde sich aber nichts ändern, heißt es.

Facebook kauft mit WhatsApp nicht einfach nur einen populären Kurznachrichten-Dienst. Das weltgrößte Online-Netzwerk holt sich damit auf einen Schlag eine knappe halbe Milliarde Nutzer samt Zugang zu ihren Daten und Adressbüchern. Dabei präsentierte sich die Firma aus Kalifornien stets als Ausnahme im Internet-Geschäft. WhatsApp schalte keine Werbung und müsse deshalb auch keine Nutzerdaten auswerten, betonte Mitgründer Jan Koum gebetsmühlenartig.

"Wir interessieren uns nicht für Informationen über unsere Nutzer", erklärte er noch im Januar auf der Innovationskonferenz DLD in München. Stattdessen reiche die überaus moderate Gebühr von einem Dollar im Jahr für den Betrieb. Jetzt schlüpft WhatsApp aber ausgerechnet bei einem Unternehmen unter, das davon lebt, die Werbung an sein ausgiebiges Wissen über die 1,2 Milliarden Mitglieder anzupassen. Wenn man sich zuvor als Rebell gegen die Konventionen der Internet-Industrie gab, bringt das einigen Erklärungsbedarf.

Für die WhatsApp-Nutzer werde sich nichts ändern, versprach Koum so auch rasch in einem Blogeintrag, nachdem der 19 Milliarden Dollar (4 Milliarden in bar, 12 Milliarden in Aktien plus Aktienoptionen über weitere 3 Milliarden für die WhatsApp-Gründer und -Mitarbeiter) schwere Deal bekanntgegeben wurde. Nach wie vor würden keine Werbeanzeigen die Kommunikation mit Freunden stören. Es hätte keine Partnerschaft mit Facebook gegeben, wenn dies WhatsApp Kompromisse bei Grund-Prinzipien abverlangt hätte.

"Wir denken, dass für unser Produkt Werbung nicht geeignet ist", betonte Koum auch in einer Telefonkonferenz mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Beide versicherten, WhatsApp werde eigenständig bleiben, auch wenn Zuckerberg klar zu verstehen gab, dass die Sache mit dem Geldverdienen noch besser werden müsse. Man werde schauen, wie man WhatsApp zu einem wirklich großartigen Geschäft machen könne, sagte er.

Schließlich würde es bei einem Dollar pro Jahr lange dauern, den haushohen Kaufpreis wieder herauszuholen, selbst wenn WhatsApp bald wie erwartet auf eine Milliarde Nutzer anwächst.

WhatsApp finanzierte sich Anfangs nur über den Preis für die App und stellte inzwischen auf eine jährliche Abo-Gebühr von einem Dollar um. Angesichts der Größe komme so genug Geld für den Betrieb zusammen, beteuerte Koum noch vor einigen Wochen. "Wir sind nicht gierig. Und wir sind sparsam." Einem Bericht des "Wall Street Journal" zufolge bewältigt WhatsApp rund 50 Milliarden Nachrichten pro Tag mit einem schmalen Budget und nur 55 Mitarbeitern, davon 32 Entwickler und kein einziger im Bereich Marketing oder PR.

Wagniskapital hatte WhatsApp bislang einzig von Sequoia Capital erhalten, das laut Mike Isaac bei "re/code" in drei Runden bislang rund 60 Millionen Dollar für die Company bereitstellte - und mit einem geschätzten Anteil in den High Teens nun um die drei Milliarden Dollar aus dem Exit einstreichen könnte - entsprechend euphorisch äußert sich dann auch Sequoia-Partner Jim Goetz in einem Blogpost. Sequoia macht damit übrigens schon zum zweiten Mal richtig Kasse mit Facebook - es hatte auch wenige Tage vor der Übernahme des Bilderdienstes Instagram durch Facebook eine Series-B-Runde über 50 Millionen Dollar angeführt, die Instagram mit eine halben Milliarde Dollar bewertete.

Apropos kassieren: Einen netten Schnitt machen bei dem Deal auch die Finanzdienstleister, die WhatsApp und Facebook bei der Transaktion berieten. Bei Morgan Stanley für WhatsApp könnte 35 bis 45 Millionen Dollar Honorar herausspringen und bei Allen & Company für Facebook 32 bis 41 Millionen Dollar, berichtet das "Dealbook"-Blog der "New York Times" unter Berufung auf den M&A-Fachdienst Freeman Consulting Services.

Nach Einschätzung des Tech-Bloggers Om Malik gibt es vor allem zwei Gründe dafür, dass Zuckerberg die bis zu 19 Milliarden Dollar für WhatsApp locker macht: Facebook komme mit der Übernahme (möglicherweise) Google zuvor und kaufe einen aggressiven Mitbewerber um die Aufmerksamkeit der mobilen Nutzer vom Markt, schreibt er bei "GigaOM". Cade Metz ergänzt bei "Wired", WhatsApp sei (so wie auch Snapchat) insbesondere populär in der Zielgruppe der Teenager, in der Facebook selbst zuletzt an Boden verloren habe und diese "demografische Lücke" nun mit dem Zukauf auffülle. WhatsApp hat derzeit rund 450 Millionen (mindestens einmal monatlich) aktive Nutzer, von denen 70 Prozent den Dienst täglich verwenden.

Kara Swisher wertet die 19 Milliarden Dollar bei "re/code" als den Preis, den Facebook dafür zahlen müsse, dass es kein eigenes mobiles Betriebssystem von Schlage eines Android oder iOS vorweisen könne. Das soziale Netzwerk, mittlerweile eigentlich ein Konglomerat à la Disney, versuche mittlerweile verstärkt, die verschiedenen Funktionen seines Gesamtdienstes in große mobile Apps aufzubrechen - den hauseigenen Messenger, den neuen Newsreader "Paper", den Kauf von Instagram für 1 Milliarde Dollar - die nun fast wie ein Schnäppchen aussähen - und jetzt auch noch WhatsApp. "WhatsApp ist die einzige App die uns je untergekommen ist, die ein höheres Engagement aufweist als Facebook selbst", sagte Mark Zuckerberg in der Telefonkonferenz zur Ankündigung der Übernahme - und das ist nach Einschätzung von Ellis Hamburger für "The Verge" der vielleicht einzig echte Grund für den Kauf.

WhatsApp-CEO Koum, der im Alter von 16 Jahren mit seinen Eltern aus der Ukraine in den USA auswanderte und sich nach beider Tod dann bald allein durchschlagen musste, erhält einen Sitz im Verwaltungsrat von Facebook. Die bewegte und bewegende Geschichte(n) von Koum, seinem Mitgründer Brian Acton und WhatsApp kann man ausführlich bei "Forbes" nachlesen. Acton, der wie Koum früher für Yahoo arbeitete, hatte sich übrigens 2009 vergeblich um Jobs bei Facebook und Twitter beworben, wie "The Next Web" berichtet.

Darüber, was sich hinter den Kulissen von WhatsApp mit dem Verkauf an Facebook ändern könnte, schwiegen sich die Chefs aus. Aber Koum hatte schon wiederholt betont, dass es für ihn klare Grenzen beim Umgang mit Nutzerdaten gebe. So hakte er auf die Frage, ob WhatsApp zu Kompromissen mit chinesischen Behörden bereit wäre, um auch dort auf den Markt zu kommen, schlicht ab: "Wir machen keine Kompromisse." (mit dpa-Material)