Was in der Mikro-Euphorie häufig übersehen wird:

"Wer Softwarem-Probleme hat, ist für sich allein gestellt"

28.05.1976

Die Mikros sind - wenn man den Werbeslogans der Halbleiter-Hersteller folgen will - im -Kommen. Wer sich allerdings im CeBIT über das aktuelle Marktangebot auf diesem Sektor informieren wollte, suchte vergebens: Mikroprozessoren wurden in Hannover in der Halle 12 (Elektronic) ausgestellt. Indiz dafür, daß "die Kluft zwischen software-orientierter, digitaler Datenverarbeitung und mit diskreten Bausteinen arbeitender Analogtechnik noch nicht überwunden ist" - wie Fachbeobachter diagnostizieren.

MÜNCHEN, "Der große Schlag kommt spätestens dann, wenn der Anwender merkt, daß die Software fehlt", mit diesen Worten umreißt Werner Hochreiter, Leiter der Softwaregruppe der Firma Tewidata, München, ein Kernproblem, das sich beim Einsatz von Mikrocomputern stellt.

Die Tewidata Gesellschaft für technisch-wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH. bietet als Systemhaus Dienstleistungen auf dem Mikroprozessor-Sektor an, die sich sowohl auf die Software als auch auf die Hardware beziehen. So hat das Münchner Unternehmen unter anderem ein Realtime-Betriebssystem speziell für DEC's LSI-11-Mikroprozessoren entwickelt. das in Festwertspeichern (PROM's) ablaufen kann.

Mikros für Mündige

Hochreiter unterscheidet zwei Benutzerkreise: Anwender, die Prozeßrechner und Minicomputer durch Mikroprozessoren ersetzen, Software-Erfahrung besitzen - also "mündig" sind sind - Anwender, die noch keinerlei EDV-Kenntnisse haben.

Anreiz für Anwender der ersten Kategorie ist in der Regel der Preis, denn Mikros sind von der Leistung her durchaus mit konventionellen Minicomputern wie PDP-8, PDP-11, Nova oder HP 2100 vergleichbar. Die Tatsache, daß sie -in bezug auf Befehlsablaufzeiten etwas langsamer sind als, diese, spielt bei den meisten Anwendungen ein untergeordnete Rolle.

Cobol und PL 1 ungeeignet

Die zweite Gruppe bezeichnet Hochreiter als kritisch: "Bei ihr ist der Eindruck entstanden, Mikroprozessor-Software sei etwas Einfaches." Dabei werde - so der Mikro-Spezialist - in der Euphorie häufig übersehen, daß die Programmierung von Mikroprozessoren im Assembler sehr tiefe Hardware-Kenntnisse voraussetze, was den Software-Aufwand beträchtlich erhöhe: "Spezialisten sind nun mal teurer."

Kommerziell genormte Sprachen wie Cobol und PL 1 eigneten sich nämlich nicht für die Umsetzung auf den technischen Bereich. Zwar sei - konzertiert Hochreiter - eine Programmierung in höheren Sprachen durchaus möglich, bei Anwendungen mit fixen Programmen jedoch nicht sinnvoll.

Überhöhte Softwarepreise?

Der Anwender kenne nur den Hardware-Listenpreis und könne die Gesamtkosten eines Systems nicht im vorhinein abschätzen: "In Relation zur Hardware erscheinen die Softwarepreise überhöht, das kann Mißtrauen hervorrufen", befürchtet Hochreiter. Er spricht dabei die Hersteller nicht frei von Schuld: "Sie haben sich bei der Entwicklung von Mikrocomputern zu sehr auf den Prozessor konzentriert."

Wobei auch hier seiner Meinung nach differenziert werden müsse: "Es gibt eine Gruppe von Mikrocomputer-Herstellern, die von der Prozeßrechnerei herkommt und einen soliden Support bietet - was sich natürlich in den Preisen niederschlägt -, währen andererseits Halbleiterfirmen, die keine Softwareerfahrungen haben, mit billigen Prozessoren marktbeherrschend sind."

Leistungsfähig sei ein Mikrocomputer jedoch erst dann, wenn er über Speicher und vielseitige Ein-/Ausgabeeinheiten verfügt, die mit einer Vielzahl von Peripheriegeräten kommunizieren können: "Waschmaschinen und Registrierkassen sind zwar die Domänen heutiger Mikroprozessor-Einsätze. in Zukunft werden jedoch durch die Mikros Märkte eröffnet, die bisher noch nicht für den Rechnereinsatz erschlossen waren."

Problem der Normung

Die entscheidende Mikroprozessor-Eigenschaft bestehe - so Hochreiter per Definition darin, daß ein logischer Ablauf durch Software realisiert wird: "Der Chip allein ist softwaremäßig noch nicht einsatzfähig."

Hochreiter beklagt deshalb den Mangel an prozeßorientierten, für Mikroprozessoren geeigneten Programmiersprachen, die in Festwertspeichern geladen werden können. Und weiter: "Bisher bastelt jeder Hersteller an eigenen Lösungen herum."

Darüber hinaus gäbe es kaum leistungsfähige Echtzeit-Betriebssysteme für die unterste Ebene der Automation.

Fazit des Tewidata-Mannes: "Wer Software-Problme hat, ist für sich allein gestellt."