Elektronische Multimedia-Daten-Archivierung

Wer braucht denn integrierte Dokumentenverwaltung nicht?

17.08.1990

Der Anwender hat ein Problem: Auf der Suche nach einem leistungsfähigen Dokumenten-Verwaltungssystem gilt es, den wirtschaftlichen Nutzen solch eines Systems zu eruieren und die technische Leistungsfähigkeit der heute im Markt angebotenen Systeme in

einer bestehenden Infrastruktur der Informationsverarbeitung bedarfsgerecht auszuschöpfen. Ein anderes Problem hat er nicht: Den Sinn hierfür zu sehen.

Wie kann man, fragt sich der Anwender also, die digitale Daten- und grafische Dokumentenverarbeitung kombinieren und nutzen? Um der Papierberge Herr zu werden, suchen viele Unternehmen nach kosteneffizienten Lösungen der Dokumentenmitberücksichtigung. Das bedeutet die Integration von digitalen Textinformationen aus der Bürokommunikations- beziehungsweise Computerumwelt und Dokumenten grafischer Art oder standardisierten Formularen, die im Originalformat abgespeichert werden müssen.

Spezialisierung in der Aufgabenstellung

Dazu bietet die Informationstechnik ein umfangreiches Spektrum an Geräten und Methoden an: Scanner, Bildkomprimierungs-Techniken, relationale Datenbankstrukturen, Client-Server-Konzepte, hochauflösende Monitore, Drucker, Hochleistungs-Übertragungsleitungen und -Netze etc.

Trotz aller Spezialisierung in der Aufgabenstellung der elektronischen Archivierungssysteme ist doch ihre volle Nutzung nur im Verbund mit dem gesamten Informationsverarbeitungs-Umfeld gegeben. Für die einfache Integration muß deshalb ein Höchstmaß an Standards - sowohl auf Rechner-, Betriebssystem- als auch auf Netz- und Schnittstellenebene - gefordert werden, was auch zukünftige Erweiterungen der Gesamtanwendung wesentlich erleichtert.

Unix als Betriebssystem-Basis für den zentralen Server und die grafischen Workstations (beziehungsweise MS-DOS und Windows auf AT-PCs), Oracle als relationale Datenbank unter Unix, Ethernet für lokale Vernetzung mit TCP/IP-Protokollen sind ebenso als De-facto-Standards im Markt zu nennen, wie die CCITT-Norm X.400 für den Nachrichtenaustausch.

Auf die individuellen Belange zuschneiden

Eine detaillierte Beratung und umfangreiche Einführungsunterstützung, wie sie heute als Dienstleistung von den meisten Herstellern angeboten werden, gestalten den Schritt in diese neue Form der Informationsverarbeitung sicherer. Spezielle Schulung hilft dem Benutzer etwa im Umgang mit hierarchischen Such- und Organisationsprinzipien, der Spezialist lernt, die angebotene Paketsoftware durch Nutzung des "API" (Application Programming Interfaces) auf die individuellen Belange zuzuschneiden.

Die Möglichkeiten, die elektronische Dokumentenverwaltungs-Systeme über die bisher eingeführten Verarbeitungsformen hinaus bieten, werden beispielsweise bei Versicherungsunternehmen deutlich, die heute fast generell über ein umfangreiches Dialogverarbeitungs-Netz mit Online-Anschluß für die Sachbearbeiter-Arbeitsplätze verfügen. Der Direktzugriff auf alle Informationen des gesamten Kunden- und Policenbestands inklusive des Schriftverkehrs erfordert ein ungeheures Speicherpotential in herkömmlicher Magnettechnik, die zudem nur die Speicherung digitaler Texte und Zahlen sinnvoll erlauben. Der Mikrofilm ist ebenfalls nur eingeschränkt verwendbar, er gestattet nicht die unmittelbare maschinelle Verwaltung und Verfügbarmachung der Dokumente im Computer- beziehungsweise Bildschirm-Netz.

Verträge und Schriftstücke im Originalerscheinungsbild das heißt im Papierformat zu bearbeiten, elektronisch abzuspeichern und jederzeit über umfangreiche methodische Zugriffshilfen einer relationalen Datenbank wieder aufgreifen zu können und - bei Bedarf - auf Papier ausdrucken zu können, dies alles eröffnet der Versicherungsbranche neue Verarbeitungswege nicht nur in der Beschleunigung des Alltagsgeschäfts, sondern auch im Marketing, das im Zuge der Liberalisierung des europäischen Binnenmarktes für diesen Wirtschaftszweig eine besondere Bedeutung gewinnt.

Öffentliche Verwaltungen haben aufgrund ihrer Aufgabenstellung besonders viele Informationen zu verarbeiten und abzuspeichern. Die Kfz-Zulassungsbehörden sind da keine Ausnahme und jeder, der seinen Pkw schon einmal selbst angemeldet hat, weiß jede Art von Beschleunigung zu schätzen. Ein norddeutscher Landkreis hat sich deshalb für die Einführung eines vernetzten Dokumenten-Archivierungssystems nach dem Client-Server-Prinzip entschlossen.

Offene Systeme nach dem Client-Server-Prinzip

In offenen Systemen, die nach dem Client-Server-Prinzip konzipiert sind, übernehmen dedizierte Rechner unterschiedlicher Leistungsklassen die verteilten Verarbeitungsaufgaben. Ein oder mehrere Server innerhalb des vernetzten Gesamtsystems bedienen eine größere Anzahl von Clients hervorgerufenen Anforderungen wie die Verwaltung der erforderlichen Ressourcen und grafischen Objekte. Die Kommunikation zwischen Client- und Server-Prozessen wird über Bibliotheksaufrufe realisiert, die beteiligten Systeme kommunizieren beispielsweise über TCP/IP-Protokolle.

Im Mittelpunkt des vernetzten Zulassungssystems steht als Server ein Unix-basiertes Rechnersystem von Bull mit der Archivierungs- und Verwaltungssoftware für die auf 12-Zoll-Bildplatten (in Jukebox-Geräten) gespeicherten Informationen, auf welche die Sachbearbeiter in mehreren Zulassungsstellen von ihren Arbeitsplatz-Systemen aus für die An-, Ab- und Ummeldungen zugreifen können. DINA3-Scanner und -Bildmonitore sowie Laserdrucker, unterstützt von AT-kompatiblen Mikrocomputern, ergänzen das System für die Dokumentenerfassung.

Da in den Zulassungsstellen nur wenige Vorgänge ohne Akten, die über die gleiche Lebensdauer wie die Fahrzeuge verfügen, bearbeitet werden können, bietet lediglich ein vernetztes Dialogsystem mit den Eigenschaften des beschriebenen Documentenverwaltungs- und Auskunftssystems dem Bürger die Möglichkeit, die Zulassungsstelle seiner Wahl aufzusuchen. Der Sachbearbeiter kann systemtechnisch unterstützt alle einen Vorgang betreffenden Arbeiten allein ausführen, was die Bearbeitungszeit erheblich verkürzt. Die Erstellung der Papiere (Kfz-Scheine und -Briefe etc.) erfolgt über Plotter.

Im Verbund mit der kommerziellen DV

Verlage, die gesetzliche Bestimmungen oder ähnliches veröffentlichen und dadurch verpflichtet sind, die Gesetzestexte während ihrer gesamten Gültigkeitsdauer verfügbar zu halten, konnten diese Auflage in der Vergangenheit nur durch ein großes Papierlager erfüllen. Mit Hilfe der optischen Platte und der zugehörigen Anwendung ließ sich bei einem Verlag dieses Lager freimachen. Alle bisherigen Druckerzeugnisse wurden über einen Scanner eingelesen, entsprechend indiziert und abgespeichert. Neuerscheinungen werden nach dem Druck erfaßt, so daß alle Anfragen nach älteren oder aktuellen Texten mit einem Laserdrucker-Ausdruck in Originalqualität ohne großen Aufwand beantwortet werden können. Daß sich diese Anwendung im Verbund mit der kommerziellen Datenverarbeitung rechnet, ist offenkundig.

Bei auftragsbezogener Fertigung, wo in Kleinserien beziehungsweise Einzelfertigung kundenindividuell entwickelt und produziert werden muß, ist die computergestützte Konstruktion (CAD) ein allgemein anerkanntes Werkzeug. Die Speicherung der umfangreichen Konstruktionszeichnungen und der gezielte Zugriff auf bereits konstruierte Detailkomponenten kann in vielen Fällen auch ein typisches Anwendungsgebiet eines elektronischen Archivierungssystems als Konstruktionsdatenbank sein. Solche Informationsbestände lassen sich nach vielfältigen Kriterien abspeichern, etwa Konstruktionsteile nach DIN-4000 Sachmerkmal Leiste. Betriebsinterne Normen können den branchenbezogenen nationalen und internationalen Standards hinzugefügt und jederzeit aktuell für jeden beteiligten verfügbar gemacht werden.

Geradezu typisch sind die Anwendungen optischer Dokumentenarchivierung im gesamten Bereich der Bürokommunikation. Die hierfür eingesetzte Begriffswelt des Dokuments, Ordners oder Schranks entstammt der gewohnten Organisationsmethodik der herkömmlichen Aktenverwaltung. Dies erleichtert den Bedienern die Einarbeitung in die Archivierungs- und Abfrageschemata und ergibt eine schnelle und sichere Akzeptanz. Sie wird zusätzlich dadurch gesteigert, daß die bereits gewohnten Arbeitsplatz Geräte mit der bekannten Benutzeroberfläche weitgehend beibehalten und lediglich um die neuen Funktionen ergänzen lassen. Beispielsweise ist die direkte Übernahme elektronisch übermittelter Fax-Dokumente in das System möglich. Im Zeit alter der elektronischen Post stellt der klassische Papierordner sicher ein Objekt dar, dem sich der Informationsmanager künftig besonders annehmen wird.

In dem weiten Feld der Bürokommunikations-Anwendungen ist die Einhaltung internationaler Normen eine wesentliche Voraussetzung für den Dokumentenaustausch. Mit ODA/ ODIF verfügt der Markt über Möglichkeiten, offene Systeme, wie die Dokumenten-Archivierungssysteme, realisieren zu können. Das Dokumenten-Architekturmodell ODA (Office Document Architecture) ermöglicht es, ein auf einem System A erstelltes Dokument mit Text, Grafik und Bild auf ein mit anderer Text- beziehungsweise Grafiksoftware arbeitendes System B zu übertragen, dort originalgetreu zu reproduzieren und beliebig weiter zu bearbeiten. Der aus ODA abgeleitete Standard ODIF (Office Document Interchange Format) beschreibt das Dokumenten-Austauschformat. ODA und ODIF sind in der internationalen Norm ISO 0613 festgelegt.

Zusammen mit den technischen Funktionen, die der Benutzer für die unterschiedlichsten Aufgaben einsetzt und durch Eigenprogrammierung auch ergänzen kann, werden die elektronischen Archivierungssysteme bei ihrer Nutzung in der nächsten Zeit noch Anwendungsfelder erschließen, die heute theoretisch noch nicht an gedacht sind. Selbst konventionelle integrierte Informationssysteme können dann in neuem Licht erstrahlen.