Negroponte kritisiert "dumme Aktion der Deutschen gegen Compuserve"

Werbeumsatz des WWW soll auf eine Milliarde Dollar wachsen

16.02.1996

Scharf kritisierte Nicholas Negroponte, Direktor des Media Lab am Massachusetts Institute of Technology (MIT), auf der Multimedia-Messe Milia 96 in Cannes die Versuche, Internet-Inhalte zu zensieren. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Muenchen gegen Compuserve wegen des Verdachtes der Verbreitung von Kinderpornografie bezeichnete er als "dumme Aktion".

Solche Kontrollversuche seien zum einen unnoetig ("Wer in Amsterdam in ein Haus mit der grossen Aufschrift ,Sexshop' geht, der weiss, was ihn erwartet. Das gleiche gilt fuer die elektronischen Pendants, die es im Netz gibt."); zum anderen wuerden sie ohnehin nichts bringen: "Wer verhindern moechte, dass eine Datei oder Message von einem Ort zum anderen geschickt werden kann, der muss schon grosse Teile der USA oder der anderen Laender ausloeschen." Das Internet stamme aus der Zeit des Kalten Krieges und sei so konzipiert, dass es einen militaerischen Erstschlag ueberstehen koenne.

Glaubt man den in Cannes versammelten Fachleuten, so wird der Multimedia-Teil des Internet, das World Wide Web, 1996 endgueltig den kommerziellen Durchbruch schaffen. Nach Angaben Negropontes waechst das WWW derzeit alle 50 Tage auf die doppelte Groesse. 1996 werde das Jahr des elektronischen Geldes, die digitalen Zahlungssysteme wuerden die Finanzwirtschaft komplett umkrempeln.

Allerdings duerfte es in der Alten Welt angesichts der digitalen Feldwege noch eine Weile dauern, bis Negropontes Internet-Traum Realitaet wird. Ein Punkt, der die CD-ROM-Verleger in Cannes nicht unbedingt traurig stimmte: Aufgrund der fehlenden Bandbreiten setzen die meisten Unternehmen derzeit auf die Silberscheiben als Medium.

Andere dagegen favorisieren mittlerweile den Fernseher, ueber den das Internet die Wohnzimmer erobern soll. So hat der niederlaendische Elektronikriese Philips eine Netzverbindung zum TV-Geraet ueber das System der interaktiven CD (CD-i) verwirklicht.

Das System, das in Grossbritannien bereits erhaeltlich ist, soll noch heuer in die deutschen Laeden kommen und das Surfen im WWW via TV-Fernbedienung ermoeglichen. Auch Bertelsmann wird in dieser Richtung aktiv. Wie auf der Milia zu erfahren war, soll der geplante TV-Decoder hierzulande das Internet-Protokoll als Rueckkanal verwenden.