Mobile Kommunikation/

Wenn der Markt auf Plug and play wartet

03.05.1996

Die Mobilkommunikation hat in den zurueckliegenden fuenf Jahren einen Siegeszug par excellence angetreten, dessen Ausmass noch nicht abzuschaetzen ist. Die Phalanx der Marktoptimisten stellt jedenfalls schon heute leise laechelnd die Frage, wann die Zahl mobiler Anschluesse jene von Festnetzanschluessen uebersteigen werde. Zu verdanken ist diese Entwicklung vor allem dem klassischen Handy und ein wenig auch dem Funkruf, der dank des Scall-Dienstes der Telekom-Tochter DeTeMobil vor allem bei der juengeren Generation mobile Kommunikation zum Thema gemacht hat.

Von diesem Wachstum profitiert allerdings die mobile Datenkommunikation bis heute nur in einem sehr geringen Umfang. Trotz in fast jedem Buero vorhandener PCs, trotz technischer Machbarkeit und eines breiten Angebots fuehrt der "mobile Datenfluss" nach wie vor ein kuemmerliches Dasein. Warum ist dies so? Eine Frage, deren Beantwortung um so schwieriger faellt, wenn man sich vergegenwaertigt, dass alle fuenf derzeit verfuegbaren Standarddienste der mobilen Kommunikation heute bereits Optionen fuer die mobile Datenkommunikation beinhalten.

Die GSM- beziehungsweise PCN-Technik etwa (GSM = Groupe Speciale Mobile, PCN = Personal Network Communication), also der klassische Mobilfunk, bieten in den D- und E-Netzen sowohl Fax und Datentransfer ueber die "Sprachkanaele" als auch den Kurznachrichtendienst beziehungsweise Short Message Service (SMS). Im alten, analogen C-Netz der DeTeMobil sind Fax und Datentransfer ebenfalls moeglich. Dedizierter Datenfunk wird vom Modacom-Dienst der DeTeMobil sowie von der Gesellschaft fuer Datenfunk (GfD) mit ihrem Mobitex-Dienst angeboten.

Fast 30 Netzbetreiber agieren in Deutschland

Darueber hinaus ist auch im Buendelfunk, der Weiterentwicklung frueherer Betriebsfunksysteme, Datenkommunikation moeglich. Satellitenkommunikation schliesslich erlaubt heute schon extrem hohe Datenflussraten mit hoher Flaechendeckung. Und schliesslich nicht zu vergessen: Auch Paging, der vom altbekannten "Piepser" aus weiterentwickelte Funkrufdienst der vier Anbieter DeTeMobil (Cityruf, Scall), Miniruf (Quix), DFR Deutsche Funkruf Gesellschaft (Telmi) und DeTex Deutsche Textfunk Gesellschaft (Omniport), bietet heute eine Reihe von Optionen fuer den einfachen Datentransfer.

Zusaetzlich zum Satellitenfunk (der aufgrund seiner Vielfalt und seiner Spezialisierung vor allem auf der Anbieterseite an dieser Stelle nicht weiter eroertert werden kann) agieren damit bereits fast 30 Netzbetreiber im deutschen Markt, der vor 1989 lediglich einen einzigen Anbieter kannte - die Deutsche Bundespost. Und in Zukunft duerfte die Zahl der Netze beziehungsweise Netzbetreiber eher noch zunehmen.

Allein aus dieser verwirrenden Angebotsvielfalt ergibt sich ein negativer Effekt fuer die Marktentwicklung: Der Kunde scheut mangels Ueberblick vor den neuen Moeglichkeiten der (Daten)kommunikation zurueck. Das Ergebnis ist signifikant: Nicht mehr als zwei bis drei Prozent der derzeit ueber vier Millionen Benutzer in den Mobiltelefonnetzen C, D1, D2 und E-Plus bedienen sich der mobilen Datenkommunikation - eine absolute Zahl von gut 100 000 mobilen Datenkommunizierern also.

Auch in den anderen genannten Bereichen ist die Bilanz mehr als truebe: Seit ueber einem Jahr stagniert die Zahl der sich im Einsatz befindenden Modacom-Endgeraete bei rund 10 000 (bei zirka 300 Firmenkunden). Die Konkurrenz von der Gesellschaft fuer Datenfunk hofft auf 8000 verkaufte Endgeraete fuer ihr Mobitex-Netz per Ende 1996. Aus dem Kreis der regionalen Buendelfunkanbieter genuegt schon die Meldung, dass die Zahl der Gesamtkunden im Buendelfunk Anfang dieses Jahres bei etwa 170 000 lag, die aktive Nutzung von Datenkommunikation macht also auch hier aller Wahrscheinlichkeit nach nur einen einstelligen Prozentsatz aus.

Die Satellitenkommunikation schliesslich bietet schon laengere Zeit fuer sehr spezielle Beduerfnisse massgeschneiderte Loesungen an. Zur weiteren Verbreitung der mobilen Datenkommunikation wird allerdings auch sie erst beitragen koennen, wenn die im Aufbau befindlichen globalen Satellitendienste (Inmarsat und Iridium) in Betrieb gehen und entsprechend anwenderfreundliche Endgeraete anbieten.

Datenkommunikation im Funkruf ist hingegen heute so gut wie ueberhaupt kein Thema. Die Systemstrukturen wuerden allerdings auch hier einige Anwendungen durchaus als attraktiv erscheinen lassen, beinhaltet Paging doch vergleichbare Dienste wie den mit viel Vorschusslorbeeren bedachten Short-Message-Service in den digitalen Mobilfunknetzen - auch wenn der Funkruf bisher als eine One-way- Kommunikation verstanden wird.

Doch zurueck zur Eingangsfrage: Wieso bleiben die Erwartungen deutlich hinter dem zweifellos vorhandenen Angebot zurueck? Neben der verwirrenden Vielfalt auf der Angebotsseite ergeben sich sechs weitere Kernprobleme. Zum einen muss man sich fragen, wie viele Anwender ueberhaupt mobile und zeitnahe Datenkommunikation benoetigen. Die vor einigen Jahren kursierenden Markterhebungen waren zweifellos zu optimistisch; Tempo und Ausmass der Marktdurchdringung wurden ueberschaetzt. Man hat es hier also mit Sicherheit nicht mit einem Boom wie etwa beim mobilen Telefonieren zu tun.

Hinzu kommt, dass die genannten Dienste der Datenkommunikation bezueglich ihrer Leistungsprofile aus Kundensicht teilweise nicht sehr trennscharf sind. Die Schnittmengen beispielsweise zwischen GSM und Buendelfunk oder auch zwischen GSM und Datenfunk sind gross. Klassisches Beispiel ist eine national taetige Spedition, die der Einfachheit halber ihre LKW-Fahrer mit GSM-Handys ausstattet, obwohl Datenfunkloesungen mit Modacom oder Mobitex - trotz hoeherer Anfangsinvestitionen - auf Dauer kostenguenstiger waeren und sogar erweiterte Anwendungsmoeglichkeiten bieten wuerden. Durch mangelnde Transparenz und Beratung wird dem Kunden jedoch der Ueberblick erschwert.

Die Kunden werden zudem haeufig vom Marketing der Netzbetreiber und Service-Provider in die jeweiligen Netze "gelockt", auch wenn dort, bezogen auf das spezifische Anwendungsszenario, in vielen Faellen kein optimales Diensteprofil angeboten werden kann. Im Zusammenhang mit dem deutschen Marktfuehrer in Sachen mobile Datenkommunikation, der DeTeMobil, wird bisweilen sogar von einer Kannibalisierung durch die eigenen Dienste (D1 versus Modacom) gesprochen. Hierdurch leidet wiederum die Transparenz fuer den Kunden, der sich keiner klaren Alternative gegenuebersieht. Mit anderen Worten: Die Anwender haben es hier mit dem Problem einer ungenauen Dienste-Differenzierung zu tun.

Zudem ist auch auf Consumer-Ebene die Datenkommunikation noch weit von einem Plug-and-play-Niveau entfernt. Solange sich der Kunde mit mehr als einem Endgeraet herumschlagen muss (Handy, Kabel, Adapter, Akkus, Ladegeraet, Computer etc.) wird sich kein dem der mobilen Telefonie auch nur annaehernd vergleichbarer Boom einstellen. Das Problem liegt also in der mangelnden Anwenderfreundlichkeit. Erste Schritte in Richtung des "Single- Device" (ein Geraet fuer alles) sind jedoch zu beobachten: Nokias "Communicator" fuehrt die Entwicklung derzeit an, gefolgt von Loesungen von Hewlett-Packard, Sharp, Apple und anderen Herstellern.

Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass Datenkommunikationsanwendungen in vielen Faellen vor allem eine Frage der Prozess- und Ablaufsteuerung in den Unternehmen ist. Umfangreiche Projektplanung und individuelle Systemloesungen sind daher erforderlich. Die Integration der "mobilen Teile" der Wertschoepfungskette in die "stationaeren" Firmenstrukturen macht dabei haeufig ganz neue Ablaeufe notwendig. So kommt, im einfachsten Fall, ein Aussendienstmitarbeiter nicht mehr einmal pro Woche ins Buero, um seinen "Papierkram" zu erledigen, sondern produziert einen kontinuierlichen "Datenfluss", dem im Unternehmen eine entsprechende Struktur gegenuebergestellt werden muss. Die Betreiber dedizierter Datendienste wie Modacom und Mobitex bestaetigen immer wieder: Bis zur Realisierung von Datenfunkloesungen sind Projektplanungsphasen von einem Jahr und mehr keine Seltenheit.

Ferner stellt sich in diesem Zusammenhang, aehnlich dem vorhin diskutierten Nachfrageproblem, auch die Frage nach dem jeweiligen Potential von Firmenloesungen beziehungsweise individuellen Kundenloesungen. Diese sind entweder noch gar nicht verifiziert, oder die Erkenntnis darueber, was mit Hilfe des Einsatzes mobiler Datenkommunikation moeglich waere, konnte bisher den Kunden nicht vermittelt werden.

Mit am entscheidendsten fuer die maessige Akzeptanz der mobilen Datenkommunikation ist jedoch ein Softwareproblem: Der Zugriff vom Handy oder Notebook aus auf diverse Firmennetzwerke oder oeffentlich zugaengliche Hosts ist, vorsichtig formuliert, keineswegs als standardisiert zu bezeichnen. Kompatibilitaet auf Betriebssystem- und Diensteebene ist demnach mehr als gefragt, Plug and play auch hier in weiter Ferne. Solange jede Firmenanwendung individuell neu konfiguriert werden muss, wird ein Marktdurchbruch folglich nicht zu erzielen sein. Das mobile Handy hat sich nicht zuletzt deswegen so schnell durchgesetzt, weil auf der reinen Sprachdienstebene glatte Uebergaenge zu allen anderen Netzen realisiert sind.

Der Mobiltelefonierer kann anrufen, wen er will: Er wird keine Probleme mit irgendeiner Softwarekonfiguration oder Inkompatibilitaet haben. Mit einem Notebook kann man sich hingegen nirgendwo einwaehlen, es sei denn, dass vorher umfangreiche Installations- und Konfigurationsmassnahmen ergriffen worden sind. Selbst firmenintern hat ein mobiler Mitarbeiter mit inkompatiblen Betriebssystemen oder Netzwerksoftware zu kaempfen. Die Remote- Access-Software der mobilen Endgeraete passt dann in den meisten Faellen nicht einmal zu allen firmeneigenen Netzwerken oder Rechnern.

Die Standardisierung in der mobilen Datenkommunikation ist also in jeglicher Hinsicht unbefriedigend. Eine denkbare Loesung mag die Nutzung des Internet bieten, das eine gemeinsame Kommunikationsebene darstellen koennte. Angst vor Datenunsicherheit laesst jedoch viele Anwender vor dem "oeffentlichen" Internet zurueckschrecken.

Sowohl was die Hardware als auch was die Software betrifft, kommt als weiteres Problem die derzeit zu geringe Uebertragungsgeschwindigkeit hinzu - wenn man einmal von spezifischen Loesungen im Bereich der Satellitenkommunikation absieht. D1, D2, E-Plus schlagen sich mit (netto) 4000 bis 6000 Bit/s mehr schlecht als recht, Buendelfunkdienste kommen ueber vergleichbare Werte ebenfalls nicht hinaus; die Datenfunkdienste Modacom und Mobitex sind per se fuer den haeufigen Transport relativ geringer Datenmengen konzipiert. Im Zeitalter von ISDN und Breitbanddiensten ergeben sich damit zunehmend Probleme - spaetestens dann, wenn umfangreichere Dateien uebertragen werden sollen (und sei es nur ein mehrseitiger Bericht im "Word-for- Windows"-Format mit einer Reihe von Grafiken).

Diverse Systemanbieter entwickeln aufgrund der zu langsamen Uebertragungsgeschwindigkeiten bereits Loesungen, mit deren Hilfe sich sogenannte mobile Terminals (etwa ein Notebook) in die Zentralrechner der Unternehmen "einbuchen" - mit dem Ergebnis, dass der Host die Rechenleistung erbringt und nur noch die entsprechenden Tastatur- und Bildschirmbefehle uebertragen werden. Ob dies fuer den breiteren Markt Sinn macht, ist jedoch anzuzweifeln, zumal die mobile Online-Zeit noch teuer ist. Darueber hinaus wuerden hier wieder spezielle Systemkonfigurationen notwendig, ein quasi universeller Zugang zu verschiedensten Adressaten waere damit schlichtweg unmoeglich.

Prinzipiell ist aber in allen Diensten die Systemloesung ein praktikabler Weg, um Anwendungen optimal, also fuer den Benutzer kostenguenstig und am jeweiligen Wettbewerbsvorteil orientiert, zu generieren. Die, wenn man so will, Kehrseite dieser Medaille ist jedoch die Tatsache, dass man mit einer solchen Vorgehensweise nie den beruehmten Massenmarkt adressieren, sondern immer nur einzelnen Anwendergruppen den Zugang zur mobilen Datenkommunikation ermoeglichen kann. Die mobile Datenkommunikation ist also, um ein letztes Mal auf die eingangs gestellte Frage zurueckzukommen, heute primaer ein Nischenprodukt, das gezielt fuer einzelne Anwendungen implementiert werden muss.

Letztendlich stellt sich daher prinzipiell die Frage, ob nicht der Charakter von Datenkommunikation im mobilen Umfeld angesichts der genannten Problembereiche voellig anders als der im Festnetzbereich beurteilt werden muss. Das, was bisher im Festnetz von PC zu PC oder von Netzwerk zu Netzwerk "floss", auf den Mobilfunkbereich zu uebertragen, stoesst jedenfalls heute noch, wie schon erwaehnt, auf Schwierigkeiten. Eine Reduktion der Anforderungen auf zeitnahe und tatsaechlich notwendige Datentransfers scheint daher in den meisten Anwendungsszenarien sinnvoll.

Dieser andere Charakter der mobilen Datenkommunikation wuerde zudem erklaeren, warum die Wachstumsraten in diesem Markt in keinster Weise mit denen der digitalen Mobilfunknetze vergleichbar sind. Waehrend naemlich die Uebertragung von Sprachdiensten zwischen Festnetz und Mobilfunknetz kaum ihren Charakter aendert (Teilnehmer A moechte in der Regel Teilnehmer B sprechen), somit also lediglich der raeumliche Aspekt der Mobilitaet hinzukommt, ist der Datenkommunikation in den meisten Faellen mit der klassischen drahtgebundenen Kommunikation bestens gedient. Mobile Datenanwendungen bedeuten daher nicht die einfache Verlagerung von bestehenden Datendiensten ins mobile Umfeld, sondern die Entwicklung zum Teil voellig neuer Anwendungen.

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es durchaus Gruende dafuer gibt, warum das Marktwachstum der mobilen Datenkommunikation in keiner Weise vergleichbar mit jenem der Mobiltelefonie ist. Ein fuer den Anwender unuebersichtliches Angebot an Diensten mit ungenauer Differenzierung steht hier am Anfang einer ganzen Kette von Ursachen. Zudem sind die Potentiale mobiler Datendienste bisher nur grob erfasst worden. Gleichzeitig muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass der einfache Transfer von Festnetz-Datendiensten auf ein mobiles Traegermedium in der Regel nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Noch immer fehlt es an ausgereifter Technik und standardisierter Netzzugangssoftware beziehungsweise anwendungsspezifischer Software.

Hemmschuhe fuer die mobile Datenkommunikation

1. Geringe Nachfrage: Weniger Anwender als erwartet nehmen das Angebot zu "mobile data" wahr. Potentiale beziehungsweise Beduerfnisse fuer System- und Nischenloesungen muessen erst noch generiert und definiert werden.

2. Ungenaue Dienstedifferenzierung: Das Profil einzelner mobiler Datendienste ist fuer den Anwender schwer zu erfassen.

3. Mangelnde Anwenderfreundlichkeit: Plug and play auf Consumer- Ebene ist heute noch nicht realisiert.

4. Komplexitaet von Systemloesungen: Mobile Datenkommunikation bietet reichhaltige Optionen fuer individuelle Systemloesungen. Letztere erfordern allerdings intensive Planungs- und Projektarbeit.

5. Das Softwareproblem: Die kaum ausgepraegte Standardisierung hat Kompatibilitaets- und Konfigurationsprobleme zur Folge - unternehmensintern wie bei der Kommunikation mit Dritten.

6. Zu geringe Uebertragungsgeschwindigkeit: Die Relation mobiler Datentransferraten zur Kapazitaet von Festnetzen ist ein starkes Hindernis fuer "mobile data".

Kuerz & buendig

Mobile Kommunikation - seit geraumer Zeit in (fast) aller Munde. Vielfach wird dabei vergessen, dass es dabei in puncto Datenkommunikation eher trist und grau aussieht. Verdeckt vom publizistisch begleiteten Siegeszug der digitalen Mobiltelefonie, stossen die Anwender hier auf die alt- bekannten Probleme: fehlender Ueberblick ueber das, was "geht", keine genaue Vorstellung von dem, was ueberhaupt notwendig ist, und natuerlich mangelnde Produkt- und Dienstereife inklusive einer in vielen Faellen nicht abgeschlossenen Standardisierung.

*Diplomvolkswirt Mathias Plica ist Inhaber der Plica Marktforschung Analyse in Muenchen; Diplomkaufmann Bernd Schulte ist selbstaendiger Unternehmensberater und Doktorand an der Ludwig- Maximilians-Universitaet in Muenchen.