Telearbeit in Unternehmen: Mitarbeiter ohne Stammplatz

Wer flexibel ist, arbeitet produktiver

11.09.2003
Von von Heide
Marktforschern zufolge ist die Produktivität der Telearbeiter höher als bei den Kollegen, die ihren Stammplatz ausschließlich im Büro haben. Ein Telearbeitsplatz lässt sich jedoch nicht von heute auf morgen einrichten. Planung und Organisation sind gefragt.

„DER MEIER hat heute seinen Telearbeitstag." Schwingt da ein Unterton von Skepsis mit in der Antwort auf die Frage nach dem Verbleiben des Kollegen? Telearbeit klingt für viele „stationäre" Mitarbeiter erst mal nach „Faulenzen". Dieser Eindruck ist falsch: Untersuchungen und Erfahrungen von Telearbeitgebern widerlegen diese Annahme und belegen sogar Einsparpotenziale.

Laut dem Marktforschungsinstitut Gallup liegt die Produktivität bei den Telearbeitern um 22 bis 45 Prozent höher - „infolge von weniger Unterbrechungen, geringeren Ausfallzeiten wegen Witterungsbedingungen oder kranken Kindern und dem Wegfallen des Pendelverkehrs zum Arbeitsplatz und zurück." Allerdings: Wer sich auf Telearbeit einlässt, muss dafür technisch und organisatorisch gerüstet sein. „Nötig sind auf jeden Fall eine sorgfältige Planung und eine Umstellung der Arbeitsorganisation", erklärt Maria-Christina Perdikomati, Fachberaterin bei der TA Telearbeit Gesellschaft für innovative Arbeits-, Organisations- und Geschäftsformen mbH in Köln. Eine Grundvoraussetzung für die Einrichtung von Telearbeitsplätzen: „Dokumente müssen online verfügbar sein, das heißt, es müssen elektronische Archive vorhanden sein. Wer mit Aktenordnern arbeitet, sollte sie schrittweise elektronisch verfügbar machen, um einen reibungslosen Ablauf bei der Telearbeit zu ermöglichen."

Die Frage, welcher Arbeitsplatz letztendlich teurer ist - Telearbeitsplatz oder Büroarbeitsplatz -, lässt sich nicht so einfach beantworten. Die Angaben reichen von „plus/minus null" bis hin zu Berechnungen, in denen der Telearbeitsplatz nur knapp die Hälfte eines Büroarbeitsplatzes kostet.

Zunächst einmal unterscheidet sich die rein technische Ausstattung am heimischen Schreibtisch nicht sehr von der im Büro: Vorhanden sein müssen ein PC oder Laptop, Internet-Anbindung, Telefon mit ISDN-Anschluss, Fax und die entsprechende Bürosoftware. Dazu kommen - je nach Anforderung - Anwendungen für den sicheren Remote- Zugriff auf das Unternehmensnetz, die Erweiterung der Telefonanlage oder die Einrichtung eines virtuellen privaten Netzes (VPN).

Neben den einmaligen Ausgaben für Mobiliar, Telekommunikationseinrichtungen sowie Hard- und Software sind bei Einführung von Telearbeit auch Projektkosten zu kalkulieren. Diese beinhalten beispielsweise die Projektplanung, ein Organisations- und Technikkonzept sowie Schulungen. Schulungsinhalte können neben den Gebieten Technik/ Kommunikationssoftware insbesondere die Themen Teamarbeit und -kooperation und virtuelle Teams sein. Und für Führungskräfte sind Seminare zum „Führen mit Zielvereinbarungen" sinnvoll.

Bei den laufenden Kosten haben sich in der Praxis monatliche Zuschuss-Pauschalen in Höhe von 15 bis 120 Euro durchgesetzt. „Bei der Einführung hängen die Kosten beispielsweise davon ab, wie viele Mitarbeiter geschult werden müssen und wie hoch ihr Know-how in Sachen Kommunikationssoftware ist", sagt Telearbeitsspezialistin Perdikomati.

Mehr als sechs Millionen Telearbeiter/- innen gab es 2002 laut einer Untersuchung des Bonner Forschungs- und Beratungsunternehmens Empirica hierzulande. Demnach ist die Anzahl dieser Arbeitskräfte in Deutschland in den vergangenen drei Jahren stark gestiegen - bei der letzten großen Erhebung der Marktforscher 1999 waren es gerade mal 2,1 Millionen Telebeschäftigte. Jeder sechste Erwerbstätige in Deutschland arbeitet der Studie zufolge inzwischen auch außerhalb des traditionellen Büros „unter Nutzung von IuK-Technik zur Übermittlung von Arbeitsergebnissen".

Potenzial erkannt, aber ungenutzt

Etabliert hat sich dabei in den vergangenen Jahren vor allem die Form der alternierenden Telearbeit: Dabei wird regelmäßig zwischen betrieblicher und häuslicher Arbeitsstätte gewechselt. Auch andere Organisationsformen wie „außerbetriebliche" oder „dezentrale Arbeit", wie sie meist vom Außendienst geleistet wird, sind auf dem Vormarsch, ebenso die Einrichtung von Satellitenbüros, Nachbarschaftsbüros, Telecentern oder virtuellen Firmen.

Drei von zehn Erwerbstätigen schätzen laut Empirica ihr Tätigkeitsfeld grundsätzlich als „für häusliche Telearbeit geeignet" ein und könnten mindestens einen vollen Arbeitstag pro Woche zu Hause verbringen. Das Potenzial für alternierende Telearbeit sei somit nach wie vor erheblich größer (um mehr als das Zehnfache), als das die derzeitige Praxis vermuten ließe. Zwar öffneten die Unternehmen zusehends ihre Computersysteme für den Fernzugang, sie zögerten jedoch weiterhin, Mitarbeitern zu gestatten, ganze Tage von zu Hause aus zu arbeiten. Die Diffusion der Technik vollziehe sich also schneller, als die Führungsstile in den Unternehmen sich anpassen können. „Deshalb gibt es heute zwar viele Telearbeitsplätze im technischen Sinn, hingegen relativ wenig abhängig Beschäftigte, die alternierend oder permanent zu Hause arbeiten", meint Empirica-Arbeitsforscher Norbert Kordey.