Wenn virtuelles Leben zum einzigen wird

04.07.2008
Softwareentwickler tun sich schwer in der Verständigung mit Kollegen und Kunden. Einen Großteil ihrer Arbeitszeit verbringen sie in Internet-Foren. Kommunikative Allround-Talente sehen anders aus.

Dass er mit seiner Ausbildung zur "Elite" zählt, um die sich Unternehmen seit Jahren einen erbitterten Wettstreit liefern, darauf bildet sich Steffan Schiffert nicht viel ein. Zwar ist der Informatiker als Chief Technology Officer der Avira GmbH inzwischen Boss von 80 Softwareentwicklern in Tettnang und Bukarest. Doch aus den Problemen bei seinem Berufseinstieg macht er keinen Hehl: "In den ersten vier Jahren habe ich nur Software entwickelt." Stets vor dem Bildschirm, kaum Kundenkontakt. "Irgendwann war die Luft raus."

Kein Einzelfall. In ihren Stellenangeboten leiern Unternehmen immer dasselbe Mantra herunter: Entwickler sollen kommunikations- und teamfähig sein, heute dies und morgen das erledigen und auch noch gerne zu Kunden reisen - der Wunsch als Vater des Gedankens. Man tut so, als sei das heutige Informatikstudium das reinste Theaterprogramm: Auf der Bühne lauter nette Leute, die auf Kommando in jede beliebige Rolle schlüpfen.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Unternehmen sind mit jungen Menschen konfrontiert, die in Vorstellungsgesprächen unsicher sind und sich im Job schwertun, Kollegen und Kunden zu erklären, was sie wollen. Wie Accenture in einer Studie über die "Generation Net" ermittelte, nehmen soziale Kompetenzen in der heutigen Absolventengeneration deutlich ab. "Besonders problematisch ist die mangelnde Teamorientierung", sagt Norbert Büning, Geschäftsführer von Accenture. Personalern schwant Übles: Mitarbeiter chatten nur noch wie im Internet-Cafe und sprechen nicht mehr mit dem Kollegen, der neben ihnen sitzt. "Machen wir uns nichts vor", sagt Ansgar Kinkel, Leiter Recruiting bei der BMW-Tochter Cirquent GmbH in Frankfurt am Main: "Es gibt inzwischen Leute, die mehr virtuelle als wirkliche Freunde haben."

Hochschulen wollen die Beschäftigungsfähigkeit fördern

Elisabeth Heinemann, Deutschlands erste Informatikprofessorin für Schlüsselqualifikationen, beobachtet das Verhalten der jungen Generation täglich in ihren Seminaren an der Fachhochschule Worms: "Manche Studenten werden schon nervös, wenn sie plötzlich aufgefordert werden, den Computer zuzuklappen und jemandem zuzuhören." Nun könnten sie nicht mehr auf sicherem Terrain den Helden markieren wie in dem Spiel World of Warcraft. Seit Jahren engagiert sich Heinemann für eine praxisorientiertere Hochschulinformatik, die sich auch den sozialen und persönlichen Kompetenzen ihrer Studenten zuwendet. Schließlich sei "Employability", also die Beschäftigungsfähigkeit, von Absolventen eines der Ziele des 1999 gestarteten Bologna-Prozesses, in dem sich die EU-Staaten auf vergleichbare Ausbildungsstandards geeinigt haben.

Doch solche Überlegungen werden in den Instituten ignoriert oder sogar offen abgelehnt. Dem Hamburger Softwarearchitekten Ralf Westphal schwillt der Kamm, wenn er Uni-Würdenträger auf Kongressen erlebt: "Wie sollen Studenten denn lernen, sich besser ins Gespräch zu bringen und ihre Ideen zu vermitteln, wenn ihre Professoren Vorträge halten als hätten sie keine Adressaten?" Auch Spitzenabsolventen wie Simon Bierbaum, Informatiker und Alumnus der Bayerischen Eliteakademie, kennen das Problem: "Viele Informatiker sitzen nur am PC und kommunizieren kaum live mit ihren Kollegen", bestätigt Bierbaum das verbreitete Bild seiner Zunft. Er hingegen hat in der Eliteakademie gelernt, wie man sich präsentiert und eigene Ideen im Team durchsetzt. Nun bastelt er an einer Geschäftsidee für eine Web-2.0-Plattform und sammelt bereits kräftig Geld bei Investoren.

Das viele Computerspielen ihrer Kids frustriert die Eltern

Viele angehende Informatiker geraten nicht erst im Studium in die kommunikative Isolation. Schon zu Schulzeiten treiben sie sich stundenlang in virtuellen Welten herum und ernten dafür oft Kritik in der Familie: "Als ich in deinem Alter war, habe ich mich mit Freunden an der Ecke getroffen, um gemeinsam was zu unternehmen, aber du sitzt nur vor dem grauen Kasten", tadeln Eltern ihre Zöglinge. An Schulen fristet der IT-Nachwuchs ebenfalls ein kümmerliches Dasein, es sei denn, engagierte Lehrer lenken die technischen Talente in vernünftige Bahnen, so dass auch die Soft Skills nicht zu kurz kommen.

Und hat sich der Hoffnungsträger erst einmal an der Hochschule immatrikuliert, wird er ganz von der rein fachlichen Ausrichtung der Informatik in Beschlag genommen. Selbst in Sommercamps, eigentlich Synonym für Laissez-faire und Spaß, wird der Nachwuchs ausschließlich technisch gefordert.

Beispiel Uni Saarbrücken: Für das fünftägige Camp "Entfesselte Automaten" mit fünf Wissenschaftlern im September werden 30 Studenten als Teilnehmer gesucht. Selbstverständlich sollten Informatiker wissen, wie man Echtzeit-Systeme steuert, biotechnische Prozesse regelt und Sensornetzwerke koordiniert. Aber dass Kommunikation vor allem eine nichttechnische Aufgabe ist, spiegelt sich in dem Programm nicht wieder.

Spucken die Unis ihre Experten dann aus, hat sich deren Sozialisation als Nachfahren Daniel Düsentriebs bereits manifestiert. Viele verständen sich als "Künstler", berichtet Heinemann. Codes knacken, Bugs entlarven, Chips tunen - das ist ihr Metier. Doch beim Einstieg ins Berufsleben ist es aus mit der Herrlichkeit. Professorin Heinemann berichtet von den Erfahrungen eines Lufthansa-Managers, der junge Informatiker gebeten hatte, am Flipchart zu erläutern, was sie unter Projekt-Management verstehen. Was folgte, war das reinste Gestammel. "Die jungen Leute mögen zwar am Computer wahre Genies sein", sagte der LH-Mann, "für den Vertrieb eignen sie sich aber nicht."

Niemand erwartet, dass gerade Informatiker sich zu Spitzenverkäufern entwickeln. Von Softwareentwicklern kann dies erst recht nicht verlangt werden. Dennoch müssen auch sie im Gespräch mit Geschäftspartnern, Kollegen und Kunden bestehen. Zudem ist Programmieren immer mehr durch Teamarbeit geprägt. "Entwickler müssen aktiv zuhören, vernetzt denken, Fragetechniken beherrschen, nachhaken und dranbleiben", beschreibt Heinemann das Anforderungsprofil.

"Kommunikationsfähigkeit ist uns sehr wichtig, wenn wir Bewerber auswählen", bestätigt Avira-CIO Schiffert. Davon, wie gut sich die jungen Leute verständigen, hängt der gesamte Entwicklungsprozess ab: "In jedem Review-Meeting muss der Entwickler seinen Ansatz vortragen, rechtfertigen und mit Verbesserungsvorschlägen konstruktiv umgehen können."

Gute Blogger sind auch sozialkompetent

Die Meinungen darüber, ob die Bildschirmfixierung und die starke Präsenz in Internet-Foren nachteilig für das Kommunikationsverhalten von Entwicklern sind, sind allerdings geteilt. So hält Frank Widmayer, Personalvorstand der CAS Software AG in Karlsruhe, die Kontaktpflege und die Kommunikation in Netzwerken für einen echten Fortschritt: "Man hat heute nicht mehr die Zeit, stets in Meetings zu sein, sondern tauscht sich in Netzwerken aus." Auch für Für Paul Lütke Wissing, Chef des Kölner Citrix-Partners Sepago GmbH, wäre es kontraproduktiv, seinen Entwicklern den Zugang zu Web-2.0-Plattformen zu erschweren. Seit zwei Sepago-Architekten auf der Firmen-Website bloggen, habe sich die Reichweite deutlich vergrößert. "Ehe wir uns versahen, waren wir plötzlich mit der Kern-Community in der ganzen Welt verlinkt." Diese Form der Kommunikation bekomme man nicht hin, so Lütke Wissing, wenn man die nötigen Soft Skills nicht beherrsche.

Trotzdem brauchen Unternehmen Techniker, die sich nicht nur schriftlich im Netz, sondern auch mündlich vor der Gruppe verständlich machen können. Zudem sollen sie in der Lage sein, sich anderen mitzuteilen, auch wenn diese technisch weniger versiert sind. Hier sind die Führungskräfte in der Pflicht. "Die Chefs sollten mehr anleiten, mehr integrieren, den Mitarbeiter mit in die Gruppe nehmen, statt ihn sein Pausenbrot allein am Computertisch essen zu lassen", sagt Michael Eckert, Personalchef beim Schließtechnik-Spezialisten Dorma.

Softwarearchitekt Westphal setzt mit seinen Ideen in einer frühen Phase an. An seinem vor zwei Jahren gegründeten "Professional Developer College" in Hamburg lernen Entwickler und Architekten, sich selbst zu organisieren, mit Konflikten umzugehen sowie Wissen und Ideen an Kollegen und Kunden zu vermitteln. "Die wichtigste Ressource des Entwicklers ist seine Persönlichkeit", lautet Westphals Credo. "Wer nicht in sie investiert, riskiert Erfolgs- und Qualitätseinbußen." (hk)

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was Professoren an jungen Informatikern bemängeln;

was Arbeitgeber am IT-Nachwuchs auszusetzen haben;

warum Unklarheit herrscht, wer Soft Skills ausbilden sollte.

Arbeitgeber wollen Soft Skills

In fast drei Viertel aller IT-Stellenanzeigen für den IT-Nachwuchs erwarten Unternehmen soziale Kompetenzen wie Teamgeist, Kommunikations- und Repräsentationsfähigkeiten oder Eigeninitiative. Dies ergab eine Auswertung von 624 Jobofferten durch das Hamburger Software- und Beratungshaus PPI. "Wer belegen kann, dass er neben seiner fachlich-universitären Qualifikation auch solche vermeintlich weichen Fähigkeiten mitbringt, qualifiziert sich als Traumkandidat für die großen IT-Häuser", ist PPI-Geschäftsführer Thomas Reher überzeugt. Eine passende Fachrichtung und ein zügiges Studium seien längst keine hinreichende Qualifikation mehr, um direkt von der Uni in der Arbeitswelt unterzukommen. Denn für fast 80 Prozent aller ausgeschriebenen Einstiegspositionen fordern IT-Unternehmen darüber hinaus auch praktische Berufserfahrungen von ihren Bewerbern.