Open-Source-Debatte

Wenn Offenheit nicht mehr zählt

Kommentar  21.09.2022
Von 
Matt Asay ist Autor der US-Schwesterpublikation Infoworld.com.
Tech-Unternehmen treffen strittige Entscheidungen. Letztendlich ist es jedoch so: Wir kaufen, was die Unternehmen anbieten.
Offenheit hat ihre Grenzen, auch wenn es um Open Source geht.
Offenheit hat ihre Grenzen, auch wenn es um Open Source geht.
Foto: Alexander Lysenko - shutterstock.com

Michael Gartenberg, einflussreicher Branchenanalyst und ehemaliger Mitarbeiter von Apple, argumentierte kürzlich in circa 900 Wörtern, dass es im Eigeninteresse von Apple liege, sein Nachrichten-Ökosystem zu öffnen. Nicht weil das profitabel, sondern weil es für alle Smartphone-Nutzer das Richtige sei.

Apple hingegen hat gemessen an seiner Marktkapitalisierung einen circa 2,5 Milliarden Dollar schweren Grund, diesen Rat zu missachten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich sympathisiere mit Gartenbergs Argumenten und habe in der Vergangenheit bereits ähnliche Vorschläge gemacht. Apples iMessage ist die eine Sache, die mich mehr als alles andere an das Apple-Ökosystem bindet. Und dennoch stehen die Kunden Schlange, um Milliarden in Apples Walled Garden zu schaufeln.

Ähnliches scheint nun auch in Open-Source-Gefilden abzulaufen: Lightbend hat kürzlich seine Lizenz für Akka von der offenen Apache-2.0-Lizenz auf die Business Source License (BSL) 1.1 umgestellt. BSL ist zwar eine offene Lizenz, aber nicht offiziell von der OSI abgesegnet. Das kommt für einige Open-Source-Verfechter einem "Verrat" gleich - Doug Cutting, der Schöpfer von Apache Lucene und Apache Hadoop, hält es zumindest für eine Lockvogeltaktik:

Letztlich kommt es jedoch - sowohl für Apple als auch für das Open-Source-Ökosystem - nur auf eine Perspektive an: die der Verbraucher. Und die könnte Sie überraschen.

Offene Tools für Underdogs

Zunächst einmal sollten wir uns von der Illusion verabschieden, Google würde in der Debatte "Rich Communication Services versus Messages" weniger eigennützig handeln als Apple. Zwar hat Google eine neue Marketing-Kampagne gegen Apple gestartet, die Open Messaging anpreist - allerdings hat Branchenanalyst Samir Khazaka Recht, wenn er darauf hinweist, dass es dabei in erster Linie darum geht, eine Geschäftsstrategie umzusetzen:

Genau wie bei Apple. Der Unterschied besteht nur darin, dass Apple die Nase vorn hat. Also wendet sich Google offenen Messaging-Protokollen zu, um Apple Knüppel zwischen die Füße zu werfen. Dabei nimmt Android ironischerweise bereits eine Führungsrolle ein. Apple mag zwar inzwischen auch auf dem US-Markt einen Vorsprung in Sachen Premium-Smartphones haben, sein globaler Anteil am Gesamtmarkt liegt jedoch hinter dem von Samsung (dem größten Android-Händler) zurück.

Dennoch scheint Messaging für Apple weiterhin ein wichtiger Faktor zu sein, um seine iPhones (sowie Macs, iPads und Smartwatches) attraktiver zu machen. Würden die Kunden das nicht goutieren, hätten sie dem Unternehmen längst den Rücken gekehrt. Schließlich gibt es bereits einen globalen, mobilfunkübergreifenden Betriebssystemstandard, der stark genutzt wird: WhatsApp. Das Messaging-Tool hat sich als ideales Mittel erwiesen, um teure SMS-Pläne der Netzbetreiber zu umgehen und ist nach wie vor eine gute Möglichkeit, um Nutzer über verschiedene Plattformen hinweg zu verbinden. Es scheint nichts ähnlich Überzeugendes zu geben, was die Leute dazu bewegen könnte, von ihren iPhones auf Android-Geräte umzusteigen. Wenn überhaupt, dann sind die umfangreichen Messaging-Dienste von Apple für die Nutzer eher Anreiz als Abschreckung. Was uns zu William James bringt.

Open Source und der Pragmatismus

James ist einer meiner Lieblingsphilosophen und seine Ansichten aus den frühen 1900er Jahren über die Philosophie des Pragmatismus erscheinen mir für Diskussionen über Offenheit besonders relevant - sei es im Bereich der mobilen Nachrichtenübermittlung oder der Unternehmenssoftware. James' Erkenntnis bestand zusammengefasst darin, die praktischen Auswirkungen einer bestimmten Philosophie zu betrachten. Wenn James die Strategie von Apple überprüfen würde, würde er sich die tatsächlichen, beobachtbaren Auswirkungen ansehen. So kann Gartenberg beispielsweise argumentieren, dass es im Eigeninteresse von Apple liegt, die Offenheit von RCS zu nutzen, aber die Marktkapitalisierung von Apple in Höhe von 2,4 Billionen Dollar könnte dem zuwiderlaufen. Aber was ist mit den Kunden? Sie kaufen weiterhin iPhones. Dass sie das unter Zwang tun, scheint kein glaubwürdiges Argument.

Dasselbe gilt für Open Source: Ich habe jahrzehntelang gegen die Microsoft-Maschinerie gewettert und argumentiert, dass am Ende offene Ökosysteme gewinnen würden. In der Zwischenzeit heimste Microsoft weiterhin Milliarden in Form von Windows- und Office-Lizenzen ein - und die Kunden schienen glücklich zu sein, bezahlen zu dürfen. Erst Jahre später, als der Konzern sich bemühen musste, AWS nach dessen Cloud-Open-Source-Vorstoß einzuholen, integrierte er Linux und andere quelloffene Software in sein Portfolio.

James Urquhart hat mit diversen Open-Source-Unternehmen zusammengearbeitet. Der Softwareexperte kommentiert auf Twitter:

Jonas Bonér, Gründer von Lightbend und Akka, betont, dass die Entscheidung des Unternehmens, die Akka-Lizenz zu ändern, darauf zurückzuführen ist, dass das bisherige Modell einfach nicht tragfähig war: "Da Akka mittlerweile als kritische Infrastruktur für viele große Unternehmen gilt, wird das Apache-2.0-Modell zunehmend riskant, wenn ein kleines Unternehmen allein den Wartungsaufwand trägt." Um diese Unternehmen dazu zu bewegen, für die Nutzung von Akka zu bezahlen, habe man sich an BSL 1.1 als eine Form von produktivem und nachhaltigem Open Source gewandt, die einfach zu verstehen und durchzusetzen sei sowie klare Regeln biete.

Das wird nicht jedem gefallen. Einige lautstarke Open-Source-"Illuminati" haben Lightbend für diese Entscheidung bereits ausgiebig gegeißelt. Stellt sich nur die Frage warum? Wenn es sich wirklich um eine schlechte Strategie handeln, wird sie scheitern. Dann werden sowohl Lightbend als auch andere Unternehmen aus diesem Misserfolg lernen. Ich vermute allerdings, dass es der Umstand ist, dass die Unternehmen mit solchen Strategien Erfolg haben, der die Kritiker eigentlich umtreibt.

Es kam beispielweise auch zu apokalyptischen Szenarien, als Elastic seine Lizenz umstellte - heute läuft das Geschäft weiter wie geschmiert. Es gäbe zahlreiche weitere Beispiele, aber das vielleicht prominenteste stellt ein Unternehmen dar, das Elastic am meisten zu schaffen gemacht hat: AWS. Obwohl Amazon Web Services sein Open-Source-Angebot stetig weiter ausbaut, entstammt das Gros seiner Einnahmen dem Open-Source-Betrieb, nicht der Bereitstellung von Code.

Es ist auch schon seit einiger Zeit klar, dass die Entwickler der GitHub-Generation sich mehr um die praktischen Aspekte von Offenheit kümmern als um starre Definitionen. Anstatt darüber zu streiten, wie viele Engel auf dem Kopf einer Open-Source-Nadel tanzen können, ist es vielleicht an der Zeit, sich mit den praktischen Auswirkungen der verschiedenen Ansätze für Offenheit zu befassen. Wir müssen nicht darüber feilschen, ob Apple oder Lightbend in irgendeinem moralischen Sinne "richtig" handeln. Wir können uns ansehen, wie die Kunden reagieren und dann entsprechend urteilen. Denn wenn die Strategien eines Unternehmens für seine Kunden funktionieren, sind sie vielleicht gar nicht kaputt. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.