Wenn die Mitarbeiter ihren Chef bezahlen

16.09.2003
Von Jürgen Fuchs

 Dienstleistung für die Mitarbeiter

Viele Manager definieren sich heute noch durch das Pyramidenmodell eines Unternehmens. Sie sind Vor-Gesetzte, die dem Mitarbeiter vorgesetzt wurden. Sie stehen über ihren Unter-Gebenen, die sind unten und geben. Aus diesem Bild leitet sich auch das Führungsselbstverständnis ab. Etwas überspitzt heißt dies: kommandieren, kontrollieren und korrigieren. Denn die Mitarbeiter sind schlechter ausgebildet, unfähiger und unwilliger als ihr Chef. So das Klischee. In der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft haben wir es allerdings mit Know-how-Trägern zu tun, für deren Leistung der Kunde bereit ist, viel Geld zu bezahlen. Sie geben ihre Personalverantwortung morgens nicht an der Pforte ab. Sie übernehmen Verantwortung für ihr Handeln und auch für ihr Nicht-Handeln. Sie müssen, können und dürfen selbst entscheiden. Auch schon vor 17 Uhr und nicht nur abends als Vorstand im Verein.

Welche Aufgaben haben die Führungskräfte in solchen Unternehmen? Führung wird dort definiert als eine Dienstleistung an dem Mitarbeiter als Kunden der Führungskraft. Führen heißt jetzt: kommunizieren, kooperieren und konzentrieren. Die Manager müssen kraftvoll führen, eine klare Strategie festlegen und diese auch vermitteln. Sie sollen steuern und nicht rudern. Sie sollen die Zukunft gestalten und nicht die Gegenwart verwalten, also Orientierung geben und Mitarbeiter inspirieren, Mut machen und optimale Rahmenbedingungen schaffen sowie Personalentwicklung im Sinne von Vermögensentwicklung betreiben.

Führungskräfte als Vermögensverwalter

Die Führungskräfte agieren jetzt als "Vermögensberater". Sie steigern das Vermögen und den Shareholder Value dadurch, dass die Mitarbeiter mehr vermögen. Für diese Leistungen werden Führungskräfte von ihren Mitarbeitern bezahlt. Für diese Leistungen holen sie sich auch ihr Feedback von den Mitarbeitern. Marktwirtschaft gilt jetzt auch für Führungskräfte. Das marktwirtschaftliche Prinzip innerhalb von Firmen besagt:
- Der Kunde bezahlt den Mitarbeiter: für seine Leistungen.
- Der Mitarbeiter bezahlt den Chef: für seine Führungsleistungen.
- Die operativen Einheiten bezahlen die zentralen Stellen: für ihre Leistungen.

Diese Gedanken wirken vielleicht etwas revolutionär, sind es aber nicht. Heinz Nordhoff, langjähriger VW-Chef, sagte in den 70er Jahren: "Wirklich wertvoll in einem Unternehmen sind nicht die Maschinen und Fabrikhallen, sondern die Menschen, die darin arbeiten, und der Geist, in dem sie es tun." Mit Gruppenarbeit verlagerte man mehr Verantwortung "nach unten", und bei Porsche sagte ein Meister: "Meine Aufgabe als Führungskraft ist, dafür zu sorgen, dass die mir anvertrauten Mitarbeiter ihr teures Gehalt in Stuttgart-Zuffenhausen wert sind und auch wert bleiben." Durch Training und Jobrotation schafft er es, dass jeder Mitarbeiter alle Tätigkeiten beim Bau eines Motors beherrscht. Der Beschäftigte darf und braucht nicht mehr an einer Stelle zu stehen und wenige Handgriffe zu verrichten. Jetzt baut er den Motor allein. Zur Qualitätskontrolle kennzeichnet er ihn mit seinem Namen. Bei Porsche wird die von Marx so beklagte "Entfremdung von der Arbeit" dadurch beseitigt, dass der Mitarbeiter wieder ein Gewerk erstellt, einen kompletten lauffähigen Motor. Banken und Versicherungen gehen in dieselbe Richtung, wenn sie die "Fall-abschließende" Sachbearbeitung mit IT-Unterstützung einführen.

Von Marx zur Marktwirtschaft ist also nicht nur ein Weg für Dienstleister, sondern für alle, bei denen das Wissen von Mitarbeitern der wesentliche Produktionsfaktor ist. In solchen Firmen haben Marx und Shareholder dasselbe Interesse: Das Management darf gut ausgebildete Menschen nicht wie Hunde dressieren oder mit Richtlinien abrichten. Das wäre Verschwendung. Die Chefs müssen die Menschen wie vernunftbegabte Wesen behandeln, sie "zum Blühen" und "zum Wachsen" bringen. Denn Frust frisst Gewinne.

*Jürgen Fuchs ist Mitglied der Geschäftsführung des Beratungshauses CSC-Ploenzke.