Business-to-Business-Applikation integriert Backend-Systeme

Weshalb Adidas das Extranet für seine Händler erneuert

05.11.1999
MÜNCHEN (qua) - Die Einführung betriebswirtschaftlicher Standardapplikationen ist schuld: Adidas-Salomon benötigt eine neue Lösung für sein Händler-Extranet. Auszeichnen soll sie sich durch individuelle Funktionen und volle Integration mit den Backend-Systemen.

"Wir bewegen uns in einem aggressiven Markt, auf den wir flexibel reagieren müssen", konstatiert Martin Austermann, Leiter des Projekts "Sales Support" beim Anbieter von Sportschuhen und -bekleidung mit Hauptsitz in Herzogenaurach. Flexibilität legte die Drei-Streifen-Company schon vor drei Jahren an den Tag, als sie für ihre 5000 Händler ein Extranet entwickelte, um ihr Telefon-Center zu entlasten und den Vertriebspartnern auch abends und am Wochenende zu Diensten zu stehen (siehe CW 34/98, Seite 37).

Dieses Händlernetz ist teilweise bereits mit den Backend-Systemen, sprich: mit selbstentwickelten Vertriebs- und Materialwirtschafts-Applikationen, integriert. Allerdings werden die Daten bislang nur zweimal in der Stunde aktualisiert. Zudem wurde dafür eine Technik verwendet, die mittlerweile nicht mehr dem allerneuesten Stand entspricht. Die derzeit im Einsatz befindliche Lösung basiert auf dem relationalen Datenbank-Management-System von Sybase und dem vom selben Anbieter stammenden 4GL-Produkt "Powerbuilder". Den "Enterprise Application Server" hatte Sybase damals noch nicht im Angebot. Aber das waren nicht die Gründe dafür, daß Adidas im April kommenden Jahres eine brandneue Lösung in Betrieb nehmen will. Vielmehr hat der Konzern beschlossen, seine großen Niederlassungen nach und nach von ihren alten betriebswirtschaftlichen Anwendungen auf die "Apparel and Footware Solution" (AFS) der Walldorfer SAP AG umzustellen. Unter der Bezeichnung AFS bietet das größte deutsche Software-Unternehmen seit einigen Monaten eine auf die Bedürfnisse der Bekleidungsindustrie abgestimmte Version seiner R/3-Module an. Wie Austermann erläutert, war das Standard-R/3 beispielsweise nicht in der Lage, unterschiedliche Konfektionsgrößen abzubilden, wie es bei Kleidern und Schuhen nun einmal unabdingbar ist.

Mit der Entscheidung, die betriebswirtschaftlichen Anwendungen zu erneuern, mußte Adidas auch das bisherige Extranet-Konzept einer Revision unterziehen. Schließlich sollte die mühsam erreichte Integration nicht dem Softwarewechsel zum Opfer fallen. Im Gegenteil: Austermann hoffte sogar auf eine noch tiefergreifendere Verzahnung des Internet mit der ERP-Welt.

Dafür gab es zwei Möglichkeiten: Zum einen hätte Adidas seine Extranet-Anwendungen beibehalten und mit neuen Schnittstellen ausstatten können. Wer sich mit R/3 auskennt, wird den Haken an der Sache sofort sehen: Derartige Interfaces müssen nicht nur erstellt, sondern auch bei jedem Release-Wechsel neu angepaßt werden. Diesen Aufwand wollte sich Adidas nicht antun - auch wenn diese Lösung einen unübersehbaren Vorteil gehabt hätte: Die Händler, von denen jeder fünfte bereits aktiv am Extranet teilnimmt, hätten sich nicht schon wieder an eine neue Oberfläche gewöhnen müssen.

Deshalb entschied sich Adidas für die zweite Möglichkeit: die Web-Applikationen zu erneuern. Daraufhin galt es, eine weitere Entscheidung zu treffen. Einerseits bietet SAP unter der Bezeichnung "Bapi" Schnittstellen an, mit denen die Anwender selbständig externe Programme an die R/3-Module anschließen können. Andererseits hätte das für Adidas bedeutet, daß jede Anfrage aus dem Extranet direkt auf die R/3-Datenbank zugegriffen hätte. Die Auswirkungen auf die Antwortzeiten sind unschwer vorstellbar. Hinzu kam, daß der Sportartikel-Lieferant Anforderungen hatte, die sich mit der SAP-Software nicht ohne weiteres abdecken ließen.

Über Referenzkunden wie Danfoss oder BMW stieß Adidas auf die Impress Software AG, Hannover. Das 110 Mitarbeiter starke Unternehmen bietet mit "OIS" eine Softwarelösung für die Verbindung zwischen ERP-Systemen und Internet-Applikationen, die standardmäßig Konverter für R/3 enthält. Darüber hinaus stehen die Impress-Entwickler auch für individuelle Anpassungen zur Verfügung.

Wie bereits angedeutet, will Adidas R/3 AFS einsetzen, benötigt aber zusätzliche Funktionen, die den Rahmen der SAP-Branchenlösung sprengen - beispielsweise, um das lukrative Geschäft mit den Vereinen abzuwickeln. In jedem Sommer gehen bei den Händlern Großbestellungen von Fußballvereinen aus ganz Deutschland ein. Die Orders umfassen zumeist zwischen 15 und 30 komplette Garnituren (im Fachjargon "Lots"), die sich aus Trikot, Shorts und Stutzen zusammensetzen. Für diese Bestellungen haben Adidas und Impress gemeinsam eine Web-Applikation mit der Bezeichnung "Teamsport" entwickelt. Sie soll es den Händlern ermöglichen, gemeinsam mit dem Kunden nicht nur die Lots zusammenzustellen, sondern auch für jedes Modell und jede Größe ad hoc die Verfügbarkeit abzufragen.

In AFS wäre das nur schwer realisierbar gewesen. Die SAP-Logik sieht vor, zunächst ein komplettes Bestellformular auszufüllen und dann - mit Hilfe eines "Available-to-Promise"- (ATP-)Check - nachzuprüfen, ob jedes einzelne Teil lieferbar ist. Mit Hilfe der Teamsport-Applikation wird diese Logik umgangen. Die Anwendung lädt, so Austermann, die jeweils benötigten Bestandsinformationen in das OIS-Repository herunter, wo sie für die Ad-hoc-Abfrage zur Verfügung stehen. Der Händler braucht also nicht mit den R/3-Massendaten zu arbeiten und im Extremfall eine Viertelstunde lang auf eine Antwort zu warten.

Die Applikation ist so gestaltet, daß der Händler - wenn er beispielsweise eingibt: Style: Ixypsilon, Farbe: blau-weiß, Größe: 6, fünf Stück - sofort sieht, ob und wann seine Bestellung ausgeführt werden kann. Zum einen spart er damit sich selbst und dem Kunden Zeit, zum anderen lassen sich für den Fall, daß die jeweilige Kombination nicht innerhalb des gewünschten Zeitrahmens lieferbar ist, schnell Alternativen finden - bevor der Kunde möglicherweise zu einem anderen Ausstatter wechselt.

Selbstverständlich ist es immer möglich, daß sich die Verfügbarkeit eines Artikels während des Bestellvorgangs ändert. Deshalb muß der Händler vor dem Ordern noch einmal das SAP-System direkt befragen. Weil aber dieser Fall eher selten auftritt, braucht der Kunde diese Anfrage nicht unbedingt abzuwarten.

Wie das Extranet im allgemeinen, so dient auch diese Applikation nicht nur dazu, den Vertriebspartnern das Leben zu erleichtern, sondern auch dazu, die Belastungsspitzen zu brechen. Laut Austermann gehen die meisten Bestellungen am Montagvormittag ein. Denn die Endkunden bevorzugen den Samstag als Einkaufstag. Weil aber die Adidas-Zentrale samstags nicht besetzt ist, lassen sich auf dem Telefonweg die Orders erst am Montag weitergeben. Das Internet hingegen hat 168 Stunden in der Woche geöffnet. Darüber hinaus will Adidas - in Zusammenarbeit mit den Transport-Dienstleistern - seinen Kunden auch anbieten, daß sie den jeweiligen Status ihrer Lieferung im Web verfolgen können. Last, but not least sollen auch die konzerneigenen Mitarbeiter mit Hilfe der in Arbeit befindlichen Lösung Adidas-Artikel ordern können.

In Betrieb gehen wird die neue Applikation zunächst in Deutschland. Bis zum 1. April 2000 soll auch die Implementiertung der R/3-Module Sales and Distribution (SD) sowie Materials Management (MM) abgeschlossen sein, die die selbstgestrickten Host-Applikationen und die bereits eingeführten R/3-Module FI und CO ergänzen sollen.

In der Folge wird sich, so hofft Austermann, die Zahl der Nutzer weiter erhöhen. Das alte System wurde von 20 Prozent der insgesamt 5000 Händler genutzt. Mit Hilfe einer Direct-Mailing-Aktion und einer Demo-CD will Adidas demnächst für die Anwendung der Extranet-Applikation werben. Denn je mehr Händler sie nutzen, desto eher dürfte sie sich amortisieren.

Die alte Anwendung habe sich übrigens ebenfalls rentiert, beteuert Austermann. Zwar lasse sich nicht bestimmen, wieviel Mehrumsatz daraus resultiere. Aber die Kundenzufriedenheit sei dank des besseren Service nachweislich gestiegen. Und Kundenbindung spiele gerade im einem wettbewerbsintensiven Markt eine nicht zu unterschätzende Rolle.