Online-Training/Studie belegt: Lehr- und Lernangebote im Web weisen große Defizite auf

Wer virtuell studieren will, muss lange suchen

11.08.2000
E-Learning heißt das Zauberwort, mit dem die neuen Unterrichtswelten beschrieben werden. Dahinter verbirgt sich der Traum vom Lernen, unabhängig von Zeit und Raum mit Hilfe der Internet-Technologie. Vision oder Wirklichkeit? Eine Studie der Bergischen Universität-Gesamthochschule Wuppertal nimmt die Bildungsangebote im Web und deren Qualität unter die Lupe. Von Gabriele Müller*

"Wer suchet, der findet - nicht." So beschreibt Beate Klahold, Mitarbeiterin am Audiovisuellen Medienzentrum (AVMZ) der Bergischen Universität, ihre ernüchternden Rechercheergebnisse. Im Auftrag des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung hatte das AVMZ im Web nach Angeboten und Möglichkeiten für virtuelles Lehren und Lernen gesucht. Überprüft werden sollten Entwicklungen und Tendenzen, an deren Ende die virtuelle Universität steht.

"Wir sind bewusst den Weg gegangen, den auch jeder Student oder Weiterbildungswillige gehen würde", ergänzt Jürgen Philipp, Leiter des AVMZ. "Wir haben mit entsprechenden Suchbegriffen das Netz durchforstet." Wer kann was wo und in welcher Form und zu welchen finanziellen Konditionen lernen? Welche Lehrangebote gibt es? Mit diesen Fragen ging das Team an eine aufwändige Fahndung nach Angeboten und Informationen.

Was dabei herauskam, war skurril bis irrelevant. Denn mit Begriffen wie "virtuelles Lernen und Studieren" schmücken sich viele Anbieter unterschiedlichster Dienstleistungen - nur oft nicht diejenigen Hochschulen, von denen seriöse Projekte tatsächlich bekannt sind.

Ist es Unwissenheit oder Unwille, wenn tatsächlich existierende Angebote aus dem Hochschulbereich nicht bei Suchmaschinen angemeldet sind? Philipp beantwortet die Frage so: "Beides. Sicher haben noch nicht alle, die sich im Hochschulbetrieb mit dem Thema befassen, die Gesetzmäßigkeiten und die Chancen des Web genau erkannt." Aber es gibt auch die bewusste Beschränkung des Zugangs von Informationen für ausgewählte Zielgruppen, wie Klahold herausgefunden hat. "Je stärker sich das WWW als Marktplatz für Bildung profiliert, umso restriktiver werden die Barrieren für die Nutzung."

Vor allem Interessenten an beruflicher Fortbildung sind bereit, den von den Lehrgangsanbietern festgesetzten Preis für "Mehrwissen" zu bezahlen. Dieser wird nicht nur von der Qualität des Angebots bestimmt, sondern auch durch den Markennamen des Anbieters. Aber auch in der beruflichen Erstausbildung scheint immer mehr die Devise zu gelten: Wissen ist Macht. "Die Wissensproduzenten der Hochschulen sehen das Netz primär als technologische Plattform, welche die Orts- und Zeitbindung des Lehrens und Lernens aufhebt und die traditionelle Präsenzlehre strukturell verbessert", zieht Philipp ein Fazit. Oft genug wird deshalb der Zugang durch Passwortkontrollen reguliert, um die Inhalte nur für die unmittelbar am Lehr- und Lernprozess Beteiligten zugänglich zu machen. Dazu kommen Fragen des Urheberrechts und die mangelnde Motivation, eigenes Wissen allgemein zu verbreiten.

Von den ersten ernüchternden Ergebnissen ließen sich die Wissenschaftler nicht abschrecken und begaben sich auf den mühsamen Weg, Web-Auftritte von Hochschulen einzeln nach virtuellen Angeboten zu untersuchen. Das Ergebnis: Auf einigen Web-sites lässt sich kein einziges Angebot finden, auf anderen gibt es eine Fülle unterschiedlicher Angebote in den verschiedensten Fächern. Vor allem den Lehranstalten in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen attestiert die Studie hier eine gewisse Vorreiterstellung.

Doch das ist kein Grund zur Freude: "Nur die wenigsten Universitäten und Fachhochschulen informieren schnell und zielgerichtet schon auf der Ebene der Homepage über ihre vorhanden Angebote", hat Klahold herausgefunden. Wer als Bildung Suchender hartnäckig bleibt, Zeit und Geld für die Online-Recherche investiert, muss sich durch endlose Seiten bis zu Lehrstühlen und Instituten durcharbeiten, um Interessantes zu finden - oder eben nicht. Denn Einträge allein sagen wenig über die Qualität aus. Neben der online abrufbaren Literaturliste finden sich da auch schon mal die Seminarankündigung und die Sprechzeiten eines Dozenten. Ist das allein schon virtuelles Lernen?

Von ursprünglich 1200 URLs, die die AVMZ-Mitarbeiter gefunden haben, mussten sie allein mehr als die Hälfte aussortieren, weil diese "unter falscher Flagge fuhren". Unter den relevanten Einträgen blieb letztlich weniger als ein Drittel übrig, das wirklich das Prädikat "elektronisches Studium" verdient. Darunter verstehen die Bildungsfahnder aus Wuppertal mehr als nur bloße Ankündigungen. "Die Möglichkeit zur Interaktion, der Informationsaustausch, Übungen, Experimente, der Einsatz von Film und Ton - alles das erst macht eine sinnvolle Nutzung des Lernens im Web aus", sagt Klahold.

Um solche Angebote aus dem wuchernden Datendschungel he-rauszuheben, haben die Autoren der Studie ein Raster entwickelt, das verschiedene Kategorien von Angeboten erfasst und so eine zielgerichtete Suche ermöglicht. Daraus soll, so das Ziel, noch in diesem Jahr ein Online-Informationssystem für virtuelle Lehr- und Lernangebote werden, das nicht nur dem Sucher das Leben erleichtern soll. Auch die Anbieter von Weiterbildung hat das AVMZ im Auge. Denn zurzeit entwickelt sich parallel eine Vielzahl von Aktivitäten in diesem Bereich. "Die aber müssen, wenn sie nicht öffentlich gefördert werden, einen hohen finanziellen Aufwand für die Entwicklung eines Online-Lernangebots betreiben", so Philipp. Eine Übersicht von Anbietern und Ansätzen kann da für Transparenz sorgen und Kooperationen ermöglichen.

Ob sich die Vision des "Studium virtuale" bald realisieren lässt? Philipp bleibt skeptisch: "Erst wenn sich deutsche Universitäten umstellen und die Entwicklung von Weiterbildungsangeboten auch zu ihrer originären Aufgabe erklären, werden sich potenzielle Einnahmequellen erschließen lassen. Wenn das als Chance genutzt wird, können aus den Hochschulen verstärkt neue Impulse für virtuelle Lehr- und Lernformen erwartet werden."

*Gabriele Müller ist freie Journalisten in Wuppertal.

KONTAKTVirtuelles Lehren und Lernen im WWW - Recherche, Dokumentation, Methodik. Studie im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen am AVMZ der Bergischen Universität Gesamthochschule Wuppertal, Gauss-Straße 20, 42097 Wuppertal, avmz@uni-wuppertal.de.