Windows NT wird zehn

Wer ist schuld am Erfolg von Windows NT?

01.09.2003
Windows NT wird zehn - wir gratulieren. Die Geschichte des Betriebssystem ist indes eher eine von Pleiten, Pech und Pannen, und zwar nicht nur bei Microsoft, sondern vor allem beim Wettbewerb...

Nicht allein die "New Technology" verhalf Microsofts Betriebssystem zum Durchbruch. Taktisches Geschick, Monopoleinkünfte aus dem Desktop-Geschäft sowie die Unfähigkeit der Konkurrenz bescherten Bill Gates wachsende Marktanteile.

Der Rückblick auf den Werdegang einer erfolgreichen Software vermittelt den Eindruck, als wäre dieser Weg fest vorgegeben gewesen. Denn kaum eine andere Industrie erzählt derart penetrant von ihren Visionen, ihren Roadmaps und ihrer Mission wie die Softwarebranche. Wer sollte da noch bezweifeln, dass erfolgreiche Computerprogramme das Ergebnis einer durchdachten Strategie wären, die zukünftige Märkte und kommende Nutzungsszenarien gründlich kalkuliert?

NT 3.1 mit Kinderkrankheiten

Das zehnjährige Jubiläum von Windows NT hingegen zeigt einmal mehr, dass Softwarefirmen selten nach einem Masterplan agieren, sondern ihre Produkte mit ständigen Kurskorrekturen, taktischen Kniffen und kurzfristig aufgepfropften Features den wechselnden Anforderungen des Marktes anpassen. Im Vergleich zu den visionären Powerpoint-Präsentationen wirkt dieses Geschäft ziemlich profan, aber Flexibilität und schnelle Antworten auf neue Herausforderungen entscheiden häufig über Erfolg oder Misserfolg. Das belegt nicht nur die Karriere von Windows NT, sondern auch das schlechte Abschneiden der Konkurrenz. Die Führungsriegen von Apple, IBM und Novell begingen in der ersten Hälfte der 90er Jahre gravierende Fehler und gaben damit leichtfertig ihre Trümpfe aus der Hand.

Als Windows NT 1993 nach fünfjähriger Entwicklungszeit auf den Markt kam, hielt sich das Interesse der Anwender noch stark in Grenzen. Um das schlechte Image einer Version 1.0 zu vermeiden, feierte die erste Ausgabe als Windows NT 3.1 ihren Einstand - um im Gleichschritt mit der 16-Bit-Version zu marschieren, so die offizielle Begründung. In der Praxis litt NT 3.1 natürlich unter den Kinderkrankheiten einer Version 1.0. Dazu zählten schlechte Performance, für damalige Verhältnisse enorme Hardwareanforderungen und beschränkte Interoperabilität mit Systemen anderer Anbieter. Microsoft verbrachte für das folgende Release 3.5 (Codename "Daytona") ein Jahr primär mit Codeoptimierung, Überarbeitung halb ausgegorener Features und Performance-Tuning. Danach folgten weitere neun Monate der Fehlerbereinigung, die in Windows NT 3.51 mündeten. Es kam im Mai 1995 auf den Markt und war die erste Version, die sich größeren Zuspruchs bei den Anwendern erfreute. Damit bestätigte Microsoft eine weit verbreitete Einschätzung, wonach man bei Software aus Redmond mindestens die dritte Version abwarten müsse.

Windows NT kam von Anfang an in einer Workstation- und Server-Ausführung auf den Markt. Letztere firmierte unter der Bezeichnung "Advanced Server" und umfasste die Funktionen des schon vorher für OS/2 verfügbaren "LAN Manager". Weder für die Client- noch die Server-Version war ganz klar, für welche Aufgaben sie prädestiniert sein sollten. Microsofts Botschaften waren diesbezüglich widersprüchlich. So pries die Company den Server aufgrund seines robusten Designs als Unix-Alternative an und sah in ihm besonders einen Datenbank- und Applikations-Server. Bill Gates träumte bereits davon, dass er mit PC-Servern unter NT bis Anfang des neuen Jahrtausends Mainframes ersetzen könne. Auf der anderen Seite sollte die Client-Version besonders technische Arbeitsplätze erobern und dort CAD/CAM-Anwendungen oder Grafikprogramme ausführen. Schon bald bewarb Microsoft sein 32-Bit-System auch für Firmen-Desktops als Alternative zum absturzfreudigen Windows

3.x. Technologischer Rückstand

Tatsächlich konnte NT lange Zeit weder den Ansprüchen am Client noch am Server genügen und schnitt im Verhältnis zur Konkurrenz nicht besonders gut ab. Die Workstation-Version überforderte in den ersten Jahren den typischen Firmen-PC in puncto Prozessorleistung und Arbeitsspeicher. Hinzu kam die geringe Zahl an verfügbaren Gerätetreibern, so dass NT auf vielen Rechnern nicht nutzbar war. Ähnlich sah es mit 32-Bit-Software aus, die lange Mangelware blieb, so dass das neue System nur als Emulator für alte Programme diente. Dazu zählten solche, die für DOS, Windows 3.x oder den Textmodus von OS/2 1.x entwickelt wurden, sowie Unix-Anwendungen, die mit Microsofts Posix-Implementierung klarkamen.

Ein Mangel an Software und Gerätetreibern ist für ein brandneues Betriebssystem nicht ungewöhnlich. Dafür sollte sich eine "New Technology" aber durch fortgeschrittene Features von der Konkurrenz abheben. Auf dem Desktop brachte NT indes wenig Neues. So war der Apple Macintosh mit seiner bedienerfreundlichen grafischen Oberfläche dem Neuling um Jahre voraus. Die kalifornische Firma schaffte es aber nicht, aus ihrer Nische auszubrechen. Das viel versprechende Projekt "Star Trek", in dem das "Mac OS" auf Intel-Prozessoren portiert werden sollte, wurde ausgerechnet im Erscheinungsjahr von Windows NT eingestampft. Dem Unternehmen gelang es in der Folge nicht, sein Betriebssystem zu erneuern und mit jenen Features auszustatten, die NT auszeichneten: Speicherschutz und präemptives Multitasking. Das dafür eingerichtete Projekt "Copland" verschlang Millionen und verlief schließlich im Sande.

Als ernst zu nehmender Rivale für Windows auf dem Firmen-PC galt OS/2 2.0. Nach dem Bruch mit Microsoft stellte IBM die 32-Bit-Version des Betriebssystems alleine fertig. Es kam im April 1992 auf den Markt und glänzte mit ähnlichen Tugenden wie später NT. Dazu zählten auch ein leistungsfähiges Dateisystem (HPFS) sowie eine ausgezeichnete Unterstützung für DOS- und 16-Bit-Windows-Programme. Die im Oktober 1994 veröffentlichte Version 3 ("Warp") war in den Hardwareanforderungen erheblich genügsamer als NT, obwohl sie mit einer innovativen Benutzeroberfläche ausgestattet war. Diese objektorientierte "Workplace Shell" ließ die Ansammlung von NT-Managern ("Programm-Manager", "Datei-Manager", "Druck-Manager" etc.) buchstäblich alt aussehen. IBM gewährte OS/2 aber intern nicht die notwendige Unterstützung und gewann diese auch nicht von unabhängigen Softwarehäusern. Spätestens mit dem Erscheinen von Windows 95 - und nicht

durch den Erfolg von NT - war sein Schicksal besiegelt. In der Folge amüsierte Microsoft als Desktop-Monopolist das Publikum mit seinem Fortsetzungsroman "Wir führen Windows 9x und NT zu einem System zusammen." Es dauerte allerdings noch bis ins Jahr 2001, als Windows XP diese Ankündigung wahr machte.

Auch auf dem Server verdankt NT seinen Erfolg keineswegs der Überlegenheit seiner "New Technology". Der Rolle als Unix-Killer wurde es trotz aller Marketing-Anstrengungen von Microsoft nicht gerecht. Beim Einsatz großer Datenbanken, einer Domäne von Unix-Servern, mangelte es dem System an Skalierbarkeit. Mehr als vier CPUs konnte es nicht effizient nutzen, eine diesbezügliche Verbesserung brachte erst Windows 2000. Dort gelten acht Prozessoren als Obergrenze. Außerdem erreichte NT nie die Stabilität und Verfügbarkeit von etablierten Unix-Systemen. Diese Einschränkungen bremsten auch die Karriere von NT als Applikations-Server. In der Client-Server-Ära mit ihren meist zweistufigen Anwendungen kam dieser Funktion zwar geringere Bedeutung zu als heute. Die dafür benötigten Fähigkeiten musste ein Betriebssystem aber vorweisen, wenn es zur Ausführung von kaufmännischer Standardsoftware in Frage kommen wollte. Bill Gates erhoffte sich besonders von der Kooperation mit SAP und der Portierung von R/3 im Jahr 1995 auf NT eine Aufwertung seines OS-Flaggschiffs.

Den Wandel von NT zu einem Applikations-Server nach modernem Verständnis trieb Microsoft voran, als der Siegeszug des Internets eine Umstellung auf mehrstufige Anwendungsarchitekturen bewirkte. Unter den Codenamen "Viper" und "Falcon" entstanden ein Transaktionsmonitor und eine asynchrone Middleware namens "MS MQ", die über das "Option Pack" an NT-4-Kunden ausgeliefert wurden. Sie gingen unter Windows 2000 in COM+ ein, eine Infrastruktur für die objektbasierende Transaktionsverarbeitung.