Newcomer in Deutschland: Virbus AG

Wenn der Web-Sprößling einer Bank dem Mutterhaus Beine macht

10.09.1999
Von CW-Mitarbeiterin Riem Sarsam LEIPZIG - "Ihr könnt machen, was ihr wollt, nur gut muß es sein" - mit dieser Auflage entließ die Landesbank Sachsen (SLB), Leipzig, einen Teil ihrer DV-Abteilung in die Selbständigkeit, indem sie im Juli 1998 das Internet-Startup Virbus AG gründete. Doch die aus Bankern und Nicht-Bankern zusammengewürfelte Crew plagten zunächst ganz andere Sorgen: Ein interner Kulturkampf bahnte sich an.

Das eigentliche Motiv für die Gründung der Virbus AG war der Gedanke, daß eine Firma wesentlich freier in der Ideenfindung sein kann, wenn sie auch Mitarbeiter beschäftigt, die nicht aus dem Bankenmilieu stammen. Mit "neuen" Strukturen wie einer flachen Hierarchie läßt sich flexibler arbeiten, als man es in der Finanzszene (und anderswo) gemeinhin gewohnt ist. Egal, ob es darum geht, neue Geschäftsfelder im Cyberspace auszuloten oder einfach nur die Konzeption eines pfiffigen Web-Auftritts für das Mutterhaus zu entwickeln.

Doch die SLB und ihre 100prozentige Internet-Tochter wurden sehr schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. "Im Dezember fanden wir uns mit vier von ursprünglich zehn Mitarbeitern wieder", berichtet Jens Oenicke, Vorstandsmitglied der Virbus AG. "Die anderen hatten kalte Füße bekommen und sich in die vertraute Bankenatmosphäre zurückbegeben." Oenicke selbst war im August 1998 vom Bertelsmann-Konzern zu Virbus gewechselt - ebenso wie Vorstandskollege Franz-Phillipe Przybyll, der unter anderem durch seine Mitarbeit am Online-Dienst Cityweb erste Erfahrungen mit dem Internet-Business hatte sammeln können. Beide Internet-Spezialisten veranschaulichen den bankinternen "Kampf der Kulturen" anhand der Entscheidungsprozesse: "Wenn wir eine Entscheidung treffen wollen, hocken wir uns zusammen, bis wir uns auf ein Konzept geeinigt haben. Das wird dann unverzüglich umgesetzt. In der Bank hingegen müssen zunächst einzelne Vorlagen geschrieben und von verschiedenen Abteilungsleitern eingesehen werden."

Die Virbus AG war also zunächst vor allem mit sich selbst und diversen internen Abgrenzungsprozessen beschäftigt. Für das Mutterhaus war das Tempo der Cyberspace-Tochter zu schnell und ungewohnt, während die Projektphilosophie der Banker den aus dem Medien- und Technikumfeld kommenden Web-Spezialisten umständlich und hinderlich erschien.

Daß es dem Ableger dennoch gelang, sich am Markt zu etablieren und langfristig sogar ein Gang an die Börse möglich erscheint, ist letztlich dann doch dem Willen des Mutterhauses zu verdanken. Die SLB, übrigens die einzige Landesbank, die sich nach der Wende in den neuen Ländern gegründet hatte, entschied schließlich, sich den Internet-Schuh anzuziehen und die damit verbundenen ungewohnten Unternehmensstrategien zu akzeptieren. Mittlerweile ist die Mitarbeiterzahl auf 25 angestiegen, bis Ende des Jahres soll sie dank erfolgreicher Aktivitäten auf 50 bis 60 wachsen.

Diese bestehen bislang darin, den Internet-Auftritt der SLB zu organisieren. Er enthält neben den banküblichen Diensten auch einen großen Informationspool mit Links unter anderem zu Zeitungen, Wirtschaftsdiensten und zum Statistischen Bundesamt. Auch das Intranet der Landesbank wird gepflegt und gewartet. Zudem besitzt die Virbus AG eine 15prozentige Beteiligung an der Cybercash GmbH. Deren gleichnamiges Bezahlsystem für Online-Händler wird von den Leipzigern vertrieben, bei Kunden installiert und technisch betreut.

1998 setzten die Newcomer mit ihren Dienstleistungen knapp 700000 Mark um, gingen allerdings mit einem Verlust von rund 640000 Mark ins neue Geschäftsjahr. Auch für 1999 rechnet man noch mit einer negativen Bilanz, hat jedoch die Umsatzerwartungen auf einen Betrag zwischen einer und zwei Millionen Mark hochgeschraubt. Spätestens im Geschäftsjahr 2001 hofft Virbus, den Breakeven zu erreichen.

Nachdem die verschiedenen Geschäftsfelder operativ angelaufen und der personelle Zwist beigelegt waren, fand sich auch Zeit, um neue Projekte anzustoßen. Ein entsprechender Ideenpool wurde von 30 auf sechs Möglichkeiten "heruntergedampft", mit denen man sich dann genauer beschäftigen konnte, erläutert Przybyll. Den Ausschlag für das erste Projekt, das unter dem Namen "Akon" (Aktien online) aus der Taufe gehoben wurde, gab die von der SLB begleitete Debitel-Emission im Februar dieses Jahres - man entschied sich, Neuemissionen via Web zuzuteilen. Unter dem Stichwort "Online-Emissionen für alle" ging es dann Schlag auf Schlag. Ein Prototyp wurde entwickelt, gebaut, getestet, und nach knapp sechs Wochen, am 25. März, ging Akon online (www.akon.de). Die erste Online-Emission, die der Telegate AG, konnte Mitte April gezeichnet werden, gefolgt von der Cor AG und dem Schweizer Halbleiterspezialisten Micronas im Juni und Juli sowie AFW AG und Jetter AG im August. Für September steht bereits die Emission des Leipziger Systemhauses PC-Ware auf der Liste.

Neuemissionen via Internet für jedermann

Mit ihrem "virtuellen Marktplatz für Neuemissionen" wollten die Virbus-Lenker die Einschränkung der Landesbanken, daß es keine direkten Geschäfte mit privaten Kunden gibt, zum eigenen Vorteil nutzen: Über Akon soll es jedem potentiellen Anleger möglich sein, unabhängig vom konto- und depotführenden Institut Neuemissionen zu zeichnen. Die Identifizierung läuft per Post- identverfahren, etwa drei bis fünf Tage nach der Anmeldung erhält das neue "Akon-Mitglied" seine Zugangsberechtigung. Doch die Kunden haben nicht nur die Möglichkeit, Aktien zu zeichnen, sie können sich auch mit Gleichgesinnten austauschen oder über einen Buchladen Fachliteratur bestellen. Außerdem erhalten sie Einblick in Markt- und Firmenanalysen, die unter anderem der Börsendienst Stockwatch und die Spezialisten der SLB liefern.

Zur Telegate-Emission Mitte Juni zählte die Website knapp 1000 Mitglieder, von denen rund die Hälfte - alle, die gezeichnet hatten - eine Zuteilung erhielt. Diese für eine Neuemission beachtliche Zuteilungsquote hängt laut Oenicke mit der kleinen Community zusammen. In Zukunft - der Virbus-Vorstand spekuliert mit einer Mitgliederzahl von 100000 gegen Ende 2000 - könne man eine solche Quote natürlich nicht halten. Für den Anfang sei man jedoch äußerst zufrieden, schließlich handele es sich um einen gebührenpflichtigen Dienst (30 Euro pro Jahr), und eine Ankündigung der Emissionen sei - nicht zuletzt auf Wunsch der beteiligten Finanzinstitute - meist nur kurzfristig möglich

Im Moment ist das Virbus-Management damit beschäftigt, das Personal aufzustocken. Mit einer "lockeren Hochleistungsatmosphäre" versucht das junge Unternehmen, einige der rar gewordenen IT-Spezialisten anzulocken. Denn gerade in der High-Tech-Szene, so Przybyll, lege man zunehmend Wert auf das Betriebsklima. "Es kommt schon vor, daß wir zwölf oder mehr Stunden für ein Projekt durcharbeiten, aber wir spielen auch mal auf dem Flur Fußball." Auch der Standort Leipzig sei am Bewerbermangel nicht ganz unschuldig, meint Oenicke: Zwar gebe es ausreichend Potential, was den Nachwuchs von den Hochschulen betreffe, doch westliche Profis hätten oft Hemmungen, in den Osten zu ziehen. Die Leipziger beschlossen deshalb kurzerhand, eine Niederlassung in Berlin zu eröffnen. Die Räume sind bereits angemietet.

Doch weit wichtiger für das Überleben des Emissionsforums, das seine Väter als bisher konkurrenzlos darstellen, ist es, andere Banken zusätzlich zur Muttergesellschaft ins Boot zu holen. Bisher kann Akon nur Emissionen anbieten, an denen die SLB entweder direkt oder über Abkommen mit anderen Landesbanken beteiligt ist. Landesbanken treten aber eher selten als Konsortium beim Börsengang an. Partnerschaften mit anderen Finanzhäusern sind also erwünscht. Mit insgesamt sieben Finanzhäusern stehe man gegenwärtig in Verhandlung, wobei einige Gespräche schon sehr detailliert geführt worden seien. Genaueres, so das Management, dürfe man aber noch nicht sagen.