IT-Strategien/Strategische IT-Planung - ohne CIO macht es keinen Sinn

Wenn die Sprachlosigkeit den Aufbruch zu neuen Ufern hemmt

28.01.2000
Die Notwendigkeit des Chief Information Officer (CIO) - seit Jahren gehört dieses Thema zu den Klassikern in der IT-Management-Diskussion. Winfried Vogel* fasst die wichtigsten Punkte zusammen und erläutert, warum manche Fragen nach wie vor nicht oft genug gestellt werden können.

Immer mehr DV-Leiter avancieren zum Chief Information Officer (CIO). Außer dem Titel ändert sich jedoch oft nichts. Es wird alter Wein in neue Schläuche gegossen, da der ehemalige DV-Chef sein Aufgabenspektrum nicht ändert. Doch ein CIO ist mehr als ein IT-Verantwortlicher alter Prägung. Sein Verantwortungsbereich geht weit über die reine Administration des Rechenzentrums und gegebenenfalls der Anwendungsentwicklung hinaus. Die Aufgaben, die jetzt primär anstehen, resultieren aus den "Megatrends", die die Weltwirtschaft im Moment stark prägen. Und im Zeichen des Internet zwangsläufig auch die IT.

Obwohl häufig strapaziert, sollten die wichtigsten Herausforderungen noch einmal genannt werden. Erstens: der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft, der mit dem Übergang von der Landwirtschafts- zur Industriegesellschaft vergleichbar ist. Zweitens: der Trend zur Globalisierung, der es ermöglicht (und erfordert), Produkte und Dienstleistungen an jedem Ort der Welt zu kaufen beziehungsweise zu verkaufen. Allgemeinplätze? Keineswegs, wenn man sich die weiteren Konsequenzen veranschaulicht. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Lebenszyklen der Produkte immer kürzer werden; für ein erfolgreiches Bestehen im Wettbewerb also nur ein kleines, aber globales Zeitfenster existiert.

Daraus wiederum resultieren immense Anforderungen an die jeweilige Reaktionsgeschwindigkeit beziehungsweise an ein globales Wissens-Management. Zugleich müssen die Unternehmen mit Hilfe virtueller Organisationsformen die Fähigkeit erwerben, flexibel auf die in kurzen Zeitabständen wechselnden Anforderungen zu reagieren, um im Wettbewerb bestehen zu können. Wertneutral formuliert bedeutet dies: Besagte Komplexität der Globalisierung und die schnelle Lösungsfindung für die Kundenbedürfnisse erfordern die Unterstützung verschiedenster Organisationseinheiten innerhalb und außerhalb des eigenen Unternehmens.

Da sich diese Anforderungen nur mittels einer schnellen Informationsbereitstellung beziehungsweise -verarbeitung bewältigen lassen, wird die Bedeutung der IT noch um einiges wachsen. Besonders dann, wenn sie die gewünschte Rolle als "Enabler", also als Verursacher und Motor neuer Geschäftsmöglichkeiten (Stichwort E-Business), spielen soll. Zumindest teilweise wird deshalb in Zukunft die viel zitierte Verschmelzung von Business- und IT-Strategie unabdingbar sein.

Hinzu kommt, dass Kunden und Lieferanten in die IT "ihres Herstellers" eingebunden werden wollen. Es geht also um weit mehr als globale Markt- und damit Internet-Präsenz. Supply-Chain-Management (SCM) und Customer-Relationship-Management (CRM) sind hier nur zwei Trends. Bei ersterem steht aber im Prinzip nichts anderes als der Aufbau von bedarfsgesteuerten Lieferketten dahinter, die man schon seit Jahren von der Automobilindustrie mit ihrem ausgefeilten EDI-Verkehr zwischen Zulieferer und Herstellern kennt. Neu ist nur, dass es jetzt alle Branchen und Wirtschaftsbereiche praktizieren müssen - und dass sich die Lösungen in den meisten Fällen weniger komplex (und teuer) darstellen.

Was nicht bedeutet, dass sich damit der Aufwand für die IT-Abteilung reduziert. Im Gegenteil: Besagte Trends, Internet-Kommunikation, das Thema E-Business allgemein sind im Vorstand, im Vertrieb, im Marketing längst salonfähig geworden. Oft gehen von dort sogar Initiativen zur Änderung der IT-Strategie aus. Was läge also näher, als Geschäfts- und IT-Strategie enger miteinander zu verzahnen, beispielsweise bei der Erschließung neuer Märkte das IT-Management und dessen Kenntnis der technologischen Entwicklung mit einzubeziehen?

Was dagegen spricht, ist, wie eine Studie der London School of Economics zeigt, oft noch die momentane Situation. Im Auftrag des Beratungsunternehmens Compass wurden weltweit insgesamt 659 Chief Executive Officer (CEO) nach der Effizienz ihrer IT-Organisation befragt. Das Ergebnis ist für die IT-Professionals alles andere als ein Ruhmesblatt. Die Firmenchefs bündelten ihre Kritik vor allem in drei Punkten:

- IT-Vorhaben werden nicht umgesetzt,

- Geschäftsvorgaben werden zwecks vermeintlicher technischer Probleme oft zu Makulatur, und

- es fehlt eine Bemessungsgrundlage für die Bewertung des Erfolgs von Investitionen in IT.

Mit anderen Worten: Die Unternehmensführung traut der IT-Abteilung nicht über den Weg. Bei den Fachabteilungen steht es häufig genauso. Was also tun? Der seit Jahren propagierte (theoretische) Anspruch, die IT, vertreten vor allem durch den CIO, kennt die Business-Strategie und ist an deren Erarbeitung beteiligt, ist so ohne weiteres nicht in die Praxis umzusetzen. Viele im Unternehmen sagen nach wie vor: "Bleibt mir mit den technikverliebten DV-Gurus weg!" Zu sehr haben sich hier in der Vergangenheit Fronten gebildet; nicht jeder DVler konnte und wollte sich mit Geschäftsprozessen auseinander setzen so wie sich auch nicht jeder "Fachbereichler" mit dem "Technikkram" beschäftigen wollte.

Nicht aus den Augen verlieren sollte man dabei allerdings, was die IT-Abteilung einbringen kann: neben dem IT-Wissen, den Kenntnissen der dort entstehenden "Business Enabler" mit Sicherheit das Denken in Systemen, Abläufen und Methoden. Dies wiederum hilft den Fachbereichen und letztlich auch der Unternehmensführung, die ihrerseits Business-orientiert und -fokussiert denken und arbeiten müssen.

Der CIO ist also notwendiger denn je. Er muss in seiner Rolle als Mittler beide Seiten sehr gut kennen, um die immer noch herrschende Sprachlosigkeit zu überwinden. Hier ist weniger das Wissen en detail, sondern vielmehr die Kenntnis von Zusammenhängen und der Überblick über das Ganze gefragt. Wichtig ist auch, dass der CIO die Sprache der jeweiligen Seite spricht, um Zugehörigkeit zu demonstrieren - er braucht den richtigen Stallgeruch, entsprechende soziale Fähigkeiten inklusive.

Der CIO sollte deshalb die gesamte Wertschöpfungskette des Unternehmens verinnerlicht haben. Im Zweifel bedeutet dies die Kenntnis aller Abläufe von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Produktauslieferung sowie zur Entsorgung beziehungsweise zum Recycling. Zugleich sollte ihm klar sein, welche Rolle das eigene Unternehmen darin spielt und welche Teile der Wertschöpfungskette heute und auch morgen noch "bedient" werden müssen.

Das heißt, der CIO braucht die Kenntnis

- über die Zulieferer- und Kundenstruktur,

- darüber, auf welchen Verkaufskanälen welche Produkte vertrieben werden,

- welche Kunden- und auch Lieferanten-Anforderungen vorliegen,

- welche Preis-Leistungs-Strategie im Verhältnis zur Konkurrenz verfolgt wird,

- welche Business-Modelle die strategische Ausrichtung unterstützen,

- welche Parameter für die erfolgreiche Positionierung des Unternehmens im Markt zukünftig eine Rolle spielen,

- wie sich die heutige Situation im Vergleich dazu darstellt und welche Maßnahmen geplant sind, um die angestrebte Position zu erreichen und/oder auszubauen, sowie darüber,

- welche Aufbau- und Ablauforganisation dazu aufgebaut ist oder wird.

Mit der Kenntnis der auf den ersten Blick rein geschäftlichen Vorgänge ist es jedoch nicht getan. Der CIO muss zwar nicht jede zum Einsatz kommende Applikation selbst programmiert haben, mehr als mitreden sollte er bei seinen IT-Spezialisten aber schon können. Dies bedingt einen mindestens einen ebenso umfangreichen Anforderungskatalog. Dem CIO sollte deshalb geläufig sein:

- Welche IT-Vision ist zu verfolgen, das heißt, welche Business-Elemente und -Parameter sind für die Positionierung des Unternehmens am Markt wichtig und durch die IT besonders zu unterstützen?

- In welchem Zustand ist die heutige IT-Organisation, und welche Leistungsfähigkeit besitzt sie auf welchen Gebieten?

- Passt die vorhandene Applikationsstruktur zu diesen Erfordernissen? Gibt es neue Techniken, die die Business-Strategie weiter voranbringen können?

- Analog dazu: Ist die IT-Infrastruktur richtig ausgelegt? Wohin soll die Reise gehen?

- Sind die IT-Prozesse, beispielsweise im System-Management, richtig implementiert? Werden sie auch entsprechend "gelebt"?

- Sind die richtigen Mitarbeiter in puncto Skills und Anzahl vorhanden?

Sind diese Fragen beantwortet und in ein Konzept gegossen, ein entsprechender Fortschreibungs- und Modifikationsprozess installiert, dann ist dies eine IT-Strategie, die ihren Namen verdient. Vielleicht hilft ja auch eine pragmatischere Vorgehensweise. Zum Beispiel die, dass es der primäre Ansatz eines CIOs sein müsste, mit der Geschäftsführung die Rolle und Bedeutung der IT im Unternehmen zusammen mit seiner Positionierung im Markt festzulegen. Eine wichtige Frage dabei ist, ob der gewünschte Einsatzfokus der IT mehr im Bereich der Kosten oder der IT-Kompetenz liegt.

Die Geschäftsführung wird erfahrungsgemäß erst einmal darauf bestehen, dass zuerst das Tagesgeschäft und damit die bestehende Infrastruktur und die darauf laufenden Applikationen zur Zufriedenheit aller Benutzer betrieben werden, und das möglichst kostengünstig. Erst wenn dies der Fall ist, wird die Unternehmensleitung bereit sein, mit dem CIO über eine strategische Rolle oder gar über den Einsatz der IT als Werkzeug zur Erringung von Wettbewerbsvorteilen zu diskutieren. Mag sein, dass den IT-Professionals hier im Zeichen von Internet und E-Business die Zeit oder die äußeren Umstände in die Hände spielen, man sollte aber die erwähnten Vorbehalte dennoch nicht unterschätzen.

Natürlich braucht man nicht mehr darüber zu diskutieren, dass die Geschäfte von immer mehr Unternehmen, letzten Endes sogar deren eigentlicher Geschäftszweck, ohne starke Unterstützung der IT beziehungsweise ohne IT nicht mehr denkbar wären. Das wiederum bedeutet, dass die reine Fokussierung auf die Kostenseite nicht der allein bestimmende Faktor sein kann. Das kann, das muss man der Unternehmensleitung ins Stammbuch schreiben. Es ist vielmehr zu überlegen, welche Fähigkeiten in der IT das Unternehmen selbst haben muss und welche sich heute professioneller von außen beziehen lassen, damit sich die vorhandene IT-Mannschaft auf die geschäftsträchtigen Aufgaben im Sinne des Unternehmenserfolgs konzentrieren kann. Der Klassiker Outsourcing kommt hier wieder ins Spiel, zum Teil auch in seiner neuen Ausprägung als so genanntes Application Service Providing. Viel Arbeit also für den CIO in seiner Rolle als Mittler zwischen Business und IT - in beide Richtungen. Eine Rolle und Verantwortung, die weit mehr erfordert als die bloße Umbenennung des DV-Leiters zum CIO.

ANGEKLICKT

Dass die IT als Wettbewerbsfaktor immer unerlässlicher wird, ist eine Binsenweisheit. Dass sich Business- und IT-Strategie sowie die jeweils Verantwortlichen bisweilen miteinander schwer tun, leider auch. Seit Jahren wird deshalb der Ruf nach dem CIO als Mittler zwischen den Welten immer lauter. Doch Fordern ist das eine, die Umsetzung in der Praxis das andere. Mit der bloßen Umbenennung des DV-Leiters zum CIO ist jedenfalls kein einziges Problem gelöst.

*Winfried Vogel ist Senior Consultant IT-Strategy & Architecture bei der IBM Unternehmensberatung GmbH in München.