Verlage wünschen sich den sozial kompetenten Informatiker

"Wer eine halbe Stunde über Oracle schwärmt hat verloren

23.04.1999
von Holger Eriksdotter* Der Online-Auftritt ist für Verlage kaum mehr verzichtbar: Für Aufbau und Betrieb der Sites sind IT-Experten gefragt, die programmieren und kommunizieren können.

Eine gründliche IT-Ausbildung, sehr gute Englischkenntnisse, ausgeprägte Soft Skills, dazu noch die Bereitschaft zu Überstunden - die Wunschliste der Personaler in Verlagen ist lang, wenn es um Mitarbeiter für den Online-Bereich geht.

Und obwohl es auch hier an DV-Fachkräften mangelt, sind die Hürden für den Einstieg hoch: "Ich würde auf der Stelle zehn IT-Experten einstellen - wenn ich Leute mit der entsprechenden Qualifikation finden würde", betont Anton Speer, DV-Leiter des Hamburger Telefon- und Adreßbuchverlages Dumrath & Fassnacht. Dabei ist er, was den Ausbildungsgang der Aspiranten betrifft, nicht festgelegt. Ihm sind auch Naturwissenschaftler, Nachrichtentechniker oder umgeschulte Geisteswissenschaftler willkommen, wenn sie über eine fundierte IT-Ausbildung verfügen. Auch ein Prädikatsexamen ist nicht unbedingte Voraussetzung: Er bevorzugt Absolventen mit kurzer Studienzeit und ist auch bereit, bei der Abschlußnote Zugeständnisse zu machen.

Wer die Theorie beherrscht, arbeitet sich schnell ein

Überzeugen muß der Bewerber vor allem durch sein persönliches Auftreten. "Begeisterung für die angestrebte Tätigkeit, ausgeprägte Dienstleistungsmentalität und überdurchschnittliches Engagement sind ein unbedingtes Muß - da machen wir keine Abstriche", sagt Speer. Praktische Erfahrungen oder Vorkenntnisse in der bei ihm eingesetzten Datenbank- und Entwicklungsumgebung - Oracle DBMS, Designer und Developer 2000 - hält er dagegen für verzichtbar: "Wer die theoretischen Grundlagen beherrscht, hat keine Schwierigkeiten, sich in unsere DV-Umgebung einzuarbeiten."

Hans Wachtel, Geschäftsführer der G + J Electronic Media Service GmbH, die für die Internet-Auftritte des Verlags Gruner + Jahr verantwortlich ist, sieht das ähnlich. Allerdings setzt er etwas andere Schwerpunkte. Bei ihm haben nur Kandidaten mit gutem oder sehr gutem Studienabschluß eine Chance. "Aber das allein reicht bei weitem nicht. Soziale und kommunikative Fähigkeiten sowie Interessen außerhalb der Informatik sind mindestens ebenso wichtig", formuliert der Hamburger seine nicht eben einfach zu erfüllenden Ansprüche.

Auch für ihn hat das Bewerbungsgespräch zentrale Bedeutung. Das dreht sich allerdings nicht ausschließlich um die Fachkenntnisse - wer nicht die nötigen Qualifikationen vorweisen kann, ist ohnehin chancenlos. Vielmehr richtet er sein Augenmerk auf das, was der Bewerber neben seinen auf der Uni erworbenen Fähigkeiten noch zu bieten hat: "Wer Jugendgruppenleiter oder Betreuer im Schwimmverein war, zeigt, daß ihm der Umgang mit anderen Menschen Spaß macht - wer hingegen eine halbe Stunde von Oracle schwärmt, hat schon fast verloren."

Denn Team- und Kommunikationsfähigkeit sind für die künftige Tätigkeit unverzichtbar: Wer Schwierigkeiten hat, sich auf die unterschiedliche Atmosphäre in verschiedenen Redaktionen einzustellen, wird auch mit überragenden Fachkenntnissen scheitern. Und das Spektrum der Online-Präsentationen bei Gruner + Jahr reicht von so unterschiedlichen Publikationen wie Stern und TV Today über Brigitte, Geo und Capital bis zur größten IVW-geprüften Suchmaschine Fireball.

Bei Spiegel-Online stellt sich die Situation etwas anders dar: Im überschaubaren Rahmen einer Redaktion mit flachen Hierarchien und nur etwa 15 bis 20 Mitarbeitern gehört auch für DV-Leiter Georg Heßmann Kommunikationsfähigkeit zu den wichtigen Sekundärtugenden. Aber für ihn steht eindeutig die fachliche Kompetenz im Vordergrund: Sehr gute Kenntnisse in Unix, Internet-Protokollen, HTML und DBMS sind unverzichtbar, Wissen in TCL und Perl hilfreich. Er erwartet vom Bewerber, daß er sich mit dem Produkt identifiziert, Spaß an der Arbeit hat und sich auf gelegentliche Überstunden einstellt. "Daß in einer Redaktion mit aktueller Berichterstattung nicht immer pünktlich Feierabend ist, liegt auf der Hand", sagt Heßmann. Dafür gibt es Freizeitausgleich und eine flexible Arbeitszeitregelung ohne festgelegte Kernarbeitszeit.

Fachmann kontra Manager

Die Aufgaben für Informatiker liegen bei ihm in der Wartung, Planung und dem Ausbau der Präsentationen von Spiegel-Online und dem Manager-Magazin. Hinzu kommen - neben Dienstleistungen als Content-Provider - die Planung und Implementierung kompletter Web-Auftritte für andere Unternehmen - ein Bereich, der weiter ausgebaut werden soll. Nebenher müssen die Informatiker programmieren, Daten archivieren, Statistiken erstellen und auch technischen Support leisten.

Während bei Spiegel-Online eher der Generalist gefragt ist, wünscht sich Geschäftsführer Wachtel den kommunikationsbegabten Informatiker mit Management-Qualitäten, DV-Leiter Speer den engagierten Informationsdienstleister. Alle betonen aber, daß die Fähigkeit zu programmieren unentbehrlich sei. Das reine Codieren allerdings rangiert in der Werte-skala der Uni-Absolventen abgeschlagen am unteren Ende. "Mit ausschließlicher Programmiertätigkeit sind gut ausgebildete Leute unterfordert. Die kann man nicht mit Geld, sondern nur mit reizvollen Aufgaben halten", erklärt Geschäftsführer Wachtel.

Speer hat ähnliche Erfahrungen gemacht, und deshalb die komplette Programmierung des neuen Softwaresystems an ein indisches Unternehmen extern vergeben. Das Projekt in der Größenordnung von 350 Mannjahren wäre mit seinen personellen Kapazitäten im geplanten Zeitrahmen auch kaum zu bewältigen gewesen.

Die DV-Aufgaben in seinem auf Telefon- und Adreßdaten spezialisierten Verlag sind vielfältig, der Online-Bereich macht nur einen kleinen, aber überproportional wachsenden Teil der Unternehmenstätigkeit aus. Nachdem schon die örtlichen Telefonbücher und eine Handelsregister-Datenbank online angeboten werden, ist hier ein Ausbau der Aktivitäten geplant. Zudem bietet er seinen Kunden Web-Design von der Erstellung der Homepage bis zur komplexen Multimedia-Lösung als Dienstleistung an.

Großrechnerkenntnisse sind im Online-Bereich der Verlage kaum mehr gefragt. Zwar steht bei Dumrath & Fassnacht noch ein BS-2000-Rechner. Der soll aber Ende dieses Jahres aus dem Betrieb genommen werden. Schon jetzt hat Speer die Wartungs- und Programmieraufgaben auf dem Großrechner zum großen Teil an externe Dienstleister vergeben: "Damit sollen sich meine Leute nicht mehr belasten. Der Aufwand für Schulung und Einarbeitung auf dem alten BS-2000-System rechnet sich für uns nicht."

Initiativbewerbungen sind gern gesehen

Wer sich für die Verlagswelt entscheidet, kann mit Einstiegsgehältern zwischen 60000 und 80000 Mark rechnen. Spätestens mit 30 Jahren sollte man allerdings den Einstieg hinter sich haben. Ältere Kandidaten haben bei den Personalchefs kaum noch eine Chance. Das Durchschnittsalter in den Online-Redaktionen liegt deutlich unter dem in anderen Branchen. "Der älteste Informatiker in diesem Unternehmen ist 36 Jahre alt, ich bin hier mit 44 schon ein alter Mann", sagt Geschäftsführer Wachtel.

Initiativbewerbungen sind fast überall gern gesehen - und manchmal aussichtsreicher als eine Bewerbung auf ein Stellenangebot. Wachtel: "Wenn wir eine Anzeige schalten, liegen 100 Mappen auf meinem Schreibtisch - die Initiativbewerbung liegt dort ganz allein" und erfreut sich entsprechender Beachtung. Auch Bewerbungen über das Internet sind willkommen und nehmen ständig zu, allerdings nur zur ersten Kontaktaufnahme. "Ohne komplette Bewerbungsmappe mit Foto lade ich niemanden zu einem Vorstellungsgespräch ein", stellt Speer klar.

So unterschiedlich die Aufgaben im Online-Bereich der Verlage auch sein mögen: Eine solide Informatikausbildung bildet auch hier die Grundlage für den Einstieg. Wer sich für die Arbeit in einem Verlag entscheidet, sollte aber nicht nur den Broterwerb im Auge haben. Wenn es auch nicht mehr nach Druckerschwärze riecht - ein wenig Spaß sollte schon dabei sein.

*Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.