Westliche Experten zweifeln zunehmend am Erfolg des Prestigeprojekts:Japanische KI-Forschung ist zu einseitig

18.07.1986

Auf zunehmende Kritik stößt in westlichen Expertenkreisen das japanische Computerprojekt der Fünften Generation (FGCS). Bemängelt wird vor allem die Hardware-Euphorie der beteiligten Forscher. In Tokio selbst kursiert derzeit das Gerücht, die FGCS-Mitarbeiter erwägten eine Umstellung der Programmiersprache von Prolog auf Lisp oder Object.

In letzter Zeit ist es um das japanische Prestigeprojekt wesentlich stiller geworden. Auch die Wissenschaftler des speziell für das FGCS-Projekt ins Leben gerufenen Institute for New Generation Computer Technology (ICOT) geben sich auf internationalen Konferenzen weit weniger optimistisch als noch vor einem Jahr (siehe auch CW Nr. 7 vom 15. Februar 1985, Seite 24).

Westliche KI-Experten hatten schon bei der Projektvorstellung im Jahre 1981 am Erfolg des Forschungsvorhabens gezweifelt. Für ihre Begriffe klammerte der Hardware-Ansatz des ICOT von Beginn an entscheidende softwaretechnische Aspekte der Künstlichen Intelligenz nahezu vollständig aus. Für die Europäer und Amerikaner war diese Feststellung allerdings keine Überraschung, da sich die Japaner bislang im SW-Bereich mit ihren Eigenentwicklungen kaum Lorbeeren verdienen konnten.

So wurde kürzlich auch auf der Frühjahrstagung der DEC-Benutzergruppe "Decus" im texanischen Dallas massive Kritik an der fernöstlichen KI-Forschung laut. Nach Ansicht des Referenten Paul Bassett von der kanadischen Netron Inc. konzentrieren sich die Wissenschaftler in Tokio auf logische Formalismen und vernachlässigen dabei Kernpunkte der Künstlichen Intelligenz wie Mehrdeutigkeit und Inkonsistenz. Die Auseinandersetzung mit mathematischen Problemen, die für die eigentlichen Ziele ihrer Disziplin irrelevant seien, ähnele fast schon dem Kampf Don Quijotes mit den Windmühlen. Am wirklichen Sinn der KI gingen diese Aktivitäten jedoch eigentlich vorbei.

Bedenken gegen das japanische "Projekt von nationaler Bedeutung" gibt es auch in deutschen Fachkreisen. Nach Ansicht von Dieter Schieferle, Kl-Experte bei Digital Equipment, haben die FGCS-Forscher im Softwarebereich ausschließlich auf bereits Bekanntes zurückgegriffen und einen "Hardware-Abguß" erstellt. "Eigentlich", so Schieferle, "handelt es sich um eine Wiedergabe von Erkenntnissen, die in der US-Fachliteratur schon längst bekannt sind." Strikte Vorbehalte äußert er gegenüber dem reinen Hardware-Ansatz: Dieser ziele ausschließlich auf eine Steigerung der Verarbeitungsgeschwindigkeit. Schnelligkeit habe aber mit Intelligenz nur sehr bedingt etwas zu tun.

Kognitive Aspekte fallen unter den Tisch

Gerade der bei den Japanern vernachlässigte kognitive Bereich ist für Dieter Bungers, Leiter der Forschungsgruppe Expertensysteme am Institut für angewandte Informationssysteme der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), Sankt Augustin, einer der Kernpunkte der Künstlichen Intelligenz. Bei ernstzunehmenden KI-Systemen sei die SW-Entwicklung immer auch zu verstehen als Modellierung von menschlichem Problemlösungsverhalten und Wissensstrukturierungen. Die Boot-strapping-Strategie der FGCS-Forscher habe zwar von der Theorie her durchaus etwas für sich, könne aber immer nur als Teilaspekt des Gesamtkonzepts Anerkennung finden.

Prolog-Ansatz ist in Fachkreisen umstritten

Die Vorbehalte gegen den vom ICOT verfolgten Ansatz gewinnen nicht zuletzt auch dadurch an Bedeutung, daß die Japaner selbst außerhalb ihres Prestigeprojektes völlig andere Lösungsstrategien verfolgen: In diversen Forschungsvorhaben werden mit Vorliebe Lisp-Maschinen eingesetzt, und die Software-Systeme inkorporieren das Know-how aus etwa 20 Jahren KI-Forschung. Selbst das Ministry of International Trade and Industry (MITI), gleichzeitig Haupttutor des FGCS-Projektes, bildet hier keine Ausnahme.

Informationen der Computerworld Japan zufolge hält sich in Tokio sogar das Gerücht, die Verantwortlichen des ICOT würden ihrem Prolog-Ansatz untreu und verlegten sich auf andere Sprachen wie Object oder Lisp. Zu einer offiziellen Stellungnahme sei man am Institut allerdings nicht bereit.

Daß die Sprachstruktur von Prolog im Zusammenhang mit Parallelverarbeitung Schwierigkeiten aufwirft, bestätigt Peter Schnupp, Gesellschafter der Interface GmbH, München. Das Abfangen dieser Probleme führe dazu, daß alle derzeit auf einem Rechner mit paralleler Architektur implementierten Prolog-Systeme äußerst langsam seien. Dazu ergänzt GMD-Experte Bungers: "Das Management der Parallelität beansprucht so viele Ressourcen, daß der Geschwindigkeitsgewinn gar nicht voll zum Tragen kommen kann."

Aus diesem Grund zeichnet es sich für Peter Schnupp auch ab, daß die konventionelle Technik dem FGCS-Ansatz sehr leicht ein Schnippchen schlagen könnte: Erklärtes Ziel der Japaner ist es, bis 1990 über eine Maschine zu verfügen, die mit einer Verarbeitungsgeschwindigkeit von einer Million LIPS (logische Inferenzen pro Sekunde) aufwartet. Setzte man heute Prolog beispielsweise auf einer Sun-Workstation ein, würden bereits 100000 LIPS erreicht. Bei einer ganz normalen Weiterentwicklung der herkömmlichen Technik sei folglich damit zu rechnen, daß sich in vier Jahren das potentielle Ergebnis der Japaner auch mit konventionellen Mitteln erreichen lasse.

Ein Mißerfolg der FGCS-Forscher wird jedoch nach Ansicht von Kennern der Szene kaum Auswirkungen auf den weltweiten Markt für Künstliche Intelligenz haben. Vor allem im SW-Bereich gelten die Amerikaner ohnehin als führend. So rechnen Experten auch damit, daß die Flut westlicher Kl-Software nach Japan im Falle eines Scheiterns des Prestigeprojekts in Tokio eher noch zunehmen dürfte.