Wenn Mitarbeiter Social Networker werden

04.05.2012
Über soziale Netze haben Mitarbeiter ganz andere Möglichkeiten als früher, Informationen zu verbreiten. Firmen sind verunsichert, wie sie mit dieser Kommunikationsmacht umgehen sollen.

Für Marketing- und Kommunikationsexperten hat Social Media viele Vorteile. Sie versprechen den Verantwortlichen in den Unternehmen: Geschickt organisiert und gesteuert, könnt ihr euch mit Social Media eine Fangemeinde aufbauen, die nicht nur treu eure Produkte kauft, sondern auch bei Noch-nicht-Kunden für euch wirbt. Doch Social Media ist für Unternehmen ein zweischneidiges Schwert -unabhängig davon, ob es sich um soziale Netzwerke wie Facebook und Xing, um Arbeitgeberbewertungs-Portale wie Kununu oder um Kurznachrichtendienste wie Twitter handelt. Die Omnipräsenz der sozialen Medien verändert das Verhältnis der Arbeitgeber zu ihren Mitarbeitern.

Die Gefahr der Experten-Chats

Den Mitarbeitern stehen nicht nur mehr Kanäle zur Verfügung, um ihre Gedanken zu verbreiten und ihr Wissen mit anderen zu teilen, sie werden von den Betreibern dieser Medien sowie deren Mitgliedern regelrecht zum Mitmachen stimuliert und dazu aufgefordert, das, was sie bewegt, anderen Menschen mitzuteilen - zum Beispiel in Experten- oder Branchenforen.

Entsprechend groß ist die Versuchung, sich in Chats durch pointierte Aussagen zu profilieren - insbesondere wenn dies anonym und somit (scheinbar) gefahrlos geschieht. Ähnlich verhält es sich, wenn sich Mitarbeiter eines Unternehmens an einem Experten-Chat im Web beteiligen. Erfolgt dann eine Resonanz wie "Hochinteressant, was Du schreibst - zeugt von einer hohen Fachkompetenz. Kannst Du mir nähere Infos geben?", ist die Gefahr groß, dass der so gelobte Mitarbeiter dies tut, ohne zunächst zu reflektieren:

- Wer ist mein Gegenüber, und warum möchte er "nähere Infos" haben?

- Welche Konsequenzen hat es für meinen Arbeitgeber (und eventuell für mich), wenn ich diese Informationen Dritten oder gar einer breiten Öffentlichkeit zugänglich mache?

Ganz gleich, aus welchen Motiven (Ex-)Mitarbeiter Firmeninterna oder -geheimnisse ausplaudern: Nicht nur aufgrund der Existenz der sozialen Netze löst sich aus Unternehmenssicht die Grenze zwischen interner oder externer Kommunikation zunehmend auf. Früher waren die internen Kommunikationsabteilungen die Gralshüter darüber, welche Informationen nach draußen gingen, heute können sie diese Funktion nur noch bedingt erfüllen.

Diese Erfahrung musste im Januar 2012 Apple-CEO Tim Cook machen. Nachdem sein Unternehmen in mehreren Medien heftig dafür kritisiert worden war, dass es seine Produkte (wie seine Mitbewerber) unter fragwürdigen Arbeitsbedingungen in Fernost produzieren lässt, schrieb er eine Mail an die Apple-Mitarbeiter, in der unter anderem stand: "Jeder Unfall berührt uns zutiefst, und die Arbeitsbedingungen verdienen unsere Aufmerksamkeit. Jede Unterstellung, dies sei anders, ist falsch und ehrverletzend." Kaum hatte Cook diese Mail versandt, tauchte sie in Online-Portalen und Blogs auf, und Cook wurde heftig kritisiert. Seine Äußerungen seien scheinheilig. Bei Apple seien seit Jahren die Arbeitsbedingungen zum Beispiel beim Lieferanten Foxconn bekannt. Das Unternehmen habe jedoch nichts dagegen getan.

Durch den Entrüstungssturm im Internet entstand Apple zumindest erkennbar kein Schaden - unter anderem, weil das Unternehmen eine sehr große und treue Fangemeinde hat, die es wenig schert, wie das neueste iPhone produziert wird ("Hauptsache, ich kann es mir leisten"). Das Beispiel zeigt jedoch, wie schnell Firmeninterna den Weg nach draußen finden und welche "Empörungswellen" sich hierdurch aufbauen können. Dies kann für Unternehmen, die anders als Apple keine stabile Fangemeinde haben und deren Produkte keinen Kultstatus genießen, das Aus bedeuten.

Entlarvte Investment-Banker

Noch höher war die Empörungswelle, als im März 2012 ein Ex-Mitarbeiter von Goldman Sachs in einem Gastbeitrag in der "New York Times" publik machte, dass Mitarbeiter der Investment-Bank in der internen Kommunikation immer wieder Kunden als "Muppets" (also "Idioten") bezeichnen und damit prahlen, wie sie diese über den Tisch gezogen haben. Noch vor wenigen Jahren wäre dieser Artikel vermutlich nur von den Lesern dieser Zeitung zur Kenntnis genommen worden. Sie hätten ihn vielleicht mit einem kopfschüttelnden "Haben wir uns schon immer gedacht" kommentiert. Und eventuell wäre er noch voller Häme in bestimmten Insiderkreisen herumgereicht worden.

Anders im Social-Media-Zeitalter: Im Handumdrehen griffen mehrere Blogger das Thema auf und erfanden unter anderem Dialoge zwischen Goldman-Sachs-Mitarbeitern, in denen diese sich abfällig über ihre Kunden äußern - woraufhin sich im Netz eine immer höhere Empörungswelle aufbaute. Das wiederum veranlasste weltweit sehr viele Medien, das Thema aufzugreifen. Aus der Empörungswelle erwuchs ein regelrechter Tsunami - zumal das Thema alle (Vor-)Urteile bestätigte, die in der breiten Öffentlichkeit ohnehin gegen Investmentbanker bestehen. Die Kommunikationsabteilung von Goldman Sachs versuchte dem entgegenzuwirken, jedoch erfolglos. Dem Unternehmen entstand ein Imageschaden, dessen Ausmaß noch immer nicht absehbar ist.

Die Beispiele zeigen: Die Mitarbeiter entwickeln sich zur neuen Kommunikationsdrehscheibe mit der Außenwelt und haben mehr Macht als früher. Und mancher (Ex-)Mitarbeiter wird diese Macht künftig auch aktiv gebrauchen. In der Folge wird manche Anekdote, die bisher nur die Mitarbeiter eines Unternehmens kannten, künftig rasch an die Öffentlichkeit dringen, da es in größeren Unternehmen stets einen (Ex-)Mitarbeiter gibt, der "denen da oben" mal eins auswischen möchte. Entsprechendes gilt für gescheiterte Projekte. Auch hierüber dringen heute bereits viel häufiger und schneller Informationen an die Öffentlichkeit als noch vor wenigen Jahren. Nicht nur, weil die Unternehmen stärker als früher zum Beispiel im Bereich Forschung und Entwicklung mit anderen Unternehmen kooperieren, sondern auch weil Mitarbeiter im Online-Verkehr mit ihren "friends" oft unbewusst Firmeninterna ausplaudern. Häufig genügen den Konversationspartnern zwei, drei Detailinformationen, und sie können, wenn sie vom Fach sind, hieraus die erforderlichen Schlüsse ziehen.

Viele Unternehmen haben sich noch keine Gedanken gemacht, wie sie mit der veränderten Situation umgehen sollen, und reagieren mit herkömmlichen Mitteln. Sie dehnen die bestehenden Richtlinien, die festschreiben, wer welche Informationen bekommen und an wen weitergeben darf, auf die sozialen Netze aus. Dabei übersehen sie, dass die größte Gefahr von der Online-Kommunikation ausgeht, die die Mitarbeiter als Privatpersonen und oft unter Pseudonym führen. Arbeitgeber sperren gewisse Web-Seiten und Online-Plattformen für die Mitarbeiter und übersehen dabei, dass die meisten von ihnen ein Smartphone in der Tasche haben, mit dem sie jederzeit die gesperrten Seiten besuchen können. Und: Sie haben, wenn es um die "Informationslecks" geht, primär (Ex-)Mitarbeiter vor Augen, die sich am Unternehmen rächen wollen. Dabei geht die größte Gefahr von eigentlich loyalen Mitarbeitern aus, die sich zum Beispiel in Expertenportalen mit digitalen "friends" austauschen und diesen ohne entsprechendes Gefahrenbewusstsein die fehlenden Teile des Informationspuzzles geben.

Sensibilisierung der Topmanager

Ausgereifte Konzepte, wie Unternehmen mit dieser veränderten Lage umgehen sollten, gibt es noch nicht - weil die sozialen Medien noch recht jung sind und sich durch die starke Verbreitung von mobilen Geräten die Kommunikations-Rahmenbedingungen erneut stark wandeln. Topmanagern sollte klar werden, dass sich die Grenzen zwischen interner und externer Kommunikation zunehmend auflösen. Sie müssen aber auch begreifen, dass ihre Mitarbeiter heute eine größere Kommunikationsmacht als früher haben. Entsprechend wichtig ist es in einem zweiten Schritt, den Mitarbeitern bewusst zu machen, welche Macht und Einflussmöglichkeiten sie heute besitzen und wie genau sie folglich, bevor sie Infos verbreiten, analysieren müssen, mit wem und über welche Kanäle sie sich austauschen.

Sich damit zu befassen ist nicht nur notwendig, um Schaden von den Unternehmen abzuwenden, sondern auch um zu verhindern, dass diese zunehmend erpressbar werden - zum Beispiel durch enttäuschte (ehemalige) Mitarbeiter. Dabei muss es sich keineswegs um die klassischen Geheimnisträger handeln. Ein mindestens ebenso großes Gefährdungspotenzial geht von den Mitarbeitern aus, die aufgrund ihrer jahrelangen Arbeit für das Unternehmen dessen Schwachstellen (zum Beispiel im Qualitäts-Management) kennen, um eine Empörungswelle auszulösen. (hk)

Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner in Bruchsal und Lehr-beauftragter an den Universitäten Karlsruhe, Aix-en-Provence und Clausthal (TU).