Windows NT wird zehn

Wer ist schuld am Erfolg von Windows NT?

01.09.2003

Internet-Revolution überrascht Bill Gates

Derartige schnelle Reaktionen und Wendungen musste Microsoft auf dem Server wesentlich häufiger vollziehen als auf dem Client. Die Desktop-Dominanz war nämlich nie wirklich in Gefahr, selbst als Bill Gates nach allgemeiner Einschätzung die Internet-Revolution verschlief. Dank der mächtigen Marktstellung und enormer Finanzmittel konnte das Unternehmen den Internet-Pionier Netscape als ausgelagerte Forschungs- und Entwicklungsabteilung benutzen. Microsoft baute wesentliche Produkte der kalifornischen Startup-Company einfach nach und integrierte sie ins Betriebssystem - bis Marc Andreessen & Co. die Luft ausging. Das betraf nicht nur den Web-Browser, sondern auch den "Internet Information Server", der zum Bestandteil des NT-Servers wurde. Dieser Schachzug bereitete Bill Gates fortan auch erhebliche Sorgen: Er war nicht nur der Anlass für den Kartellprozess gegen seine Firma, sondern auch ein Quell nicht enden wollender Sicherheitsprobleme.

Bereits vor der Internet-Wende sah sich Microsoft zu taktischen Maßnahmen gezwungen, um seine Ambitionen im Server-Markt abzusichern. Als Apple und IBM unter dem Codenamen "Taligent" ein neuartiges Betriebssystem ankündigten, hielt Microsoft mit "Cairo" dagegen. Dabei sollte nicht nur ein vollständig objektorientiertes OS herauskommen, sondern der Hersteller versprach noch mehr Erstaunliches: Dazu gehörte nicht nur ein bisher ungekanntes Dateisystem, sondern Cairo sollte auch die beiden Windows-Produktlinien ein Jahr nach dem Erscheinen von Windows 95 zusammenführen. Als die Konkurrenten das Projekt Taligent abbliesen, erwies sich Cairo plötzlich als ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Es sei nie als Produkt geplant gewesen, sondern habe sich um eine technologische Vision gehandelt, hieß es aus Redmond. Heraus kam unter diesem Codenamen schließlich NT 4, das "Shell Update Release". Seine wesentlichste Neuerung bestand in der Übernahme der

Benutzeroberfläche von Windows 95.

Offenbar traute Bill Gates der IBM trotz des OS/2-Debakels zu, ihm zumindest auf dem Server noch gefährlich zu werden. Derartige Ängste musste er zu diesem Zeitpunkt gegenüber Novell nicht mehr hegen. Die Selbstdemontage der Netzwerker aus Utah war Mitte der 90er Jahre schon weitgehend abgeschlossen. Der ehemals dominierende Anbieter von Netz-Betriebssystemen (NOS) hatte bis dahin nicht nur sein gesamtes Desktop-Portfolio verramscht, das teuer erworbene "Wordperfect" inklusive. Er war auch beim Versuch gescheitert, in den Markt für Applikations-Server einzusteigen. Die populäre "Netware" erbrachte Datei-, Druck- und Netzinfrastrukturdienste, eignete sich aber nicht als Anwendungsplattform. Ihr fehlte das robuste Design von Unix oder NT, deshalb brachten fehlerhafte Programme meist das ganze System zum Absturz. Novell erwarb daher die Unix System Laboratories Anfang 1993 von AT&T. In der Folge sollten die Netzdienste von Netware auf "Unixware" portiert und so die Stärken

beider Systeme kombiniert werden. Dieses Vorhaben firmierte unter dem Codenamen "Super NOS". Der Unix-Unterbau sollte dabei die nötige Stabilität für den Applikations-Server bieten. Bereits Ende 1995 verkündete Novell das Aus für Super NOS und verscherbelte Unixware sowie die Unix-Rechte an SCO.

Die tatsächliche Auseinandersetzung zwischen Microsoft und Novell fand indes nicht bei Applikations-Servern statt. Sie war aber wichtig, um Anwender von der Zukunft des eigenen Systems zu überzeugen. Das mit Abstand wichtigste Einsatzgebiet von Windows NT und dessen Nachfolger 2000/2003 sind bis heute Datei- und Druckdienste. Dabei wuchs der Marktanteil Microsofts von Anfang an auf Kosten Novells - und das, obwohl die Software aus Redmond bei diesen Funktionen jahrelang dem Konkurrenten hinterherhinkte. So führte Novell bereits 1993, im Jahr der ersten NT-Version, mit Netware 4 den Verzeichnisdienst NDS ein. Microsoft benötigte von da noch sieben Jahre, ehe es mit Windows 2000 das Active Directory dagegensetzen konnte. Ähnliches galt auch für andere File-Server-Funktionen, etwa die Möglichkeit, den verfügbaren Plattenplatz pro Benutzer einzuschränken.

Linux als neuer Herausforderer

Mit dem Niedergang von Novell und der Beschränkung der Unix-Anbieter auf das obere Leistungssegment schien die Bahn frei für Microsoft. Angesichts des enormen Funktionsumfangs, den die Company für Windows 2000 angekündigt hatte, glaubte kaum noch jemand daran, dass sich Bill Gates nennenswerter Widerstand entgegenstellen werde. Die neue Herausforderung kam indessen aus einer Richtung, mit der noch wenige Jahre vorher niemand gerechnet hätte. Der Open-Source-Hype bescherte Linux die Unterstützung vieler namhafter Hersteller. Der freie Unix-Clone erbringt viele Basisdienste ("Commodity"-Funktionen) der NT-basierenden Windows Server 2000 und 2003. Für Microsoft dreht sich damit der Spieß um: Bisher bedrängte das Unternehmen Anbieter aus dem oberen Marktsegment, indem es Features von hochpreisigen Produkten zum wohlfeilen Allgemeingut machte. Nun rückt von unten freie Software nach und zwingt Bill Gates, sich durch immer komplexere und funktionsreichere

Programme hervorzutun. Im Zug dieser Entwicklung bildet NT-Technologie immer noch die Grundlage der Microsoft-Plattform, aber das traditionelle Verständnis eines Betriebssystems verwischt. Anwender werden stattdessen immer mehr mit einer integrierten Infrastruktur konfrontiert, die auch Funktionen umfasst, die vorher als separate Server-Produkte verkauft wurden.

Im Vergleich zu Netware oder OS/2 hat der Softwareriese mit Linux bestimmt eine härtere Nuss zu knacken. In Kombination mit Java repräsentiert es auch den wichtigsten Widersacher für Windows als Applikations-Server. Es darf daher spekuliert werden, ob der "New Technology" weitere zehn so erfolgreiche Jahre bevorstehen. Wir wünschen jedenfalls alles Gute zum Geburtstag!

Die Anfänge

Schon seine Entstehung verdankt Windows NT keiner detaillierten Roadmap, sondern der diffusen Aussicht, dass in den kommenden Jahren ein Bedarf nach leistungsfähigen und robusten 32-Bit-PC-Betriebssystemen entstehen werde. Microsofts Portfolio bestand 1988, als die Arbeiten an NT begannen, aus MS-DOS und dem Ladenhüter Windows 2.1. Daneben arbeitete die Company zusammen mit IBM an OS/2, dem die Rolle des Operating System (OS) der nächsten Generation zugedacht war. Da Windows zu diesem Zeitpunkt im Markt kaum eine Rolle spielte und nur eine Zwischenstufe bis zum Durchbruch von OS/2 sein sollte, startete Microsoft das NT-Projekt unter der Bezeichnung "NT OS/2". Dass Microsoft überhaupt mit diesem Vorhaben begann, geschah eher zufällig. Digital Equipment (DEC) stellte 1988 die Arbeiten am "Prism"-Projekt ein, aus dem ein Nachfolger für die Midrange-Rechner "Vax" hervorgehen sollte. Dazu gehörte auch ein neues Betriebssystem unter dem Codenamen "Mica". Als Chefarchitekt und

Projektleiter fungierte Dave Cutler, einer der renommiertesten Softwareingenieure dieser Zeit. Bill Gates heuerte Cutler umgehend an, und dieser nahm den Großteil seines ehemaligen Teams mit zu seinem neuen Arbeitgeber. Wie viel Know-how von DEC in Windows NT floss, zeigt der von Mark Russinovich angestellteVergleichmit "VMS".

Den Kurswechsel des Projekts Richtung Windows vollzog Microsoft erst nach dem überraschenden Erfolg der Version 3.0 seines Fenstersystems. Sie wurde entgegen den Absprachen mit IBM der Rolle als Steigbügelhalter für OS/2 ohnehin nicht mehr gerecht, da sie den geschützten Modus des 386-Prozessors nutzte und damit Features bot, die OS/2 vorbehalten bleiben sollten. Angesichts der schnellen Verbreitung von Windows 3.0 erkannte Microsoft die Chance, die entstehende Entwicklergemeinde auch für NT zu gewinnen. Zu diesem Zweck wurden die Programmier-Schnittstellen des neuen Systems (Win32) möglichst eng an jene des 16-Bit-Windows angelehnt. Damit gingen die Umbenennung von "NT OS/2" in "Windows NT" sowie der endgültige Bruch mit IBM einher.

(ws)