Wer siegt im Kampf um die Branchen?

18.10.2005
Microsoft, Oracle und SAP wollen mit Branchenlösungen einen größeren Anteil vom Geschäft mit Business-Software und setzen damit kleine und mittlere Anbieter zunehmend unter Druck.
Während SAP in größeren Unternehmen das Ruder fest in der Hand hält, bietet der Mittelstandsbereich für Konkurrenten noch Potenzial. Der Branchenfokus und Konsolidierungserscheinungen werden das Segment in der nahen Zukunft prägen.
Während SAP in größeren Unternehmen das Ruder fest in der Hand hält, bietet der Mittelstandsbereich für Konkurrenten noch Potenzial. Der Branchenfokus und Konsolidierungserscheinungen werden das Segment in der nahen Zukunft prägen.

Mittelständische Hersteller von Branchensoftware sind in ihrer Eigenständigkeit zunehmend durch die IT-Industrie bedroht." Zu diesem Schluss kommt der Verband der EDV-Software und Beratungsunternehmen (VDEB) aus Bremen. Derzeit betrieben Großunternehmen wie Microsoft und SAP einen aggressiven Verdrängungswettbewerb gezielt in den Branchen, die bislang von mittelständischen Softwareherstellern bedient werden. Hierzu würden die Großen einzelne Unternehmen aufkaufen beziehungsweise Partner massiv subventionieren, um diesen den Eintritt in die anvisierten Märkte zu vereinfachen.

Die Kleinen stärken

Der Verband der EDV-Software und -Beratungsunternehmen (VDEB) hat sich für das kommende Jahr zur Aufgabe gemacht, mittelständische Branchensoftware-Hersteller zu stärken. Bis Ende des Jahres werde eine eigens dafür eingerichtete Aktionsgruppe ihre Arbeit aufnehmen. Zur CeBIT 2006 soll ein konkreter Maßnahmenkatalog vorliegen. Einer Mitteilung des Verbands zufolge sollen kleinere Softwarehäuser die Möglichkeit bekommen, den Quellcode ihrer Applikationen zu hinterlegen, um ihren Kunden damit mehr Investitionssicherheit zu garantieren. Außerdem will die Aktionsgruppe Lizenzmodelle auf Miet-, Leasing- oder Pay-per-Use-Basis erarbeiten. Ein Gütesiegel, das der Verband anhand gemeinsam definierter Kriterien vergeben könnte, soll einen kontrollierten Qualitätsstandard der Software sichern.

Hier lesen Sie …

• wie Microsoft, Oracle und SAP mit Branchenlösungen reüssieren wollen;

• welche Folgen das für kleinere Softwarehäuser hat;

• welche Vor- und Nachteile die Plattformstrategien der Großen den Kleinen bieten.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de/go/

*81723: SAP knüpft Netz für Enterprise Services Architecture (ESA);

*79086: SAP gegen Oracle - Branchenkompetenz entscheidet;

*79043: Systemhäuser kämpfen ums Überleben;

*74172: ERP-Kunden halten Taschen geschlossen.

Tatsächlich scheinen die jüngsten Aktivitäten der weltweit führenden Anbieter von Business-Software die Befürchtungen zu bestätigen. Oracle-President Charles Phillips erklärte Mitte dieses Jahres, der US-amerikanische Datenbankspezialist werde seine Organisation künftig stärker nach vertikalen Branchen ausrichten. Dabei habe der Softwarekonzern acht Industrien im Auge, die vor allem durch gezielte Akquisitionen angegangen werden sollen. Den Anfang hat Oracle bereits gemacht. Mit den Übernahmen von Retek und Profit Logic wurden spezielle Softwarelösungen für den Einzelhandel zugekauft. Über eine Mehrheitsbeteiligung am indischen Softwarehaus i-Flex will Oracle die Position im Markt für Bankensoftware ausbauen.

Im Kampf um die vertikalen Märkte kommen sich die Platzhirsche im weltweiten Softwaregeschäft zunehmend ins Gehege. Wochenlang stritten sich im Frühjahr dieses Jahres Oracle und SAP um den Handelsspezialisten Retek. Erst nach zähem Ringen gaben die Walldorfer mit der Begründung klein bei, sie könnten die Bieterschlacht den eigenen Aktionären nicht weiter zumuten. Die Schlappe hielt die badischen Softwerker jedoch nicht davon ab, sich weiter nach Verstärkungen im Handelssektor umzusehen. Im September wurde SAP fündig und übernahm den kanadischen Softwarehersteller Triversity.

Goliath bedroht David

Oracles Finanzchef Greg Maffei prognostiziert, dass die großen Konkurrenten im Markt für Business-Software auch künftig aneinander geraten werden. Die Branchenkompetenz werde im Wettbewerb eine zentrale Rolle spielen. Maffei zufolge zeichnet sich in den horizontalen Märkten kein klarer Gewinner ab. Dagegen werde in den vertikalen Industrien über kurz oder lang einer der verbleibenden großen Player die Oberhand behalten.

Das geht auf Kosten der kleinen mittelständischen Softwarehersteller, befürchtet Oliver Grün, Vorsitzender des VDEB und Vorstand der Grün Software AG. Offenbar merkten die großen Anbieter, dass sie mit ihren generischen Softwaresystemen nicht mehr weiterkämen. Daher drängten sie verstärkt in das Geschäft mit Branchenlösungen. Diese Strategie sei grundsätzlich nicht verwerflich, räumt Grün ein. Letztendlich würden Branchenlösungen im SAP- und Microsoft-Umfeld allerdings zum größten Teil von Partnern entwickelt. Die Marketing-Kampagnen, die Konzerne wie Microsoft und SAP zur Unterstützung ihrer Partner forcierten, kritisiert der Verbandsvorsitzende als Etikettenschwindel: "Hier wird kolportiert, Kunden sollten besser auf die Lösung eines großen Anbieters setzen, weil nur so die Investitionssicherheit gewährleistet sei." Das sei ein Trugschluss. Die Partner von Microsoft und SAP unterlägen der gleichen Gefahr, insolvent zu werden, wie die unabhängigen mittelständischen Softwarehersteller.

Zahlungsunfähig meldete sich Ende März dieses Jahres beispielsweise das Systemhaus BOG aus Münster. Die Pleite eines der umsatzstärksten Navision-Partner von Microsoft in Deutschland kam für viele Beobachter überraschend. Das Nachsehen hatten die Kunden, die beispielsweise die auf Navision basierende Branchenlösung "Elvis" einsetzten. Die Spezialsoftware für die Werkzeugindustrie hatte BOG gemeinsam mit dem Werkzeug- und Eisenwarenverband EDE entwickelt. "Wir haben viel Geld in die Software investiert", klagte damals Thomas Pletsch, Geschäftsführer der Dönges GmbH & Co KG und BOG-Kunde. Mittlerweile hätten sich die Wogen geglättet, berichtet Pletsch. Das Unternehmen Allgeier IT Solutions, das Teile des BOG-Geschäfts übernommen hat, habe die weitere Entwicklung und Pflege von Elvis zugesagt.

Kampf ums Überleben

"In der Partnerlandschaft und bei den kleineren Softwarehäusern ist noch einiges an Konsolidierung zu erwarten", glaubt Andreas Zilch, Vorstandsvorsitzender der Experton Group. In Deutschland gebe es rund 10000 IT-Dienstleister, zu denen Zilch Systemhäuser, unabhängige Softwarehersteller, IT-Berater sowie Produktanbieter zählt. Die Mehrzahl dieser Firmen sei mit weniger als 40 Mitarbeitern relativ klein. "Finanziell stecken viele dieser Unternehmen in einer kritischen Phase", beschreibt Zilch die aktuelle Situation. "Nicht wenige kämpfen ums Überleben."

Die Schuld will Zilch jedoch nicht den Großen der Softwarebranche in die Schuhe schieben. Zwar agierten Konzerne wie SAP und Microsoft stärker branchenorientiert. Die Schnittstelle zum Kunden, gerade im Mittelstand, bilde aber in aller Regel ein mittelständischer Softwarepartner. Darin liege die Chance für kleinere Softwarehäuser. Weil diese häufig veraltete Software anböten, müssten sie sich entscheiden, entweder selbst neue Software mit einer modernen Architektur zu entwickeln oder sich unter die Fittiche eines größeren Anbieters zu begeben.

Der Berater empfiehlt die zuletzt genannte Alternative. Ein Neuanfang schlage mit Kosten in Höhe eines Jahresumsatzes zu Buche. "Dazu werden die Kleineren nicht die Kraft haben", urteilt Zilch. In einer Kooperation mit Konzernen wie SAP oder Microsoft könnten die kleinen Softwarehäuser auf einer vorgegebenen Plattform aufsetzen und ihre Stärken wie Branchen- und Kundenkenntnis einbringen. "Darauf warten die großen Konzerne doch nur", warnt indes Grün vom VDEB. SAP und Microsoft würben derzeit aggressiv um Partner. Viele Softwarehäuser, die sich darauf einließen, überblickten allerdings nicht die Konsequenzen. Da für jede Installation ein Anteil an den Plattformanbieter abgeführt werden müsse, sinke letztendlich die eigene Rentabilität. Zudem seien die kleinen Softwarepartner den großen Konzernen hilflos ausgeliefert. In deren Zentralen fielen Entscheidungen, auf die Partner keinerlei Einfluss hätten, die jedoch weitreichende Folgen für das eigene Geschäft haben können. "Dagegen kann man nichts machen", lautet Grüns Resümee.

"Es gehört zu einer Partnerschaft, dass man sich gegenseitig eine gewisse Planungssicherheit gibt", relativiert Matthias Haendly, Director Product Marketing für den Bereich Integration Strategies bei SAP, diese Vorwürfe. Zwar könne SAP keine Aussagen für alle Ewigkeit treffen. Partner erhielten jedoch Zusagen, in welchen Bereichen in den kommenden zwei bis drei Jahren keine Eigenentwicklungen geplant seien. Darüber hinaus werde es aber einen gesunden Wettbewerb geben.

Im Rahmen von SAPs Enterprise-Services-Architecture-Strategie (ESA) ändern sich neben dem grundlegenden Softwaremodell auch die Beziehungen zu den Partnern. Die Walldorfer werben mit verschiedenen Initiativen wie dem "Enterprise-Services-ready-Program" und dem "Industry-Value-Network", um Verbündete auf die neue Plattform zu ziehen. Ziel der SAP sei es, Kunden und Partner am Bau der neuen Architektur zu beteiligen. Demnach soll es ihnen künftig beispielsweise möglich sein, eigene Enterprise Services im Repository von SAPs "Business Process Plattform" (BPP) abzulegen.

172 Netweaver-Lösungen

Wer an ESA partizipieren will, muss sich jedoch an die Regeln der SAP halten. Haendly zufolge gibt es einen Zertifizierungsprozess für Software, die auf der Integrationsplattform "Netweaver" aufsetzen soll. Derzeit seien bereits 172 "Powered-by-Netweaver"-Lösungen auf dem Markt. Bis Ende nächsten Jahres sollen es bereits 1000 sein. Weil die SAP-Plattform nicht nur aus Technik, sondern auch aus grundlegenden Anwendungsbausteinen bestehe, könnten Partner schneller Lösungen entwickeln, wirbt der SAP-Manager.

Die fälligen Gebühren richten sich danach, was der Partner für die eigene Lösung nutzt: nur die Netweaver-Technik oder auch Teile des integrierten Anwendungs-Stacks. "Hier gibt es feste Schemata", sagt Haendly, ohne jedoch weiter ins Detail zu gehen. Zudem spiele eine Rolle, inwieweit der Partner in Sachen Marketing und Wartung auf die Ressourcen der SAP zurückgreife. Dafür beständen unterschiedliche Gebühren- und Vertragsmodelle. Zementiert scheint SAPs Regelwerk allerdings noch nicht. Haendly deutet an, dass Aktionen denkbar seien, in deren Rahmen Gebühren reduziert oder erlassen würden, um neue ESA-Partner anzuwerben.

"Eine Service-orientierte Architektur (SOA) allein ist noch keine Lösung für konkrete Probleme", warnt Ralf Gärtner, Vorstand Marketing und Vertrieb von Soft M, vor überzogenen Erwartungen an das neue Softwaremodell. Zwar sei vorstellbar, dass mit Hilfe einer SOA die Entwicklung branchenspezifischer Lösungen vereinfacht werde. "Bis sich das Modell im Markt durchsetzt, wird es aber noch eine Weile dauern."

Daher fühlt sich der Manager des Münchner ERP-Anbieters durch die Branchenbestrebungen der großen Softwareanbieter auch nicht bedroht. Zudem legten die eigenen Kunden Wert auf Branchenkompetenz und forderten, mit ihrem Softwarelieferanten auf Augenhöhe verhandeln zu können. Die Argumentation, die Partner SAPs oder Microsofts seien im Grunde auch Mittelständler, stimme nur vordergründig: "Dahinter stehen die großen Konzerne."

Sich einem der Plattformanbieter anzuschließen habe einen gewissen Charme, gibt Gärtner zu. Als Softwarehaus müsse man sich dann um viele Dinge nicht mehr kümmern und könne ohne weiteres über bestimmte Funktionen verfügen. In der Konsequenz bedeute dies jedoch, dass man sich der Architektur eines Großen verschreibt. Die Konsequenzen sind aus Gärtners Sicht wenig erfreulich: "Ich kann dann eine Liste mit Namen von mittelständischen Firmenkunden präsentieren, die sagen: Danke, das war’s!"