Werbebranche sucht verzweifelt IT-Profis

02.08.2007
Von Magdalena Schupelius
Weil sie keine passenden Fachkräfte finden, bilden Agenturen das benötigte Personal selbst aus.
Die Unzufriedenheit mit dem fehlenden Bildungsangebot und der Fachkräftemangel frustriert die Werbeagenturen.
Die Unzufriedenheit mit dem fehlenden Bildungsangebot und der Fachkräftemangel frustriert die Werbeagenturen.

Als die Warnungen laut ausgesprochen wurden, da war es schon zu spät: 2005 sagte Jürgen Gallmann, damals noch Geschäftsführer von Microsoft Deutschland, einen gravierenden Mangel an IT-Fachkräften voraus. Seitdem hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Besonders hart hat es die Werbe- und Medienbranche getroffen. "Hier ist vor allem in den Ballungsräumen mit einer hohen Dichte an IT-, Internet- und Multimedia-Dienstleistern zu wenig qualifiziertes Personal vorhanden", sagt Christoph Salzig, Sprecher des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) in Düsseldorf.

Hier lesen Sie ...

wie es zum Fachkräftemangel in der Medienbranche gekommen ist;

wer zurzeit am Markt gesucht ist;

wie Unternehmen versuchen, den Personalbedarf zu decken;

warum im Ausland der Bedarf nicht gedeckt werden kann;

welche Rolle den Hochschulen zukommt.

Der Mangel bleibt

Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Studienanfänger im Fach Informatik um 26 Prozent gesunken.

In zwei bis drei Jahren werden etwa 14 000 Informatikabsolventen die Hochschulen verlassen.

Am Markt gebraucht werden etwa 20 000 pro Jahr.

In einer BVDW-Langzeitstudie der Medienbranche stimmten die meisten Befragten der Aussage "Es ist schwierig, geeignetes Personal zu finden", zu. Der Durchschnitt lag bei 3,9 von 5 möglichen Zustimmungspunkten.

Der überwiegende Teil der Agenturen und Dienstleister hält das Angebot der Bildungsträger hinsichtlich der Anforderungen der Branche für ungenügend (3.5 Punkte im Durchschnitt).

(Quellen: Statistisches Bundesamt, Bitkom und BVDW)

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de/

592537: Branchenreport Gesundheitsmarkt;

596001: Zukunftssichere Skills;

596137: Arbeitsmarkt für Hightech-Professionals.

Damit fällt ein Schatten auf einen Markt, der zurzeit mit geradezu traumhaften Zahlen glänzt. Die fortschreitende Digitalisierung von Inhalten und Vertriebskanälen, die erweiterten Nutzungsmöglichkeiten neuer Techniken und die zunehmende Bedeutung des Internets und damit des Online-Marketings das sind die treibenden Kräfte in einem heftigen Aufwärtstrend. Die Umsätze im gesamten Online-Werbemarkt stiegen nach Angaben des Online-Vermarkterkreises im BVDW im vergangenen Jahr auf mehr als 1,9 Milliarden Euro. Damit konnte mit klassischer Online-Werbung, mit Suchwort-Vermarktung und Affiliate-Marketing gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 85 Prozent erzielt werden. Und für dieses Jahr prognostiziert der BVDW Werbeumsätze von 2,5 Milliarden Euro. Die Internet- und Multimedia-Dienstleister profitieren von dieser Entwicklung. Thomas Gerteis, CEO der Global Media GmbH, München, kommentiert: "Die veränderten Nutzergewohnheiten wirken sich nun deutlich auf die Marketing-Budgets der großen Unternehmen aus. Hier nimmt der Anteil des Online-Marketings konstant zu und der Höhepunkt ist noch nicht erreicht!"

Erste Aufträge müssen wieder abgelehnt werden

Mit den Umsätzen ist der Personalbedarf in der gesamten Werbebranche gewachsen, doch dem steht im Moment auf dem deutschen Arbeitsmarkt kein entsprechendes Angebot gegenüber. Auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren sei der Personalbedarf in der digitalen Wirtschaft, so das Ergebnis einer Langzeitstudie des BVDW, die dieses Jahr abgeschlossen wurde. Die meisten befragten Unternehmen stimmten der Aussage "Es ist schwierig, geeignetes Personal zu finden", zu. Inzwischen ist genau das nicht mehr nur schwierig, teilweise ist es schlicht unmöglich. Harald Fortmann, Deutschland-Chef der Advertising.com GmbH, Hamburg, sagt: "Manche Agenturen müssen heute schon Aufträge ablehnen, da nicht genug Personal vorhanden ist, um die Geschäfte abzuwickeln."

Nach dem Einbruch der Branche in den Jahren 2001 und 2002 verlor die Tätigkeit bei Agenturen und Online-Dienstleistern deutlich an Attraktivität. "Es ist zu einem Imageverlust gekommen, von dem sich die Branche bis heute nicht erholt hat", sagt BVDW-Sprecher Salzig. Auch Alexander Dewhirst, Geschäftsführer des Recruiting-Netzwerks Designerdock, sieht die Ursache des Fachkräftemangels vor allem in dieser Krise; sie habe viele abgeschreckt. Außerdem haben sich die Unternehmen selbst nur zögerlich auf den Aufschwung eingestellt. Dewhirst: "Die Agenturen haben zwischen 2002 und 2005 kaum Mitarbeiter eingestellt. Jetzt fehlt das Personal mit bis zu drei Jahren Erfahrung."

Zu spät reagiert haben auch die Hochschulen - sehr zum Ärger der Unternehmen. "Die Unzufriedenheit mit den Bildungsangeboten ist gewachsen", sagt Salzig, gewünscht sei mehr Nähe zum Markt und zu den Unternehmen. Für die nämlich gehen die Veränderungen an Universitäten und Fachhochschulen zu langsam voran. "Auch heute noch", kritisiert Fortmann, "wird der Bedarf der jungen digitalen Wirtschaft von den Bildungsinstituten bis auf wenige Ausnahmen nicht erkannt." Auf jeden Fall ziehen sie im Moment zu wenige Studenten an. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Studienanfänger in der Informatik, die den gesuchten IT-Nachwuchs liefern könnte, seit dem Jahr 2000 um 26 Prozent eingebrochen. Bei der bisher üblichen Abbrecherquote von 50 Prozent werden in zwei bis drei Jahren gerade mal 14 000 Absolventen die Hochschule verlassen im Markt gebraucht werden, so schätzt der IT-Verband Bitkom, 20 000 Informatiker.

Gesucht werden vor allem Softwareexperten und Programmierer, aber auch Screendesigner, Datenbankspezialisten und Konzeptioner. "Wir brauchen vor allem Leute, die ein breites Spektrum an technischem Fachwissen mitbringen", sagt Global-Media-CEO Gerteis, nur so sei es möglich, sich schnell in Kundensysteme hineinzudenken. Der Markt ist dynamisch. IT-Experten müssen, um mit den rasanten technischen Weiterentwicklungen Schritt halten zu können, gut ausgebildet und äußerst flexibel sein. Doch genau diese Experten sind knapp am Markt: Alle suchen. "Headhunter verdienen sich im Moment dumm und dämlich", sagt Gerteis. Neben den klassischen Kanälen wie Stellenanzeigen in Zeitungen und Online-Stellenmärkten werden neue Wege beschritten. So nutzen manche Unternehmen Blogs, um auf sich aufmerksam zu machen. Andere suchen bei firmeneigenen Veranstaltungen oder drehen Filme über das Unternehmen. Die EBusiness Agentur torr 21, Reutlingen, begann die Online-Kampagne "Klaus ersetzen", indem sie in einen Film drehte, der das Team und die Firma präsentiert.

Größere Agenturen suchen ihre Mitarbeiter verstärkt im Ausland, doch auch das wird immer schwieriger. Dewhirst: "Aus dem westlichen Europa und von Übersee können kaum Experten gewonnen werden, weil auch dort in der Branche Hochstimmung herrscht und die Löhne vergleichbar mit den deutschen sind." Lediglich in Osteuropa seien noch manchmal Fachkräfte verfügbar. "Die Option Outsourcing im Ausland in Anspruch zu nehmen, erfordert spezifische Marktkenntnisse und ist abgesehen von manchen Programmierungen meist keine Alternative", warnt Salzig.

Die Arbeitsbedingungen müssten attraktiver sein

So bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als in den Kampf zu ziehen und sich zu wappnen in einem neuen "War for talents". Die Gehälter sind gestiegen: Wer gesucht ist, kann mehr verlangen. Aber, so Michael Karoff, Partner in der auf IT spezialisierten Personalberatung Jack Russell Consulting GmbH, München, mit "ein paar hundert Euro mehr ist es nicht getan". Die Agenturen müssten inzwischen Zusatzangebote machen und attraktive Arbeitsbedingungen schaffen, um gesuchte Experten für eine Festanstellung zu gewinnen. Viele nämlich ziehen die Existenz als Freiberufler inzwischen vor. "Sie verdienen oft besser als in Festanstellungen", sagt Dewhirst. Um sie trotzdem zu locken, stocken die Unternehmen die Zusatzleistungen auf. Fortmann etwa berichtet: "Wir haben bei Advertising.com in die Nebenleistungen stark investiert. Schließlich verbringen wir mehr Zeit im Büro als zu Hause." Tatsächlich werden den Mitarbeitern inzwischen in den meisten Unternehmen neben maßgeschneiderter Weiterbildung auch Freizeitmöglichkeiten und Unterstützung bei der Kinderbetreuung geboten.

Auch Ältere erhalten wieder eine Chance

Darüber hinaus zeigen sich die Arbeitgeber gezwungenermaßen flexibel: Zunehmend wird auch älteren Arbeitssuchenden wieder eine Chance geboten. Noch ist das Durchschnittsalter in der Branche insgesamt sehr niedrig, doch, so Headhunter Karoff, "hier werden die Unternehmen dazulernen müssen." Auch Dewhirst sieht hier Veränderungen kommen: "Zurzeit sind unverheiratete familienlose 26-Jährige noch begehrter, weil sie technisch und zeitlich flexibler sind als späte Quereinsteiger, aber das wird sich ändern."

Für Seiteneinsteiger haben sich die Chancen jetzt schon deutlich verbessert. Hier taten sich die Arbeitgeber leichter, verlangt der dynamische Markt doch ohnehin schnelle Weiterqualifikationen, die oft nur in den Unternehmen selbst erworben werden können. Fortmann beschreibt die von ihm gesuchten Mitarbeiter als "technik- und Internet-affin", viel mehr bräuchten sie nicht, denn "alles andere kriegen sie bei uns". Auch Global Media CEO Gerteis findet: "Es muss nicht Harvard sein." Bei Global Media sind auch ein ehemaliger Lehrer, der ein paar Jahre als Fischer in Irland gearbeitet hat, und eine Expertin für Suchmaschinenoptimierung beschäftigt, die vor ihrer Zeit bei Global Media als Miteigentümerin eine Bäckerei geführt hat. Einer der "Heads of Account Management" bei Global Media studierte zunächst Bauingenieurwesen und dann Geologie beides ohne Abschluss. Was an Wissen nicht mitgebracht wird, vermitteln die Unternehmen selbst. "Die Weiterbildung, die wir brauchen, bieten die Bildungsträger eh meistens nicht an", sagt Gerteis.

Arbeitgeber engagieren sich in der Ausbildung

Nicht nur die interne Ausbildung wollen viele Unternehmen selbst in die Hand nehmen: Darüber hinaus engagieren sich, so berichtet Salzig, immer mehr Führungskräfte an Hochschulen und professionellen Weiterbildungsakademien, um "direkten Kontakt zum Nachwuchs zu bekommen und einen eigenen Teil zur Verbesserung der Situation beizutragen". Der BVDW bietet seit März dieses Jahres gemeinsam mit der Deutschen Dialogmarketing Akademie GmbH in Köln den berufsbegleitenden Lehrgang "Fachwirt Online-Marketing" an. Die weiteren Standorte Hamburg und Frankfurt am Main werden im September folgen. Fortmann ist Mitinitiator des neuen Lehrgangs. In einem weiteren Schritt wird der BVDW ein Bildungsnetzwerk gründen. Nach der Sichtung von Stellenanzeigen werden dann gemeinsam mit verschiedenen Bildungsträgern Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten entwickelt, die auf den Bedarf der Unternehmen zugeschnitten sind. Doch behoben ist der Fachkräftemangel damit noch nicht. Salzig könnte Recht haben, wenn er prognostiziert "Es wird gemeinsamer Anstrengungen von Politik, Bildungsträgern und Unternehmen bedürfen, um das Problem langfristig in den Griff zu bekommen."