Robotron-Chef Friedrich Wokurka zu den notwendigen Veränderungen

"Wenn Sie arm sind, haben Sie nicht immer die Auswahl"

09.02.1990

Ich halte es erstens für erforderlich, daß noch im Jahre 1990 der Rahmen geschaffen wird für eine Finanz-, Preis- und Steuerreform. Das ist meine persönliche Auffassung, sie deckt sich in diesem Falle nicht mit der Auffassung einer Reihe von führenden Wirtschaftsleuten in der Regierung der DDR, die dafür größere Zeiträume veranschlagen. Ich sage aber, wir haben keine Zeit! Das heißt, das Jahr 1990 ist damit ein Übergangsjahr.

Ich sehe zweitens die Notwendigkeit, im Jahre 1990 die Voraussetzungen für eine Verwaltungsreform in der DDR zu schaffen. Sie können nicht das eine tun und das andere verdrängen, das geht nicht.

Drittens wird es notwendig sein, sich mit einem großangelegten Programm der Umverteilung von Arbeitskräften zu beschäftigen. Wenn Sie Apparate abbauen - es muß ja nicht nur das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit sein, sondern es gibt da noch eine ganze Reihe anderer, wenn Sie mal an den Parteiapparat denken oder an die Verwaltung überhaupt - dann müssen Sie den Menschen ja irgendwo eine neue Arbeit geben. Dafür müssen Sie ein gigantisches Umqualifizierungs- oder Requalifizierungsprogramm in Gang setzen.

Wenn man bedenkt, daß im vorigen Jahr 350 000 Menschen in die Bundesrepublik übergesiedelt sind, dann müssen einfach eine Reihe von Arbeitsplätzen, insbesondere in der materiellen Produktion, in den Dienstleistungen, aber auch im Gesundheitswesen neu besetzt werden. Das kann man natürlich nur machen, wenn man die vorhandenen Arbeitskräfte und Ressourcen - und die sind da! - anders und besser einsetzt.

Was unbedingt notwendig ist, das ist die Veränderung der Kommunikationstechnologien. Allein der Ausbau des Fernsprechnetzes der DDR ist eine Aufgabe, die mindestens fünf Jahre in Anspruch nehmen wird, und da muß man sich schon sehr konzentrieren.. Aber sie ist in diesem Zeitraum aus meiner Sicht lösbar.

Kupfer liegt genug im Boden der DDR, irgendwelche Leitungen und Kabel. Im Prinzip ist fast jedes Neubaugebiet, das in der DDR in den letzten 20 Jahren gebaut wurde, verkabelt. Wir haben de facto in jeder Wohnung die Möglichkeit, ein Telefon anzuschließen, aber wir haben nicht genügend digitale Vermittlungstechnik. Das ist der eine Schwerpunkt.

Der andere ist das Hochziehen der Fertigung von modernen Endgeräten. Das ist beides relativ rasch lösbar, aber das kostet enorm viel Geld. Da ist eine Investitionssumme genannt worden von über zwölf Milliarden D-Mark. Ein weiterer zentraler Komplex ist die Modernisierung der Wirtschaft. Ich spreche jetzt mal nicht über den privaten oder mittelständischen Sektor, sondern auch über die große Industrie. Dort teile ich nicht die Auffassung, man sollte die Kombinate auflösen. Denn das wäre völlig diametral zur internationalen Entwicklung die ja hin zu größeren Unternehmen geht. Ich bin dafür, die Großindustrie, dort wo es notwendig ist, weiter zu modernisieren. Dabei sehe ich fünf Möglichkeiten:

Einmal die sogenannte "Gestattungsproduktion", auf der Basis von Lizenzproduktion, wie sie in einigen Bereichen schon seit Jahren mit Erfolg praktiziert wird. Ich würde in jedem Fall versuchen, das auch im Konsumgütersektor zu praktizieren, um so das Angebot in den Läden der DDR kurzfristig zu verbessern und zugleich die Produktionskapazitäten zu modernisieren.

Ein zweites Thema sind die Industriekooperationen. Ich möchte nicht den etwas anrüchigen Ausdruck "verlängerte Lagerbank" hier verwenden, aber das wird es dabei natürlich auch geben. Wenn Sie arm sind, haben Sie auf manchen Gebieten nicht unbedingt die Auswahl, um es mal ein bißchen zugespitzt zu sagen.

Drittens müßte man anfangen, mit Hilfe von Investitionskrediten von Bankkonsortien oder auch Einzelbanken, ganze Fertigungsgegenden zu sanieren oder zu modernisieren.

Das Vierte wären die schon erwähnten Gemeinschaftsunternehmen oder Joint-ventures, wobei man das allerdings nicht überschätzen sollte.

Das Fünfte sind dann große Kredite, die auf der Ebene der Regierungen ausgehandelt werden sollten, zum Beispiel bei den Kommunikationstechnologien oder im Umweltschutz, im Verkehrswesen, oder auf dem Energiesektor.

Diese Rahmenbedingungen müssen im Jahr 1990 in tragfähige Konzepte gebracht werden, damit in den nächsten fünf Jahren die Vorhaben nicht nur vorbereitet sondern auch realisiert werden.