Kolumne

Wer braucht eigentlich WinFS?

03.09.2004

Bill Gates prägte vor zehn Jahren mit "Information at Your Finger Tips" einen griffigen Slogan. Der Software-milliardär wollte damit den Eindruck vermitteln, als sei Microsoft die treibende Kraft hinter einer Vision, bei der jedes erdenkliche Wissen nur einen Mausklick weit entfernt wäre. Tatsächlich hat das Unternehmen kaum irgendwo so viele Chancen verpasst wie beim Informations-Management.

Die Kette der Versäumnisse und Fehlschläge ist lang: Der Spätstart ins Internet, weil man dessen Potenzial zuerst verkannte, das zu lange Festhalten am Paradigma der persönlichen Produktivität mit Office, die bis vor kurzem unterschätzte Bedeutung von Suchmaschinen oder der Zickzack-Kurs bei Groupware und Unternehmensportalen. Das vorläufige Aus für WinFS (siehe Seite 10), das gar als "Heiliger Gral" von Longhorn bezeichnet wurde, reiht sich in diese Liste ein - und erinnert an das groß angekündigte objektorientierte Da- teisystem eines geplanten Superbetriebssystems namens "Cairo", das Mitte der 90er Jahre auf dem Müllhaufen der Softwaregeschichte gelandet ist.

Es mag kleinlich erscheinen, einer außerordentlich erfolgreichen Company solche längst vergessenen Pleiten vorzuhalten. Wer sich viel vornimmt, kann natürlich auch scheitern. Die magere Bilanz beim Informations-Management hat aber System. Microsoft behinderte die Zirkulation von Wissen über Jahre durch die proprietären und geschlossenen Dateiformate seiner marktdominierenden Office-Anwendungen. Der geringe Respekt für offene Web-Standards, der im Internet Explorer zum Ausdruck kommt, erschwert bis heute die Publizierung von Online-Inhalten. Und die immer noch übliche Kombination aus Office und Windows-Fileserver ist beinahe ein Garant dafür, dass Informationen im Nirwana verschwinden.

Das WinFS hätte diesen Zustand zumindest innerhalb der Microsoft-Welt verbessern sollen. Aber wäre die auf einen lokalen PC beschränkte Verwaltung von Metadaten wirklich die Antwort auf die Bedürfnisse eines modernen Informations-Managements gewesen? In Unternehmen stehen Themen wie Enterprise-Content-Management (ECM) auf der Tagesordnung, um der Informationsflut Herr zu werden und Wissen allzeit verfügbar zu machen. Und im Consumer-Markt entstehen immer mehr Alternativen zum Bunkern von Daten auf lokalen Festplatten. Googles Gmail, die Fotoverwaltung von Flickr, die "Social Bookmarks" von del.icio.us, die Weblogs von Typepad, die Wikipedia oder Apples iTunes haben beinahe schon Kultstatus und bieten die faszinierenden Möglichkeiten einer vernetzten Umgebung. Die meisten von ihnen warten mit intelligenten Techniken der Informationsverwaltung auf, die in Windows-Umgebungen noch Mangelware sind. Wer wartet denn da auf ein proprietäres Dateisystem aus Redmond? Vielleicht wird es gar nie kommen.