Das gleiche ist nicht immer dasselbe

Wenn Microsoft Word auf dem Mac und unter Windows läuft

12.04.1991

MÜNCHEN (zek) - Seit der Einführung von Windows 3.0 können PC-Verkäufer ihren Kunden endlich das ultimative Verkaufsargument auftischen: "Beim PC ist jetzt alles wie beim Macintosh - nur viel billiger." Endlich könne die Masse der Anwender jetzt von der grafischen Benutzer. oberfläche profitieren. Betrachtet man aber einmal die Szene genauer, ist es wie in dem alte Kalauer, daß alle Menschen gleich seien. Nur daß manche eben gleicher sind...

Neben den allgegenwärtigen DOS-PCs konnte der Apple-Macintosh seine Nischenexistenz als zweiter PC-Standard bislang verteidigen. Zunächst ein eigenständiges PC-System, in Sachen Hardware, Software und Dateiformat inkompatibel, hat der Mac sich mittlerweile zur echten "Connectivity-Maschine" gemausert. Das war auch nötig, denn nur so hat er eine Chance, im Umfeld vernetzter Systeme zu bestehen. Bei all dem darf man nicht vergessen, daß der Macintosh der Computer war, mit dem die Idee der grafischen Benutzerführung erstmals für PC-Anwender erschlossen wurde, daß hier bereits 1984 Dinge verwirklicht waren, die in der DOS-Welt erst 1990 mit Windows 3.0 zu einem populären Standard werden sollten.

Was lag also näher, als populäre Software, die es bereits seit Jahren für die Mac-Oberfläche gab, auf Windows zu portieren. Dabei wird nicht nur das Bedürfnis der PC-Anwender nach Mac-ähnlichem Komfort bedient, zusätzlich ist es möglich, Macs und PCs noch einfacher miteinander zu vernetzen, da man hierbei auch die Dateiformate einander problemlos angleichen könnte.

Vorweg: Ich mag Windows nicht

Jeder, der schon einmal einen ASCII-Text vom Mac auf einen PC oder umgekehrt überspielen Wollte, weiß wovon die Rede ist: Was Sonderzeichen und Umlaute betrifft, hat Apple beim Macintosh einen eigenen "Standard" geschaffen, was das Konvertieren jedesmal zu einer größeren Aktion macht.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich mag Windows 3.0 nicht. In meinen Augen ist es nichts anderes als der angestrengte Versuch Microsofts, das Rad noch einmal zu erfinden. Das Macintosh-System war eine Revolution, Windows wird immer nur ein Abklatsch bleiben. Von den urheberrechtlich bedingten Kompromissen bei

Windows ganz zu schweigen. Versuchen Sie nur einmal eine Datei, von der Sie nur wissen, auf weichem Datenträger Sie liegt, unter Windows 3.0 zu finden... Konzerne wie Microsoft und Apple denken aber leider immer zuerst an den eigenen Gewinn und nicht an den Anwender. Warum konnte man sich nicht darauf einigen, das Apple-System in die DOS-Welt zu portieren, inklusive aller Lizenzen? Genau hier liegt der Hund begraben: So ähnlich sich die Programmversionen für Windows und Mac auch sein mögen, der Teufel schlägt dann im Detail der Windows- oder Mac- bedingten Feinheiten zu.

Einer der ersten Produzenten, der Standardsoftware für Mac und PC anbot war Wordperfect. Das Hauptproblem für den Textsoftware-Marktführer bestand darin, daß man von der Menü-orientierten Oberfläche auf die grafische portieren mußte. Die Folge war, daß die Benutzerführung der Wordperfect-Version für den Mac extrem von der sonst üblichen abwich. Dieser Unerfahrenheit verdankte es Wordperfect, daß man auf dem Macintosh nicht zum Marktführer avacierte. Bei den neuesten Versionen für Windows, Next und Macintosh sollen die Mängel übrigens behoben sein.

Auf dem Macintosh setzte sich von Anfang an eine spezielle Version von Microsoft Word durch. Sie war speziell auf Mac-Belange hin programmiert und hatte außer dem Namen nichts mit der MS-Word-Version für den PC zu tun. Anfangs waren nicht einmal die Datenformate kompatibel. Aber immerhin: Microsoft konnte hier im Bereich der grafischen Benutzerführung vom Beginn der Mac-Ära an Erfahrungen sammeln, die dann später in die Windows-Programmierung einfließen sollten.

Und siehe da, kaum war Windows 3.0 auf dem Markt, kamen mit Word für Windows und Excel für Windows zwei Microsoft-Programme, die in ihren jeweiligen Mac-Versionen große Erfolge verbuchen konnten. Ich will mich hier näher mit der Textsoftware beschäftigen. Zum Vergleich lag mir die Macintosh Version 4.0 und die Windows-Version 1.1 vor. Ich selbst bin privat Mac-Anwender, muß aber so flexibel sein, daß ich jederzeit DOS-Disketten verarbeiten kann oder Ergebnisse im DOS-Format weitergeben kann, um sie auf einem Standard-PC weiterzuverarbeiten. Mit den beiden Word-Versionen schien nun endlich die Zeit der kompatiblen Dateiformate gekommen. Nie wieder nachträgliches Konvertieren, Umlaute austauschen, mit speziellen Editor-Programmen die Dateien bearbeiten, um Kompatibilität herzustellen.

Auf dem Macintosh haben Word und die nötigen Systemdateien auf einer Diskette Platz. Es läuft somit auf einem handelsüblichen Minimal-Mac ohne Festplatte mit einem oder zwei Diskettenlaufwerken. Beschränkt man sich auf eine Schriftart und ein minimal konfiguriertes System, so ist sogar die Geschwindigkeit beim Abrufen komplizierter Befehle recht beachtlich.

Beim Windows-PC sollte man unter einem 80386er Modell

mit Festplatte und mindestens 2 MB RAM erst gar nicht darüber nachdenken, ob man Word für Windows installiert. Auf der Platte belegt Word für Windows inklusive Druckertreiber etwa 2,5 MB, mit Rechtschreib- und Synonym-Lexikon fast 4 MB. Damit nicht genug: Mehr als einmal erhielt ich beim Starten die Nachricht, daß der Arbeitsspeicher für Word für Windows nicht ausreichend sei. Das bedeutet dann eine langwierige Suche nach speicherfressenden Caches oder RAM-Disks etcetera. Das kostet Zeit. Beim Macintosh taucht dieses Problem - wenn überhaupt - nur in absoluten Minimalkonfigurationen auf. Es läßt sich dann in der Regel wesentlich leichter und schneller lösen.

Hat man Word für Windows endlich erfolgreich gestartet - was wesentlich länger dauert als auf dem Mac - sieht man eine Windows-typische Oberfläche, Ähnlichkeiten mit der Mac-Oberfläche sind eher zufällig. Beim Tabellenkalkulations-Programm Excel, ebenfalls von Microsoft, fallen demgegenüber die Unterschiede zum Mac kaum auf. Die Pull-Down-Menüs, grafische Linealsymbole und weitere Informationen sind bei der Windows-Version ausführlicher und vielfältiger. Als an die Mac-Version gewöhnter Anwender ist man hier geneigt, die Bildschirmeinteilung bei der Windows-Version für unübersichtlich zu halten. Entweder soll hier der Neuling in Sachen grafischer Benutzerführung quasi an die Hand genommen und durch den Dschungel der Befehle geführt werden, oder den Mac-Anwendern blüht die gleiche "Ausführlichkeit" in der nächsten Version von Word.

Alle, die sich mit den Befehlen und Formatierungsfunktionen auskennen, können bei beiden Versionen das Lineal ausblenden und auf kürzere Pull-Down-Menüs umschalten. Nur: Während das Lineal beim Mac sparsam aufgebaut ist und alle relevanten Informationen in einer ästhetisch ansprechenden Form anzeigt, ist es bei Windows gar in zwei Module aufgeteilt, die sich auch noch einzeln aus- und einblenden lassen. Die Symbole sind längst nicht so schön, wie beim Mac, es erfordert teilweise sogar detektivischen Spürsinn, ihre Bedeutung herauszufinden. Grafische Fähigkeiten gar werden in der Windows-Version viel weitgehender ausgenutzt als beim Mac. Bilder und Symbole können in den Text eingebunden und auf dem Bildschirm auch als solche dargestellt werden. Dieses Feature kostet aber auch Speicherplatz und Rechenzeit.

Voraussetzungen: Schnelle Festplatte und viel RAM

Wehe dem, der jetzt nicht über eine schnelle Platte und viel RAM verfügt. Jedes Scrollen im Text, jedes Verschieben führt zum Festplatten-Swap und zum neuen Bildaufbau. Man muß zur Ehrenrettung der Windows-Version zugestehen, daß die Möglichkeit der Grafikeinbindung auch auf dem Mac zu mehr Rechenzeit und Speicheraufwand geführt hätte.

Letztlich bleibt die Frage: Wer braucht denn eigentlich solche Grafikfähigkeiten in einem Textprogramm? Diese Features sind besser in DTP-Programmen aufgehoben. Denn Hand aufs Herz: Welcher Anwender hat denn die große Ahnung von Seitengestalung, Typografie und Sinn und Zweck von Grafiken im Text?

In einem ist die Kombination Word für Windows und Word für den Macintosh aber unschlagbar; dort, wo die Connectivity zwischen Mac und PC benötigt wird. Beide Versionen sind in der Lage, die Dateiformate einer großen Zahl anderer Textprogramme zu lesen und abzuspeichern. Beide können Textdateien der anderen Systemwelt einlesen: Die Nase vorn hat zur Zeit der Mac, da hier die Möglichkeit besteht, formatierte DOS-Disketten im Mac-Laufwerk einzulegen beziehungsweise darauf abzuspeichern. In gemischten Mac-PC-Netzwerken können die Word-Dateien ohne größere Probleme von beiden bearbeitet werden. Für den deutschsprachigen Anwender ist hier der Umstand von besonderer Bedeutung, daß auch Umlaute und Sonderzeichen richtig erkannt werden.

Die Freude an der Connectivity in Sachen Dateiformat wird aber leider wieder durch den nicht einheitlichen Aufbau der Pull-Down-Menüs getrübt. Während sie beim an anderer Stelle bereits erwähnten Microsoft-Programm Excel weitgehend identisch sind, geben sich die Word-Versionen eigensinnig. Will man beispielsweise ein Zeichen suchen oder ersetzen, findet man den Befehl beim während Mac unter "Extras",

man beim Windows-3.0.-PC die Befehle unter "Bearbeiten" zu suchen hat. Das ist um so widersprüchlicher, als es beide Pull-Down-Menüs auch bei beiden Systemen gibt. Der erhöhte systemaufwand bei Windows war wohl auch der Anlaß dafür, daß Word für Windows über acht Pull-Down-Menüs verfügt, also über eines mehr als die Mac-Version. Ein Windows-Vorteil sei hier nicht verschwiegen: Es lassen sich alle Befehle auch per Tastaturkombination auslösen. Ein Feature, das besonders Viel-Schreiber, die mit ihren Fingern nicht gerne die Tastatur verlassen, schätzen. Beim Macintosh wurde hier zwar auch eine Menge getan, so können einige Befehle ebenfalls über das Keyboard ausgelöst werden, aber Features, wie das Öffnen eines Pull-Down-Menüs per Tastaturkombination, gibt es noch nicht.

Bis auf den wesentlichen Connectivity-Vorteil erscheint den meisten Mac-Anwendern die Arbeit mit der Windows-Version eher komplizierter. Windows-Neulinge, die vorher den Macintosh nur vom Hörensagen kannten, werden an den Grafik-Features von Word für Windows anfangs sicher ihre helle Freude haben - bis sie merken, wie oft das System Festplatten-Swaps benötigt, wie lange es manchmal dauert, bis das Geschriebene auf dem Bildschirm erscheint und daß man während des Abspeicherns gelegentlich eine Zigarette rauchen kann. Windows-3.0-Applikationen laufen letztlich nur auf Top-end-PCs mit schnellen und großen Festplatten und einer Speicherausstattung von 4 bis 8 MB. Vergleicht man einmal die Kosten für einen so ausgestatteten PC und dem oft als Hochpreis-Produkt gescholtenen Mac, steht der Apple-Rechner gar nicht so schlecht da.