IT in der Medienbranche/Manchette Publicité bewältigt Probleme des Werbedesigns

Werbedienstleister zeigt den Weg zu Web-basierenden Kundenanzeigen

13.10.2000
Kleinanzeigen im Internet fürs Internet sind inzwischen alltäglich, ebenso die Online-Erfassung von Anzeigen für Zeitungen. Für Geschäftskunden reichen die herkömmlichen Lösungen allerdings nicht aus, denn die Gestaltung des Layouts nach den CI-Vorgaben der Unternehmen erlauben sie nicht. Anders neuerdings bei Manchette Publicité: Jean-Marc Henri* skizziert deren künftige Web-basierende B-to-B-Lösung für Anzeigenkunden.

Die Anforderungen waren sehr hoch gesteckt, als Manchette Publicité, Werbedienstleister und Tochtergesellschaft der französischen Verlagsgruppe Philippe Amaury, 1995 seine Internet-Strategie formulierte, zu einem Zeitpunkt also, zu dem das Web noch ein Insider-Medium war. Integration von Vertrieb und Produktionsplanung hieß das übergeordnete Ziel, um Anzeigen vom Frontend-Internet bis zur Faktura durchgängig abzuwickeln.

Konkret hieß dies, eine zentrale Online-Verkaufsstelle für Anzeigen in Tageszeitungen und Zeitschriften, im Fernsehen und auf Websites zu schaffen. Gleichzeitig sollte der Verwaltungsaufwand im Front- und Backoffice sinken und die Zahl der Zwischenhändler ebenso, indem die Unternehmen die Möglichkeit erhalten sollten, ihre Anzeigen selbständig via Web zu gestalten und aufzugeben. "Vor allem benötigten wir eine mit der Debitorenbuchhaltung integrierbare Vertriebsanwendung, denn wir bearbeiten rund 70000 Seiten Rechnungen pro Jahr und wollten den Prüfbedarf verringern", beschreibt Patrick Laz, IT-Leiter bei Manchette Publicité das Produktivitätspotenzial im administrativen Bereich. Darüber hinaus sollte ein Kanal eingerichtet werden, über den Privatanwender ihre Kleinanzeigen aufgeben können. Schließlich wollte man im Internet auch flexible Publikationspläne für Druck- und Online-Medien anbieten. Dies sollte es den Geschäftskunden ermöglichen, einen für sie optimalen Erscheinungsplan anzubieten, zum Beispiel bestehend aus der Buchung einer Kleinanzeige im Le Parisien, eines großen Inserats in L''Équipe sowie zweier Online-Werbungen unter le-parisien.com und cadresonline.fr.

Auslöser dieser Überlegungen war die damals bestehende IT-Landschaft, die ihre Grenzen hinsichtlich Ausbau- und Integrationsfähigkeit erreicht hatte. "1995 war unser IT-Umfeld acht Jahre alt, hochkomplex und extrem schwierig zu warten. Es unterstützte keine neuen Technologien wie etwa das Internet. Zudem konnte unser Datenmodell nicht mehr erweitert werden, so dass sich keine weiteren Funktionen mehr integrieren ließen", schildert Laz die seinerzeitige Situation.

Allerdings klaffte 1995 noch eine große Lücke zwischen diesen fast visionären Forderungen und den damals verfügbaren IT-Lösungen. Zwei Jahre lang testete der Dienstleister die verschiedensten ERP-Pakete. Das Ergebnis war ernüchternd. Zu groß erschien der Aufwand, die Lösungen an die eigenen Anforderungen anzupassen. Zudem bot keine der von ihnen neben den gewünschten branchenspezifischen Funktionen Internet-Fähigkeit und die Unterstützung der klassischen Geschäftsprozesse wie Fakturierung, Kalkulation und Auftragsverwaltung.

Um das Projekt voranzutreiben und nicht noch mehr Zeit mit Evaluierungen zu verlieren, fasste Manchette Publicité 1997 eine eigenentwickelte Lösung ins Auge. Natürlich wäre der damit verbundene personelle, finanzielle und zeitliche Aufwand sehr hoch gewesen. Die Entwicklungszeit hätte vermutlich mehrere Jahre in Anspruch genommen. "Umso erfreulicher war es, als wir im Laufe des Jahres 1997 erfuhren, dass SAP an der Entwicklung einer branchenspezifischen Lösung arbeitete, welche die betriebswirtschaftlichen Anwendungen mit denen des Pre-Press-Bereichs wie Editoren oder Umbruch- und Blattplanungssysteme verbinden sollte", erinnert sich Laz.

IS-M/AM hieß die Lösung damals, Industry-Specific Solution - Media/Advertising Management. Heute ist sie als mySAP.com Media bekannt, und sie ist, wie der Name sagt, mit ihrer Browser-basierenden und personalisierbaren Arbeitsoberfläche (Workplace) Internet-fähig.

Doch auch diese bis 1999 hinzugekommenen Funktionalitäten reichten, gemessen an den Manchette-spezifischen Anforderungen, nicht aus. Ein Web-Editor fehlte, über den die Geschäftskunden ihre Anzeigen online gestalten und aufgeben können, ebenso eine Datenbank, die sowohl die Informationen zu den Anzeigen als auch zu den Kunden erfasst.

Nach der Zusage des Herstellers, diese Anforderungen mit Hilfe der Systems Integration AG abzudecken, fällte Manchette Publicité im Januar 1998 die Entscheidung, seine IT-Infrastruktur auf dieser Basis neu zu gestalten und die Implementierung in zwei Phasen zu unterteilen: Einführung von Media und Installation des Web-Editors inklusive der entsprechenden Datenbankarchitektur.

Anfang Juni 1998 fiel der Startschuss für Phase eins. Die Implementierungspartner waren SAP SI, Axisse - ein französisches Unternehmen - und die französische Niederlassung des Herstellers, wobei letzterer insbesondere die Schulungen der Key-User bei Manchette übernahm. Axisse führte die Kernapplikationen Finanzbuchhaltung und Gemeinkosten-Controlling ein, während SAP SI die branchenspezifischen Anwendungen im Werbe-Management (IS-M/AM) wie Auftragsverwaltung für verschiedene Werbeträger und Provisionsabrechnung implementierte und gemeinsam mit Manchette das Customizing vornahm.

Auf Hardwareseite kamen vier Compaq-Server mit Windows NT 4.0 als Betriebssystem sowie Client-Workstations von Dell und Macintosh zum Einsatz. Die Daten waren in einer Oracle-8-Datenbank abgelegt, auf die rund 70 Anwender - geplant sind 230 - über ein Ethernet-Netzwerk zugriffen. Phase eins dauerte insgesamt sieben Monate, Produktivstart war der 1. Januar 1999.

"Phase eins verlief zufriedenstellend, die Grundlage für das eigentliche Ziel - die Verwirklichung der Internet-Strategie - war damit gelegt", resümiert Laz. "Auch die Voransichten des Web-Editors stimmten uns zuversichtlich, unser Ziel erreichen zu können." Denn zeitgleich mit der Einführung der Kernapplikationen trieb SAP SI die Entwicklung der Web-basierenden Erfassung der Auftrags- und Kundendaten (Advertize X) sowie der dahinter stehenden Server- und Datenbankarchitektur voran.

Der damals in Phase zwei installierte Web-Editor basiert auf der plattformunabhängigen Swing-Bibliothek von Sun, in der die Business Objects wie Microsoft Active Server Pages beziehungsweise die kaufmännischen Server-Objekte des SAP-Systems bereitgestellt werden. Die Objekte im technischen Bereich müssen individuell erstellt werden. Für den Download der Java-Pakete werden signierte Applets eingesetzt, auch direkte Datenbankinteraktionen sind über eine JDBC-Schnittstelle möglich. Der Anwender arbeitet mit nur einer Eingabemaske in seinem Browser.

Die Web-basierende Auftragserfassung unterstützt als Basisfunktion die Authentifizierung für registrierte Benutzer und die Auswahl der gewünschten Inhaltskomponente. Die Selektion von Belegungseinheit und Datum erfolgt anhand der aus dem SAP-System ermittelten Optionen, die Zuordnung der Preise auf der Grundlage der im Web-Editor ermittelten Größeninformationen. Bestätigt der Kunde seinen Online-Auftrag, wird dieser direkt im System eingestellt.

Der Web-Editor zeigt die für die gewünschte Inhaltskomponente möglichen Gestaltungsarten, aus denen der Anwender die passende auswählt. Diese Gestaltungsarten werden mit einer systemspezifischen Dokumentendefinition (DTD) beschrieben. Als Definitionssprache dient dabei XML. Die Online-DTD umfasst alle zur Verfügung stehenden Schriftstile, die grafische Anordnung der Text- und Bildblöcke, den Anzeigenrahmen und die Erfassungshilfen. Das so vom Kunden erstellte Online-Layout der jeweiligen Anzeige wird automatisch vom Web-Editor in das Quark-tag-Format von QuarkXPress konvertiert. Dazu existiert eine Formatvorlage für den Druck, die als Äquivalent zur Online-DTD fungiert. Das soll gewährleisten, dass die Online-Anzeige mit der späteren Druckversion übereinstimmt.

Im Juli 2000 begann man mit der Einführung dieser Architektur. Die anfallenden Anzeigendaten werden via Web oder direkt in XML erfasst, daraufhin zuerst in der Oracle-Datenbank abgelegt und dort in einem dem Newspaper Association of America (NAA)-Standard entsprechenden Format vorgehalten. Die Möglichkeit, direkt XML-Daten zu schicken, nutzen bei Manchette Publicité vor allem Anzeigenagenturen. Vor der Übernahme dieser Daten erfolgt jedoch noch eine Transformation mittels der Beschreibungssprache XSLT, um das Manchette-spezifische Anzeigenformat gemäß dem NAA-Standard umzusetzen.

"Die bisherigen Testergebnisse sind erfreulich. Wir rechnen deshalb damit, den geplanten Start unserer Online-Services am 15. Oktober einhalten zu können", zeigt sich Laz zufrieden, weist jedoch auf Probleme hin: "Vor allem bereitete uns die französische Sprache Schwierigkeiten. Zwar ließen sich die Sonderzeichen online darstellen, sobald wir aber eine online gestaltete Anzeige mit QuarkXPress öffneten, fanden wir nur Platzhalter vor. Das Problem war, dass die Sybase-Datenbank einen US-Zeichensatz verwendete und QuarkXPress Mac Roman."

Eine weitere Schwierigkeit stellte die temporäre Übertragung von Zeitungsfonts im Web dar. Diese wurde erst mit der Version 1.3 des Sun JDK (Java Development Kit) und dem entsprechenden Java-Plugin möglich, auf die das System im August 2000 umgestellt wurde. "Leider hat der Web-Editor durch diese unumgängliche Maßnahme jetzt einen Umfang von 5 MB. Da es sich aber um eine reine B-to-B-Anwendung handelt, glauben wir, dass die damit verbundene Downloadzeit zumutbar ist und von den Vorteilen der Lösung mehr als aufgewogen wird", ist Laz zuversichtlich. Manchette Publicité scheint also eine viel versprechende B-to-B-Lösung für das Anzeigengeschäft gelungen zu sein.

*Jean-Marc Henri ist Projektleiter Internet bei Manchette Publicité in Paris.