Wettbewerbsvorteile durch strategische Neuorientierung

05.01.1990

Wolfgang Dernbach, Geschäftsführer der Diebold Deutschland GmbH, Frankfurt, und

Präsident des Verwaltungsrates der Diebold (Schweiz) AG, Zürich

Dieser Gastkommentar ist eine Kurzfassung eines Beitrages aus dem Diebold Management Journal Kompetenz Ausgahe 7, November 1989.

Die in nahezu allen Märkten zu beobachtende Verschärfung des Wettbewerbs hat dazu geführt, daß immer mehr Unternehmen sich um größere Markt- und Kundennähe bemühen. Durch "schlankere" Organisationsformen und kleinere überschaubare Einheiten wird vielerorts zur Zeit versucht, schwerfällige Konzerngebilde klar nach Märkten auszurichten. Bürokratische Hemmnisse sollen abgebaut, interne Abläufe gestrafft, Innovationsimpulse und unternehmerisches Potential freigesetzt werden.

Die heute in den Firmen vorzufindende DV-Unterstützung wird diesen geänderten Anforderungen an Schnelligkeit und Reaktionsfähigkeit nur unzureichend gerecht. Die Datenverarbeitung ist nach wie vor weitgehend nach dem traditionellen funktionsorientierten Organisationsmodell ausgerichtet: Synergie-Ausschöpfung durch gleiche DV-Anwendungen durch Funktionen steht im Vordergrund, primäres Ziel ist die Senkung der Software-Entwicklungskosten. Diese Strategie mag bei vergleichbarer Wertschöpfungskette noch aufgehen - sie kann bei wesentlichen Unterschieden jedoch für einen Produktbereich wegen nicht marktgerechter Leistung der zentralen Software sowie aufgrund hoher Kostenumlagen zu Wettbewerbsnachteilen führen.

Auch in der immer weit verbreiteten Vorgehensweise der DV komrmt der traditionelle, funktionsorientierte Ansatz zum Ausdruck: DV-Systemanalytiker erkundigen sich in den einzelnen Abteilungen nach den Anforderungen an die Datenverarbeitung. Nach diesen Wünschen werden die DV-Anwendungen dann entwickelt. Die Organisation der Aufgabenabwicklung, die für Karteien und eventuell Schreibmaschinen entwickelt wurde, bleibt aber erhalten. Die heutige DV-Unterstützung spiegelt denn auch weitgehend das traditionelle, abteilungsorientierte Organizationskonzept wider. Traditionelle Ablaufstrukturen werden auf diese Weise in DV-Programmen verewigt.

Die Organisationsabteilung konzentriert sich typischerweise neben der Strukturorganisation nur auf einzelne Teilaufgaben der Organisation. Eine Abteilung Ablauforganisation beschäftigt sich zum Beispiel mit der operativen Belegbearbeitung, vor allem der Auftragsabwicklung, der Logistik und Produktionsplanung sowie -steuerung, der Buchhaltung, des Rechnungswesens oder auch des Einkaufs.

Betriebswirtschaftliche Planungs- und Steuerungssysteme, vor allem Controlling-Systeme einschließlich der Kostenrechnung, bleiben in der Regel im Verantwortungsbereich der Betriebswirtschaftler, die die operativen elemente solcher Systeme (die Datenerfassung und den gesamten Belegfluß) als organisiert betrachten und sich folglich nicht mehr darum kümmern.

Für die Ablauforganisation fühlt sich höchstens die zentrale DV verantwortlich - sie beschränkt sich aber auf automatisierbare Aufgaben. Selbständigkeit in der Art, wie die Aufgabenabwicklung zu organisieren ist, reklamieren zudem die technischen Bereiche, insbesondere Produktentwicklung und Produktion, bisweilen auch die Personalabteilung.

Unmittelbare Folge dieser Unstimmigkeiten in der Organisation der Aufgaben-abwicklung sind unter anderem nicht miteinander verbindbare Projekt-Management-Systeme oder auch bereichsbezogene, eigenständige DV-Abteilungen.

Personal Computer, die es dem Nutzer nunmehr erlauben, DV-Unterstützung zu bekommen ohne nun immer auf die ungeliebte zentrale DV-Abteilung angewiesen zu sein, sowie Büroautomation und individuelle DV haben dieses Organisationschaos noch verschärft. Jeder organisiert etwas - allerdings unabhängig voneinander.

Unternehmen, für die Schnelligkeit und Flexibilität in der Kundenbedienung zur entscheidenden Trumpfkarte im Wettbewerbspoker geworden sind, werden die Strukturen ihrer informationstechnischen Unterstützung grundlegend neu gestalten müssen. Die DV-Unterstützung darf nicht länger auf einzelne Funktionen ausgerichtet bleiben, sondern muß Geschäftsprozesse und Managementsysteme insgesamt betrachten. Eine Vielzahl von Untersuchungen, die Diebold in Unternehmen unterschiedlichster Branchen durchgeführt hat, kam zu dem Ergebnis, daß die Beschränkung des DV-Ansatzes auf einzelne Funktionen sowie unterschiedliche DV-Programme und Rechner innerhalb eines Geschäftsprozesses das größte Hindernis auf dem Weg zu Zeitvorteilen im Wettbewerb sind.

Weiterentwicklungen in der Informationstechnik erlauben es heute, die gesamte Organisation eines Unternehmens durch Dezentralisierung zu vereinfachen und trotzdem - auch ohne starke Zentralfunktion - Synergien auszuschöpfen.

Durch theoretisch in allen Unternehmensbereichen verfügbare Informationen über Aufträge, Kunden, Lieferanten, Kapazitäten, Kosten, Management-Anforderungen oder auch Forderungen gegenüber Geschäftspartnern wird vieles einfacher:

- Die Konsolidierung von Ergebnissen erfordert nicht mehr zwingend eine zentrale Buchhaltung über alle Divisions hinweg. Notwendig ist nur noch eine Standardisierung der Bearbeitung, zum Beispiel durch Standard-Software. Operativ kann die Abwicklung dezentral nach Divisions erfolgen.

- Bei der Personalabrechnung ist über ein entsprechendes DV-System lediglich für eine einheitliche Abrechnung zu sorgen. Auch hier müssen die operativen Funktionen nicht von einer Zentralabteilung wahrgenommen werden.

- Noch größere Chancen zur Nutzung von Synergien und zur Vereinfachung organisatorischer Abläufe lassen sich in der Produktentwicklung identifizieren. Der Ablauf kann produktorientiert gestaltet werden, jedoch ist es jederzeit möglich, auch auf gespeicherte Informationen über Materialien oder Verfahren anderer Produktbereiche zuzugreifen.

Moderne Informationstechnik ist letzten Endes ein Schlüssel zur Reduzierung des administrativen Aufwandes und zum Abbau der Bürokratie. Vorausgesetzt, die informationstechnischen Systeme werden ebenfalls - wie die Führungsorganisationen - nach strategischen Geschäftseinheiten und Geschäftsprozessen und nicht länger nach Funktionen ausgerichtet.

Die Überlebens- und Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens wird nicht durch Fortschreiben von Vergangenheitstrends gesichert.

Wer künftig im Markt Erlolg haben will, muß sich in seinen Aktivitäten an Markt- und Wettbewerbsstrukturen orientieren die für einen mittelfristigen Zeitraum von fünf bis sechs Jahren erwartet werden.

Akzeptiert wird heute allgemein, daß die Produkt- und Marktstrategie eines Unternehmens, aber auch seine Unternehmensstrukturen, frühzeitig auf diese erwartete Wettbewerbssituation auszurichten sind.

Mit einer Optimierung traditioneller Ablaufstrukturen und Arbeitsorganisationen ist es da nicht mehr getan. Unternehmen müssen klar nach Märkten ausgerichtet, die Führungsorganisationen nach Geschäftsprozessen neu strukturiert werden.

Das mächtige Organisationsmittel Datenverarbeitung erlaubt dabei heute Lösungsansätze, die nicht mehr mit der Automatisierung des Federkiels vergleichbar sind. Nur wem die Optimierung übergreifender Geschäftsprozesse gelingt, darf auf eine drastische Reduzierung bürokratischer Strukturen hoffen - die allseits gewünschte "schlanke" Organisation setzt insbesondere in Industrieunternehmen solche geschäftsprozeßorientierten Strukturen zwingend voraus.