IT in der Medienbranche/Konstruktive Symbiose im Verlagswesen

Wer neue Workflows aufbauen will, muss nicht mit Traditionen brechen

13.10.2000
Immer häufiger fordern Anzeigenmarketing und -vertrieb eine bessere IT-Unterstützung ihrer Geschäftsprozesse. Heterogene Infrastrukturen machen den Aufbau von Workflows nicht leicht. Eine grundlegende Reorganisation kommt aus Kostengründen meist nicht in Frage. Wie sich bestehende und neue Lösungen so kombinieren lassen, dass alle Beteiligten davon profitieren, zeigt Rüdiger Sprunkel* am Beispiel des Deutschen Ärzte-Verlages.

Der Deutsche Ärzte-Verlag mit Sitz in Köln ist im Firmenverbund mit rund 640 Mitarbeitern und einem Gesamtumsatz von knapp 233 Millionen Mark ein typischer Vertreter eines mittelständischen Medienunternehmens. Die Gesellschafter sind zu gleichen Teilen die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Wie der Name bereits verrät, bilden Fachinformationen für Ärzte und andere medizinische Berufe das Kerngeschäft. Mit 350000 Exemplaren wöchentlich ist das Deutsche Ärzteblatt die auflagenstärkste der insgesamt sieben Fachzeitschriften des Verlags. Darüber hinaus produziert und vertreibt das Unternehmen Bücher, Loseblattwerke, elektronische Medien sowie Drucksachen und Organisationsbedarf für die Arztpraxis.

Aber nicht nur Größe und Produktspektrum des Deutschen Ärzte-Verlags sind repräsentativ. Auch die bisherige uneinheitliche IT-Struktur trifft auf die meisten deutschen Verlage vergleichbarer Größe zu: auf der einen Seite die Auftragsverwaltung mit dem Rechnungswesen, auf der anderen Seite Anzeigenverkauf und -marketing. Dazwischen ein Graben, der eine Integration beider Bereiche behindert. Beim Ärzte-Verlag hieß das konkret: Hier die BS-2000-Großrechnerwelt mit dem Anzeigenverwaltungssystem Cosy, der Finanzbuchhaltung und dem Controlling unter SAP/R2 sowie von der DV-Abteilung entwickelte Lösungen zur Auftragsabwicklung und Statistik. Dort eine Landschaft mit verschiedenen PC-Systemen zur Unterstützung der Anzeigenverkaufsabteilung, die jedoch isoliert voneinander arbeiteten. Neben diesen Insellösungen erzeugten aber insbesondere die zwei voneinander getrennten Kundenstämme erhebliche Mehrarbeit. Sowohl die Adressen für die Auftragsabwicklung als auch für den Anzeigenverkauf lagen jeweils in eigenen Datenbanken, die sich nur schwer gegeneinander abgleichen ließen und deshalb separat gepflegt werden mussten. Kurz: Ein durchgängiger Daten- und Workflow zwischen den beiden Welten war kaum möglich.

Innerhalb der Anzeigenabteilung gab es ebenfalls Handlungsbedarf: Die Benutzeroberfläche des bisherigen Anzeigenverwaltungssystems war nicht mehr zeitgemäß, und das System hätte nur mit großem Aufwand den Schritt ins Jahr 2000 geschafft. Weitaus schwerer wogen jedoch die Einschränkungen bei den Marketing-Funktionalitäten.

Hier beschränkten sich die Fähigkeiten der Software primär auf die Selektion von Mailing-Adressen. Für eine gezielte Kundenansprache sowie ein effizientes Customer-Relationship-Management müssen jedoch eine Fülle von Informationen miteinander verknüpft werden. Dazu zählen beispielsweise Markt- und Wettbewerbsanalysen, Besuchsberichte des Außendienstes sowie zahlreiche Informationen über den Kunden: Welche Anzeigen hat er bereits geschaltet, und was ist künftig geplant? Wo inseriert er noch? Oder: Wann macht er seine Media-Planung?

Insellösungen versus Marketing-WorkflowDie bestehenden Insellösungen verhinderten ein umfassendes Informationsmanagement und bildeten den Marketing-Workflow nicht ab. Benötigt wurde daher ein Konzept, das nicht nur sämtliche Prozesse vom Anzeigenmarketing bis zur Rechnungsstellung miteinander verknüpft, sondern auch den gläsernen Kunden schafft.

Grundsätzlich führten zwei Wege dorthin: Entweder werden die vorhandenen Insellösungen um neue Tools für Data Mining und Marketing ergänzt oder an ihre Stelle tritt ein neues Anzeigen-Komplettsystem. Vorteil der zweiten Variante: Über zwei Schnittstellen ließen sich Client-Server- und Großrechnerwelt verbinden und gleichzeitig die bisher getrennten Anzeigen-Datenbestände zusammenführen. Die Entscheidung fiel folgerichtig zu Gunsten eines neuen Anzeigen-Komplettsystems.

Bei der Auswahl des Systems hatte das Projektteam mit Vertretern aus dem Fachbereich und der DV-Abteilung die Messlatte sehr hoch gelegt. Ein umfangreiches Pflichtenheft und intensive Tests ließen das ursprünglich 16 Anbieter starke Feld zunächst auf acht und später auf vier Kandidaten schrumpfen. Diese wurden in Detailpräsentationen von den künftigen Anwendern auf Herz und Nieren geprüft. Das Rennen machte schließlich der "Verlagsmanager" der Softworks AG, vormals Müller & Prange GmbH, aus München, der die Tester hinsichtlich Funktionalität, Benutzerfreundlichkeit und Kosten überzeugte.

Für die Implementierung wurden auf Client-Server-Seite neue Hardware beschafft und die Terminals und PCs der Altsysteme abgelöst. Schwieriger als zunächst angenommen erwies sich die Anbindung des Verlagsmanagers an die BS 2000-Welt: Bei den Schnittstellen zur Finanzbuchhaltung unter SAP R/2 und zur zentralen Adressverwaltung steckte der Teufel im Detail. Und da sowohl die DV-Abteilung des Verlages als auch die Projektverantwortlichen im Softwarehaus keine Kompromisse eingehen wollten, dauerte die Implementierung schließlich knapp sechs Monate länger als geplant - eine akzeptable Verzögerung angesichts einer Gesamt-Projektdauer von 18 Monaten, die zwischen der Ausschreibung und dem Produktivbetrieb vergingen. Darin enthalten war auch ein dreimonatiger Parallelbetrieb, in dem die Schnittstellen ausgiebig getestet wurden.

Wie sieht der neue Workflow nun im Einzelnen aus? Die Auftragsabwicklung für die Anzeigen übernimmt jetzt der Verlagsmanager, während dieser Prozess für den Vertrieb der Zeitschriften und der übrigen Verlagsprodukte auf der BS2000-Plattform verblieb. Die Daten für die Anzeigenrechnungen werden für eine Fibu-Schnittstelle in SAP R/2 aufbereitet. Anzeigenkunden abonnieren gleichzeitig aber auch Zeitschriften und kaufen Bücher beziehungsweise andere Produkte, so dass es zu Überschneidungen mit den anderen Vertriebsbereichen kommt. Die logische Konsequenz war ein automatischer Abgleich der beiden Bestände. Aus dem Adressbestand auf dem BS2000-Großrechner, der weiterhin führend ist, werden mit einem Adress-Master neue beziehungsweise geänderte Kundendaten in die VM-Datenbank übertragen. Da dieser Abgleich im stündlichen Rhythmus durchgeführt wird, stehen die Daten in beiden Systemen quasi in Echtzeit zur Verfügung. Neben dem horizontalen Workflow verbessert der Verlagsmanager vorrangig jedoch den vertikalen Workflow innerhalb des Anzeigen-Marketings. Sämtliche branchenüblichen Auswertungen, die vorher entweder gar nicht oder nur über separate Applikationen möglich waren, sind jetzt unter einer Oberfläche zusammengefasst. Dies sind zum Beispiel Statistiken über geplante und bereits erfolgte Anzeigenschaltungen oder die Auswertung von Besuchsberichten. Zusätzlich lassen sich auch Wettbewerbsanalysen von spezialisierten Drittanbietern importieren und redaktionelle Nennungen der Anzeigenkunden beziehungsweise ihrer Produkte dokumentieren. Das Ergebnis ist eine stark verbesserte Kundentransparenz, die den Mitarbeitern im Anzeigenverkauf Potenziale aufzeigt und fundierte Argumente für das Verkaufsgespräch liefert. Darüber hinaus können sie die Daten dazu nutzen, bestehende und potenzielle Kunden bei der Media-Planung zu beraten. Das System verknüpft aber nicht nur "harte" Daten, sondern erfasst auch persönliche Kennzeichen wie Hobbies, Vorlieben und Gewohnheiten. Kombiniert mit Gesprächsprotokollen und einer Wiedervorlagefunktion schafft dies die Grundlage für ein effizientes Kundenbeziehungs-Management. Neben einem spezifischen Data Mining profitieren auch die Anzeigensachbearbeiter von der geballten Funktionalität. Vom Auftragseingang über die Auftragsbestätigung und Rechnungsstellung bis hin zum Belegversand wickeln sie jetzt sämtliche Geschäftsprozesse mit dem Verlagsmanager ab.

Die bisherigen Ergebnisse der Neustrukturierung des Workflows sind durchwegs positiv. Durch den Verlagsmanager müssen neue Mitarbeiter nun nicht mehr an mehreren Systemen geschult werden, was die Einarbeitungszeit verkürzt hat. Auf der Datenebene haben der zentrale Adressbestand sowie die automatische Verknüpfung zusammengehöriger Daten Mitarbeiter entlastet und damit Kapazitäten für andere Aufgaben freigesetzt. Wertet man das Ausbleiben von Kritik als Lob, dann sind auch die Kunden zufrieden, da sie die eigentliche Umstellung auf das neue System nicht bemerkt haben.

Durch die Verbindung der bislang getrennten Anzeigenbereiche und die Konzentration von Geschäftsprozessen im Anzeigenverkauf wurde bereits eine große Lücke innerhalb der Wertschöpfungskette des Deutschen Ärzte-Verlags geschlossen. Diese Kette soll künftig um weitere Glieder ergänzt werden. Als nächster Schritt ist vorgesehen, die Produktion von Fließtextanzeigen an den Verlagsmanager anzubinden. Platzierung, Druckvorstufe und Qualitätskontrolle, die derzeit noch ein Dienstleister abwickelt, übernehmen dann die eigenen Mitarbeiter.

Nach Euro-Umstellung und Einführung der neuen Version des Verlagsmanagers ist mittelfristig geplant, dem Außendienst mittels Intranet zu ermöglichen, seine Besuchsberichte direkt in den Verlagsmanager einzuspielen und dessen Funktionalitäten zu nutzen. Damit wäre dann sogar die Brücke vom Großrechner zum Internet geschlagen.

*Rüdiger Sprunkel ist Verlagsleiter des Deutschen Ärzteblatts in Köln.

Abb: Ein Anzeigen-Komplettsystem ersetzt Client-Server-Insellösungen und schlägt die Brücke zur Großrechnerwelt. Quelle: Softworks AG