Bertelsmann-Tochter und Lycos gründen Joint-venture

Werbung im Web soll Surfer in zarte Versuchung führen

23.05.1997

GÜTERSLOH (pg/tc) - Surfer müssen sich mehr und mehr auf Werbung im Internet gefaßt machen. Dem Web-Advertising, so die Meinung vieler Experten, gehört die Zukunft. Als Litfaßsäulen im Netz der Netze werden künftig vor allem Anbieter von Suchmaschinen agieren. Um sich ein Stück des großen Werbekuchens zu sichern, haben jetzt der US-Anbieter Lycos Inc. und der deutsche Medienkonzern Bertelsmann AG ein Joint-venture geschlossen.

Die zarteste Versuchung, die längste Praline der Welt, ein kühles Bit, der weiße Riese ..., Produkte wie diese werden bald nicht mehr nur in TV- und Print-Medien, sondern auch im deutschen Internet um die Gunst der Konsumenten buhlen. Web-Advertising, das in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, beginnt in den USA bereits weitere Kreise zu ziehen.

Wer glaubt, das Internet tauge ausschließlich als Werbeträger für IT-Produzenten, der irrt. Zu den rund 300 Werbekunden der Lycos Inc. - durch ihre gleichnamige Search Engine bekannt - zählen zwar unter anderem AT&T, DEC, IBM, Intel und Microsoft, außerdem Hersteller aus anderen Branchen. Zum Beispiel Avon, Coca Cola oder Toys 'R Us als Vertreter der Konsumgüterindustrie, aber auch Airliner, TV-Sender und Print-Medien. Natürlich dürfen Entertainer wie Disney und Time Warner oder das Finanzwesen mit American Express und Charles Schwab nicht fehlen. Ja, selbst der deutsche Automobilhersteller BMW gibt auf den Lycos-Pages bereits Gas.

Mit 500 Markenprodukten überfluten die 300 Werbekunden von Lycos Anwender, die mit Hilfe des Suchdienstes durchs Internet navigieren. Geht es nach dem Willen der Amerikaner, sollen es noch mehr werden. Rund 50 Prozent der derzeitigen Werbekapazitäten, so Robert Davis, President und CEO der Lycos Inc., seien im US-Service erst ausgelastet.

Noch nehmen sich die weltweit 300 Millionen Dollar, die nach Berechnungen der Marktforscher von Jupiter Communications 1996 in Online-Commercials gesteckt wurden, wie die berühmten "Peanuts" aus. Allein in den USA wurde das gesamte Reklamevolumen im letzten Jahr auf 270 Milliarden Mark beziffert. In naher Zukunft erwarten die Analysten der verschiedensten Lager weltweit jedoch bereits einen Markt zwischen vier und neun Milliarden Mark.

Den Optimismus, daß die werbetreibende Industrie das Internet als neue Marketing-Plattform entdeckt, ziehen Marktforscher und Anbieter insbesondere aus dem Consumer-Verhalten. Surfer verbringen nämlich im Durchschnitt 15 Prozent weniger Freizeit vor dem Fernsehgerät als Personen, die das Web nicht nutzen. Dies ergab eine Studie in den Vereinigten Staaten, die den TV-Konsum von AOL-Anwendern mit klassischen Zuschauern verglich.

"Wenn die Menschen vor dem PC sitzen, dann kommt die Werbung eben zum PC", erklärt Wolfgang Kitza, Geschäftsführer der Bertelsmann Internet Services (BIS), lapidar das Marketing-Potential, das im WWW steckt. Die zunehmende Gewohnheit der Online-Subscriber, einen Teil ihrer Freizeit vor dem Rechner zu verbringen, will sich Bertelsmann jedenfalls zunutze machen.

Zu diesem Zweck hat die BIS ein Joint-venture mit der Lycos Inc. gegründet. Das Unternehmen trägt den Namen Lycos-Bertelsmann und hat die Etablierung der Suchdienste in 37 europäischen Ländern zum Ziel. Die Search Engines sollen sich ausschließlich über Werbung finanzieren. Aufgabe von Bertelsmann ist die Vermarktung sowie Beschaffung von landessprachlichen Inhalten.

Zehn Millionen Dollar wird Bertelsmann zunächst in das Joint-venture investieren. Neben den bereits bestehenden Angeboten in Deutschland, England und Frankreich sollen bis zum Herbst Italien, die Benelux-Staaten und Spanien folgen, die restlichen Länder dann 1998. Christoph Mohn, Geschäftsführer des Joint-ventures Lycos-Bertelsmann, das der BIS unterstellt ist, rechnet damit, bereits nach Ablauf eines Jahres kostendeckend zu arbeiten.

Gemessen an den 300 Kunden der US-Mutter nehmen sich die knapp 40 deutschen Werbepartner, die Lycos-Bertelsmann gegenwärtig aufweist, - darunter Lufthansa, Karstadt, Hypo Bank, TUI etc. - eher bescheiden aus. Nur sechs Millionen Mark wurden 1996 in Deutschland mit Online-Commercials umgesetzt. "Das ist lächerlich und natürlich noch nichts, wovon wir leben könnten", räumt BIS-Chef Kitza ein, gibt aber zu bedenken, daß dieses Business erst aufgebaut werden muß.

20 bis 30 Prozent des Marktanteils strebt Bertelsmann im Web-Advertising an, das mittelfristig eine lukrative Einnahmequelle werden könnte. Immerhin wurden in Deutschland vergangenes Jahr rund 38 Milliarden Mark in den Bereichen TV, Zeitschriften, Tageszeitungen sowie Direkt-Marketing für Reklame ausgegeben, und künftig werden, da ist sich Kitza sicher, die Werbemittel auch kräftig ins Internet fließen.

Nach Ansicht der Marktforscher ist das Web ein ideales Forum für Werbung. Für das Internet spricht ihrer Meinung nach neben der Möglichkeit, Markennamen bekannt zu machen, besonders die Chance des Direkt-Marketing. Gelingt es der Reklame nämlich, die Aufmerksamkeit des Surfers zu gewinnen, kann er direkt in die Pages des Werbetreibenden gelockt und dort kostengünstig mit vielen Informationen versorgt werden. Unter Umständen kommt es dann sogar online zum Kauf.

Im WWW die Werbetrommel zu rühren könnte sich für bestimmte Anbieter in Zukunft durchaus lohnen. Im Kostenvergleich zu anderen Reklameforen nimmt das Web-Advertising einen Mittelplatz ein. Derzeit muß der Kunde im Schnitt für 1000 Pageviews 50 Mark berappen - das ist gegenüber der TV-Werbung teuer, gemessen an Zeitungsanzeigen billig.

Noch, so Kitza, spielen Überlegungen, ob Waschmittel eher nachmittags und Bier mehr abends im Web beworben werden sollen, eine untergeordnete Rolle. Doch auch für solche Fragen beginnt sich das Bewußtsein zu schärfen. Laut Jupiter Communications soll die Zahl der Online-Haushalte von derzeit 3,7 Millionen in Europa im Jahr 2000 bis auf 16,5 Millionen steigen. Kitza dazu: "Kein Wunder, daß die Persils und Langneses dieser Welt über Internet-Werbung nachdenken."

Umleitung

Die Suchmaschine "Lycos" meint es vermeintlich gut mit ihren Anwendern: Durch eine automatische Spracherkennung wird der Surfer auf die zu seiner geografischen Region gehörenden Seiten umgeleitet. Gibt ein deutscher Benutzer die Adresse www. lycos.com an, wird er auf www-geman.lycos umgeroutet. Will derselbe Anwender aber die mit anderer Funktionalität ausgestatteten US-Seiten nutzen, wird es problematisch: Zwar landet er durch www-english.lycos.com auf der amerikanischen Homepage, beim Klick auf die meisten Verweise setzt der Automatismus aber stets ein "www-german" dort ein, wo "www-english" stehen müßte. Die daraus resultierenden Pages sind fehlerhaft.