Wer ist der Innovativste in Europa?

20.12.2005
Von 
Peter Sayer ist Korrespondent des IDG News Service.
Schon die Frage nach klaren Kriterien für das Messen von Innovationsfähigkeit lässt das europäische Statistikamt Eurostat unbeantwortet. Deshalb ist auch nicht genau zu sagen, welche Nation insgesamt die Nase vorn hat.
Im Vergleich zum Umsatz nehmen sich die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung bescheiden aus. 2004 setzte die Deutsche Telekom beispielsweise über 57 Milliarden Dollar um, investierte aber lediglich 900 Millionen in FuE.
Im Vergleich zum Umsatz nehmen sich die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung bescheiden aus. 2004 setzte die Deutsche Telekom beispielsweise über 57 Milliarden Dollar um, investierte aber lediglich 900 Millionen in FuE.
SAP gibt für Forschung mehr als viermal so viel aus wie die französische Dassault Systemes.
SAP gibt für Forschung mehr als viermal so viel aus wie die französische Dassault Systemes.
Zu den Entwicklungsausgaben für Hardware zählen die Eurostatistiker offenbar auch TK-Chips. Dadurch schneiden hier andere Nationen wie Finnland, Schweden und die Niederlande besser ab als die drei größten europäischen Volkswirtschaften.
Zu den Entwicklungsausgaben für Hardware zählen die Eurostatistiker offenbar auch TK-Chips. Dadurch schneiden hier andere Nationen wie Finnland, Schweden und die Niederlande besser ab als die drei größten europäischen Volkswirtschaften.

Kann es sein, dass der kleine Inselstaat Malta mit nur 400000 Einwohnern informationstechnisch den besten Durchblick hat?

Hier lesen Sie …

• warum es schwer ist, Innovationen zu messen;

• welches Land mit was die Nase vorn hat;

• wer am meisten für Forschung ausgibt.

Wie häufig hängen Rangplätze und Vergleiche sehr stark von der Messmethode ab: Je nachdem, ob Technikexporte, Innovation, Forschungsausgaben oder Breitbandnutzung der Maßstab sind, kommen andere Antworten zutage. Die skandinavischen Länder führen in Sachen Telekommunikationsanwendung, Deutschland hat die meisten Patente angemeldet, andere wiederum exportieren die meisten Hightech-Produkte. Der Anteil von Hightech-Produkten am Gesamtexport ist dem europäischen Amt für Statistik Eurostat zufolge beispielsweise im jungen EU-Mitgliedsland Malta mit 55,9 Prozent im Jahr 2004 höher als in jedem anderen europäischen Land.

Dass Statistik sehr stark die Einschätzung verändern kann, lässt sich an der Aussage ermessen, dass beispielsweise die Hochburg aller IT, die USA, lediglich auf 27 Prozent Hightech-Anteil und das ebenfalls nicht gerade rückständige Japan nur auf 22 Prozent kommen. Das Schlusslicht in dieser Statistik bildet Deutschland mit 14,8 Prozent, damit hinkt es Frankreich hinterher, das immerhin noch 20 Prozent Hightech-Anteil verzeichnet. Großbritannien liegt mit einem Hightech-Anteil von knapp 23 Prozent an den Gesamtexporten davor.

Briten tummeln sich vor allem im Service-Sektor

Allerdings definiert Eurostat nicht nur Computer als Hightech: Darin enthalten sind auch Produkte aus dem Bereich der Konsumelektronik, pharmazeutische Erzeugnisse, medizinische Instrumente und Flugzeuge. Die enthaltenen Services sind dagegen fast ausschließlich IT-orientiert. Aber wie gesagt, die richtige Messmethode sorgt für die richtige Perspektive.

Die Briten toben ihre Hightech-Ambitionen eher im Servicesektor als in der Herstel- lung aus. Obwohl England und Deutschland ungefähr die gleiche Zahl an Serviceunternemen aufweisen, agieren in England 19 Prozent dieser Dienstleister im Hightech-Umfeld, in Deutschland nur 4,4 Prozent.

Mit Ausgaben für Forschung und Entwicklung versuchen Unternehmen und Nationen, ihre Wettbewerbssituation zu verbessern. Durchschnittlich lagen die Ausgaben für FuE in der Europäischen Union bei 1,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts, die USA geben 2,59 Prozent dafür aus, und Japan investiert 3,15 Prozent seines BIP in Forschung. Außerdem ist in Europa die Staatsquote höher. Während in den USA 63 Prozent der Forschungsausgaben von den Unternehmen getragen werden, sind es in Europa nur 54 Prozent. In Japan kommen 75 Prozent der Aufwendun- gen aus der Privatwirtschaft.

Bis 2010 möchte die europäische Kommission die Forschungsausgaben auf drei Prozent des Bruttosozialprodukts anheben, zwei Drittel davon privatwirtschaftlich finanziert. Die einzelnen Länder haben allerdings teilweise noch einen weiten Weg zurückzulegen, bis sie in die Nähe dieser Marke kommen.

Die Skandinavier liegen am nächsten dran oder sogar darüber: Finnland gab 2004 stolze 3,5 Prozent seines Bruttosozialprodukts für FuE aus. Die Ausgaben stiegen real um vier Prozent. Die Zwei-Drittel-Marke der Privatfinanzierung hat die finnische Wirtschaft ebenfalls bereits überschritten. Schweden hat zwar mit 3,74 Prozent des BSP noch mehr ausgegeben, aber mit rückläufiger Tendenz: Die Ausgaben sanken real um 2,1 Prozent. Die Dänen schaffen mit einem Anteil von 2,63 Prozent und einem jährlichen Wachstum von 4,3 Prozent gute Werte. Allerdings sind erst 61 Prozent der Aufwände privat finanziert. Deutschland hinkt mit einem Anteil von knapp 2,5 Prozent des BSP oder FuE-Ausgaben von 55,1 Milliarden Euro nicht weit hinter den Dänen her. Aber die jährliche Wachstumsrate ist mit 0,8 Prozent mehr als bescheiden. Das reicht nicht, um bis 2010 die Marke von drei Prozent zu schaffen. Die Franzosen dümpeln ebenfalls bei 2,5 Prozent mit wenig Aussicht, den gewünschten Anteil in gegebener Zeit zu erreichen, und einem privatwirtschaftlichen Anteil von rund 50 Prozent. Von Großbritannien gibt es noch keine Zahlen für 2004. Aber die Forschungsaufwendungen auf der Insel bewegen sich seit einigen Jahren auf dem EU-Durchschnitt von 1,9 Prozent. Nicht einmal die Hälfte davon ist privat finanziert.

Kein Zusammenhang zwischen FuE und Profit?

Die Auswirkungen von FuE-Ausgaben sind sehr viel schwerer zu messen. Die Europäische Kommission hat gerade einen R&D-Investment-Führer herausgegeben, in dem die 700 größten R&D-Investoren innerhalb der EU mit der gleichen Anzahl außerhalb der Gemeinschaft verglichen werden. Betrachtet man die 200 Unternehmen mit den größten Forschungsetats, lassen sich keine offensichtlichen Abhängigkeiten zwischen Forschungsausgaben und Nettoumsatz oder Nettoprofit erkennen: Keine der zehn profitabelsten Firmen ist gleichzeitig unter den zehn größten Forschern; genauso wenig sind die Firmen mit den kleinsten Forschungsetats nicht die mit dem geringsten Gewinn. Das Fehlen solcher einfachen Rangreihen bedeutet allerdings nicht, dass es keine Zusammen- hänge gibt. Schließlich zahlt sich angestrengte Forschung unter Umständen erst nach drei, fünf oder zehn Jahren aus.

Deutschland hat die meisten Patente in Europa

Die Zahl der angemeldeten Verfahrens- und Technikpatente ist ein anderer, vielleicht verlässlicherer Indikator für die Effizienz heutiger Forschungsprogramme. Allerdings hat auch diese Betrachtung einen Haken. Viele Innovationen werden in Software gegossen und sind daher in Europa nur sehr bedingt patentierbar. Deshalb lässt auch die Zahl der Patente einigen Raum für Interpretationen. Trotzdem sehen die Zahlen viel versprechend aus. Zwischen 2000 und 2004 wuchs die Zahl der erteilten Patente für die Felder Computer und elektronische Kommunikationstechniken von 2819 auf 5615. Deutschland brachte 741 Patente ein, Frankreich 466, Finnland 288, Großbritannien 238, und auf dem fünften Platz landete Schweden mit 221 Patenten. Allerdings meldeten amerikanische Unternehmen im Jahr 2004 mit 1749 Patenten mehr Technologien beim europäischen Patentamt an als jedes andere europäische Land. Danach folgte Japan mit 1192 Patenten. Im Jahr 2000 kamen allein zwei Drittel aller Anmeldungen beim Europäischen Patentamt aus diesen beiden Ländern. 2004 waren es nur noch knapp über die Hälfte der Patente.

Für das vergangene Jahr liegen zwar noch keine Daten vor, aber dem deutschen Forschungsministerium zufolge haben die Patentanmeldungen im vergangenen Jahr in Schweden, England, den USA und Japan nachgelassen.

Zugegebenermaßen gibt es eine Menge weiterer Indikatoren für die IT-Innovationsrate in den verschiedenen europäischen Ländern. Geeinigt hat man sich europaweit allerdings keineswegs auf die entscheidenden Meßgrößen. Deshalb bleibt es schwierig, das europäische Land mit dem größten IT-Durchblick zu finden. (ciw)