Outsourcing/Auslagerung des CAD CAM-Bereichs bei Daimler-Chrysler

Wenn der Outsourcer mit am Konstruktionstisch sitzt

26.03.1999
Partielles Outsourcing ist seit längerem einer der Trends bei der Auslagerung der IT. Uwe Harms* zeigt am Beispiel von Daimler-Chrysler, wie die teilweise Fremdvergabe im Detail aussehen kann. Die schwäbischen Autobauer wußten genau, was sie aus dem CAD/CAM-Bereich ihres Entwicklungszentrums in Sindelfingen aus der Hand geben wollten - und was nicht.

Beim klassischen Outsourcing, wie es noch vor etwa zehn Jahren üblich war, "verkauft" ein Unternehmen seine DV mit Rechner, Mann und Maus bis hin zum Schreibtisch und Bleistift an einen Outsourcer. Oft wurde es dem Unternehmen erst viel später schmerzlich bewußt, daß mit dem Rechnerabbau und der Weitergabe des Fachpersonals auch das entsprechende Know-how und damit eine wichtige Wissens-Ressource das Haus verlassen hatte. Um trotz Outsourcing die eigene "IT-Hoheit" zu behalten, verfolgte die Daimler-Chrysler AG bei der Teilauslagerung ihres CAD/CAM-Bereiches am Produktionsstandort Sindelfingen einen anderen Ansatz: Die Spezialisten blieben vor Ort, die Workstations gehören weiterhin dem Automobilhersteller, und Innovationsprozesse werden in enger Zusammenarbeit mit dem Dienstleister durchgeführt, der "nur" die heterogenen Workstations betreibt.

Rund 1,3 Milliarden Mark investiert Daimler-Chrysler in das neue Entwicklungs- und Vorbereitungszentrum (EVZ) für Pkws in Sindelfingen, das bis zum Jahr 2000 realisiert werden wird. Im Rahmen der Neuausrichtung der Produktentwicklungs- und Vorbereitungsabläufe werden die Mitarbeiter aus 16 Außenstellen auf die beiden Standorte Untertürkheim und Sindelfingen konzentriert. Interdisziplinäres Arbeiten soll die Entwicklungszeit und die Kosten um bis zu 30 Prozent reduzieren sowie notwendige Innovationsschritte vorantreiben und die fertigungsgerechte Gestaltung der Fahrzeuge ermöglichen. In Sindelfingen entwickeln fast 6000 Mitarbeiter neue Fahrzeuge und Fahrzeugkonzepte, während mehr als 3000 Ingenieure in Untertürkheim Motoren, Getriebe und Antriebsstränge entwerfen. Daneben arbeiten auch Fachleute aus der Produktion, dem Einkauf und dem Marketing mit den Entwicklern vor Ort direkt zusammen.

Eine der Vorgaben war auch, daß sich die Entwicklungsmannschaft nun stärker auf ihre Kernkompetenz "Fahrzeugentwicklung" und weniger auf Dienstleistungen im Umfeld der Informationsverarbeitung konzentriert. Im Rahmen eines Projektes untersuchten Daimler-Chrysler-Mitarbeiter dieses Arbeitsgebiet und identifizierten vier IT-Bereiche, die an Dienstleister vergeben werden können:

-Bürokommunikation, Infrastruktur (Netze/Netz-Management) und technisch-kaufmännische Planungssysteme,

-CAD/CAM (rechnerunterstütztes Entwerfen und Fertigen),

-CAE (rechnerunterstütztes Engineering) sowie

-CAT (rechnerunterstütztes Testen, Prüfstände).

Für das erste Segment erhielt ein Konsortium den Zuschlag, das die frühere Daimler-Benz AG mit ihren diversen "internen" Dienstleistern angeführt hatte und in dem auch konzernfremde Unternehmen mitarbeiten. Seit März 1997 betreut es neben den Netzen etwa 4500 PCs, eine Zahl, die mittelfristig auf etwa 6000 anwach-sen dürfte. Auch den zweiten Bereich, CAD/CAM-Anwendungen inklusive der Systembetreuung, vergab das EVZ inzwischen "nach draußen". Diesem Schritt ging eine entsprechende Ausschreibung im Frühjahr 1997 voraus. Als Sieger der Ausschreibung ging das Konsortium Debis Systemhaus mit seinem Partner s+c (science + computing) aus Tübingen durchs Ziel - immerhin mit einem Auftragsvolumen von einigen Millionen Mark pro Jahr in der Hand.

Die gemeinsame Offerte beider Firmen unterschied sich in verschiedenen Punkten von denen der Wettbewerber. Dies betrifft zunächst das Preismodell, in dem ein mengenabhängiger Festpreis pro Bezugsgröße für die einzelnen Leistungsarten garantiert ist. Das heißt, der Auftraggeber bezahlt je nach Zahl der Workstations, der Applikationssoftware, der vorhandenen Peripherie und der verschiedenen Betriebssysteme - aber auf der Basis einer festen Kalkulationsgrundlage. Zusätzlich bauten Debis Systemhaus und s+c einen "Innovationsaspekt" in ihr Angebot ein: Im Rahmen eines Innovations-Managements ließen sich die Dienstleister die ständige Arbeit an der Verbesserung der Betriebsabläufe in ihr Pflichtenheft schreiben, in Kombination mit der Berücksichtigung etwaiger Technologiezyklen bei der Hard- und Software. Der dabei vorhandene Kosten- und Optimierungsdruck zwingt andererseits die Betreiber, stets moderne Softwarewerkzeuge zur Arbeitsvereinfachung, Administrierung der Hard- und Software sowie für das Monitoring einzusetzen. Ein weiteres Element im Angebot war die definierte und garantierte Qualität der Dienstleistungen. Der jeweilige Entwicklungsingenieur und das Management haben jetzt die Garantie festgelegter Service-Level, eine stabile Umgebung und planbare Kosten.

Nach der Auftragsvergabe erstellten die Vertragspartner ab September 1997 die Feinspezifikation des Betriebskonzepts und -vertrages. Im November migrierten sie die bis dahin unterschiedlichen Systemumgebungen. Im Januar 1998 übernahm der Outsourcing-Anbieter schließlich den Betrieb. Das Konsortium betreut heute etwa 1400 High-end-CAD/CAM-Workstations, 35 Server, 250 Drucker und Plotter sowie 50 verschiedene Anwendungsprogramme - Tendenz steigend. Aufgrund spezifischer Anforderungen der Ingenieure setzt das EVZ unterschiedliche Rechnerplattformen ein, beispielsweise C-Class-Systeme von Hewlett-Packard (HP), IBM RS/6000, SGI Octanes und File-Server von EMC/Auspex.

Das Leistungspaket der Outsourcer enthält das Bereitstellen und Integrieren neuer Hard- und Software, die System- und Applikationspflege, Wartung, Backup, Anwenderunterstützung sowie Helpdesk- und Benutzeradministration. Daneben legten die Partner im Vertrag die hohen Qualitätsanforderungen der CAD-Anwender fest. Für jede einzelne Leistungsart wurden die vorhin erwähnten Service-Level definiert - also die garantierte Reaktionszeit für eine ganz bestimmte Leistung. So muß beispielsweise die Installation eines Softwarepaketes innerhalb eines klar umrissenen Zeitraums erfolgen. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, bei Auftreten eines Fehlers muß der User-Helpdesk ebenfalls in einem vorgegebenen Zeitrahmen - abhängig von der Größe und Tragweite des Problems - reagieren und auch den Fehler und seine Beseitigung dokumentieren. Natürlich ist, um das Ganze zu veranschaulichen, die Reaktionszeit bei einer massiven Hardwarestörung anders anzusetzen als bei einem vergessenen Paßwort. Und was prinzipiell ganz entscheidend ist: Nach der Betriebsübernahme ist jetzt ein etabliertes "Betriebsteam" des Dienstleisters für die genannten Belange zuständig.

Neben der Alltagsarbeit bedeutet das für den Outsourcing-Anbieter, daß die System- und Applikationssoftware auf allen zugewiesenen Workstations über die gleiche Oberfläche und einen identischen Release-Stand verfügen muß und damit überall dieselbe Funktionalität gewährleistet. Doch bei ingesamt 1400 CAD/ CAM-Workstations und 35 Servern läßt sich die System- und Applikationssoftware nicht mehr manuell installieren, betreuen und warten.

Regelmäßige Benutzerbefragungen

Die Partner setzen hierfür das System-Management-Tool "Venus" (Vernetzte Unix-Systeme) von s+c ein. Das Management-Framework ist speziell für ein technisches Rechnerumfeld ausgelegt, insbesondere auch für den Bereich heterogener Unix-Workstations beziehungsweise -Server/Cluster.

Um die vorhandene IT-Kompetenz im eigenen Hause zu halten und zu erhalten und nach Möglichkeit noch auszubauen, vor allem aber um die wichtige "IT-Konzeptfähigkeit" nicht zu verlieren, hat Daimler-Chrysler, wie eingangs erwähnt, einen Teil der DV-Aktivitäten in der eigenen Hand behalten. So blieben wesentliche Kernaufgaben, wie die Formulierung einer CAD/CAM-Strategie inklusive Konzeption, den Vorabtests und der Softwarefreigabe, die Hard- und Software-Auswahl, die Beschaffung von Rechner und Software sowie das Controlling weiterhin in der Obhut des Auftraggebers. Auch die Rechner sind nach wie vor Eigentum von Daimler-Chrysler. Weiterhin wird ein Testlabor, in dem neue IT-Umgebungen und Softwarelösungen experimentell zum Einsatz kommen, federführend vom Autohersteller betrieben. Daneben beraten Mitarbeiter des Daimler-Chrysler-"IT-Shops" die Entwicklungsingenieure fachlich in der effizienten Nutzung von Programmen - von "Catia": Wie zum Beispiel konstruiert man einen Kotflügel mit dieser CAD-Software? Und: Das Outsourcing-Team darf neue Server oder Applikationsprogramme sowie neue Softwareversionen nur auf Anforderung der CAD/CAM-Ingenieure installieren. Natürlich diskutieren Auftraggeber und Outsourcer auch Aspekte der Datensicherung, der Datensicherheit und des Einsatzes von Helpdesk-Werkzeugen im Rahmen des InnovationsManagements. Was nichts daran ändert, daß auch in Sindelfingen die Qualität des Betreibers vom Kunden beurteilt wird. Daher finden in regelmäßigen Abständen Benutzerbefragungen statt. Deren Ergebnisse fließen dann wieder in den laufenden Betrieb ein.

Angeklickt

Frage: Was tun mit 1400 im Betrieb sehr aufwendigen CAD/ CAM-Workstations? Antwort: Man lagert die Bereitstellung, die System- und Applikationspflege, Wartung, Backup, Helpdesk- und Benutzeradministra- tion an einen externen Dienstleister aus. Was übrigens möglich ist, ohne als Auftraggeber seine entsprechende Planungs- und Strategiehoheit abgeben zu müssen. Die Entwickler bei Daimler-Chrysler in Sindelfingen können sich nun auf das konzentrieren, was ihre eigentliche Kernkompetenz ist: die Konstruktion von Kraftfahrzeugen.

*Uwe Harms ist freier Unternehmensberater in München.