Wenn die Anbieter beginnen Monopoly zu spielen: Vorsicht

28.08.1992

Frank-Michael Fischer Beratung und Publikationen, Gauting

In der DV-Industrie ist Flurbereinigung angesagt; die Zahl der Firmenübernahmen, einfach, mehrstufig oder, aus zweiter und dritter Hand, wird langsam unübersehbar. Ob ICL oder Philips, Kienzle oder Nixdorf, Mips oder Ashton-Tate, viele Unternehmen haben schon mindestens einmal den Besitzer gewechselt. Solche Übernahmen -werden zwar manchmal bei Nacht und Nebel ausgeführt, zumeist aber doch von klugen Leuten geplant, die sich etwas dabei gedacht haben. Aber was? Denn die schiere Anzahl von Firmenübernahmen täuscht leicht darüber hinweg, daß sie in aller Regel keinen Geschäftserfolg garantieren.

Nachfolgend seien einmal die Wichtigsten Gründe für eine Übernahme aufgezählt, wobei zu beachten ist, daß die öffentlich genannten Gründe nur selten mit den tatsächlichen übereinstimmen.

1. Die Übernommene Firma bietet Entwicklungs- oder Fertigungswissen, das anderweitig Oberhaupt nicht oder nur zu höheren Kosten zu gewinnen ist. Dabei müssen mittelfristig alle übernommenen Mitarbeiter, die nicht im Entwicklungs- oder Fertigungsbereich tätig sind, um ihre Arbeitsplätze fürchten. Die Kunden der übernehmenden Firma dürfen sich auf Architekturbrüche und Softwarekonversionen gefaßt machen.

2. Die gekaufte Firma verfügt über einen attraktiven Vertriebskanal mit breiter installierter Basis. Hier geht es meist den Mitarbeitern in Fertigung und Produktion an den Kragen. Auf die Kunden des Übernommenen brechen dann häufig abrupte Produktwechsel mit hohem Anpassungsaufwand herein.

3. Die Übernommene Firma hat einfach zuviel Bargeld in der

Kasse und hilft der übernehmenden mit kreativen Finanzierungskonzepten aus Liquiditätsengpässen. Daraus entstehen in der Regel äußerst labile Konstrukte, die finanziell leicht aus den Angeln zu heben sind. In diesem Fall sollten alle Mitarbeiter ebenso wie die Kunden uni eingeschränkt auf der Hut sein.

4. Die akquirierte Firma erweitert und vervollständigt das Angebotsspektrum der übernehmenden, Überlappungen kommen kaum vor. Außer einem internen Kulturkampf, dessen Schlachtenlärm gelegentlich bis zum Kunden dringen kann, gibt es nur geringe Störungen des normalen Geschäftsbetriebes. Nun aber zu den weniger offensichtlichen Gründen:

5. Die übernehmende Firma möchte - aus welchen Gründen auch immer - von einer dritten Firma nicht, übernommen werden und schluckt deshalb eine andere, so wie sich mancher Fisch aufbläst, um nicht ins Maul eines Räubers zu Passen. Im allgemeinen ist eine solche Aktion ein starkes Indiz Dafür, daß das Management des Übernehmers vom eigentlichen Geschäftszweck abgelenkt ist. Die Zukunftschancen für ein solches Fusionsprodukt stehen meistens schlecht, Kunden und Mitarbeiter müssen sich auf Turbulenzen gefaßt machen.

6. Der Übernommene muß als Trojanisches Pferd herhalten, weil der Übernehmer wegen einer Wettbewerbsausschlußklausel sonst einen Großauftrag nicht akzeptieren dürfte. Beispielsweise könnte die Bundespost Telekom einem Lieferanten vertraglich untersagen, einen ihrer Wettbewerber zu beliefern. Über eine neue Tochterfirma läßt sich diese Einschränkung leicht umgehen. Ein solcher Firmenzusammenschluß

kann vom reinen Zweckbündnis auf Zeit bis zum kompletten Verschmelzen alle Formen annehmen. Ohne andere Gründe jedoch verspricht dieses Gespann wegen fehlender strategischer Synergien wenig Gutes.

7. Der Übernehmer hat sich bei der Planung von Fertigungsstätten Übernommen und muß Überkapazitäten auslasten, um nicht von den Fixkosten aufgerieben zu werden. Eine solche Übernahme kann gutgehen, aber nur, wenn der Preis der Produkte und damit die Produktionskosten den wichtigsten Marktfaktor darstellen. Dem Produktionspersonal des Übernommenen geht es dann fast immer an den Kragen.

8. Der Käufer will einfach einen unliebsamen Wettbewerber "vom Markt nehmen". Hier sollten sich die Kunden des Übernommenen schleunigst nach einem neuen Lieferanten, die Mitarbeiter nach einem neuen Arbeitgeber umsehen.

So unterschiedlich und zahl reich wie die Gründe für Firmenübernahmen, so vielfältig sind auch die Möglichkeiten des anschließenden Scheiterns. Zwar lassen sich viele Probleme durch gutes Management in den Griff bekommen, aber ein Problem bleibt stets unlösbar: der Verlust der Marktidentität.

Firmen sind um so erfolgreicher, je klarer sich das Bild ihrer Individualität, der besonderen, ja einmaligen Vorteile ihres Angebots in das Bewußtsein ihrer potentiellen Kunden eingeprägt hat. Dazu ist es unumgänglich, daß auch alle Mitarbeiter bei allen ihren Handlungen - dieses Firmenbild vor Augen haben. Wenn diese Fokussierung verlorengeht, ist es meist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Kunden verlorengehen. Wird eine Firma geschluckt, verschwindet das Firmenbild völlig. Dann bleibt nur noch die Chance, die Kunden frühzeitig für die übernehmende Firma zu gewinnen.

Meist wird statt dessen versucht, die Kunden des übernommenen Hauses mit den Versprechen zu beschwichtigen, daß alles beim alten bliebe (siehe SNI). Damit hofft das Management, Zeit zu gewinnen, um die Übernahme zu konsolidieren. Der intensive Kontakt zwischen dem Vertrieb und dem Kunden schwächt sich ab, und die neue vergrößerte Firma muß praktisch bei Null beginnen.

Dem Kunden, der von einer Übernahme seines Lieferanten betroffen ist, läßt sich nur zu gesunder Skepsis raten. Dann kann er aus einer solchen Situation sogar noch Gewinn ziehen. Denn kurz nach einer Firmenübernahme lassen sich aufgrund innerer Verwirrung des Anbieters häufig Zugeständnisse hinsichtlich langfristiger Verfügbarkeiten von Plattformen und Unterstützung aushandeln. Meistens kann der Lieferant zwar seine Zusagen aus bekannten Gründen später nicht einhalten, aber der Kunde hat dann wenigstens einen Anspruch auf Schadenersatz und/ oder kostenfreie Dienstleistungen. Viele unsinnigen Firmenübernahmen kämen gar nicht erst zustande, wenn die Kunden sofort vertraglich gesicherte Langfristgarantien forderten, statt ihre Aufmerksamkeit durch Allgemeinplätze wie "Die Investitionen unserer Anwender bleiben selbstverständlich geschätzt!" einschläfern zu lassen. Machen wir es unseren Anbietern nicht zu leicht, Monopoly zu spielen.

Übernommen aus EDV-Aspekte Nr.2/92, Seite 2. Das Magazin erscheint im Computerwoche, Verlag GmbH, München.