Wenn das Kartellrecht das Patentrecht sticht

08.03.2012
Ohne Patente zahlen sich Innovationen nicht aus. Aber in den aktuellen Patentstreitigkeiten droht der Wettbewerb auf der Strecke zu bleiben.

Die Anbieter streiten sich, die Kunden haben das Nachsehen, und der technische Fortschritt wird gebremst. So könnte man das Worst-Case-Szenario der jüngsten Patentrechtsstreitigkeiten zusammenfassen. Doch so weit wird es nicht kommen. Patente sind als Innovationsanreiz unverzichtbar. Aber der "Patentkrieg", der momentan in der Mobilfunkbranche tobt, zeigt, dass auch der Wettbewerb geschützt werden muss.

Apple gegen Samsung, Samsung und Motorola gegen Apple, Motorola gegen Microsoft - die großen Namen der IT- und Mobilfunkbranche treffen sich derzeit häufig vor Gericht. Am Landgericht Mannheim und am Oberlandesgericht Karlsruhe ging es aktuell um die Frage, ob und zu welchen Bedingungen ein Unternehmen seinen Wettbewerbern gestatten muss, bestimmte Grundlagenpatente zu nutzen.

Die Kunden müssen es am Ende meist ausbaden

Der Verbraucher bekommt die Auswirkungen der Rechtsstreitigkeiten bereits zu spüren: Gerade erst mussten iPhone-Nutzer hinnehmen, dass ihre Geräte Nachrichten nicht mehr automatisch aus dem Netz holen. Anfang Februar entfernte Apple kurzerhand eine Reihe älterer iPhone-Modelle sowie iPads, die nach dem UMTS-Standard funken, aus dem Online-Shop in Deutschland. In beiden Fällen hatte Motorola dem Wettbewerber vorgeworfen, ältere Patente zu verletzen.

Die Unternehmen streiten vor allem dar-um, wie teuer die Nutzung von Grundlagenpatenten durch Wettbewerber werden darf. Das hat Folgen für den Preis der Geräte und könnte den Einsatz künftiger Innovationen erschweren. So fordert Motorola von Apple eine Lizenzgebühr in Höhe von 2,25 Prozent vom Umsatz mit den betroffenen Geräten, also rund eine Milliarde Dollar allein für das vergangene Jahr. Hohe Lizenzgebühren soll auch Microsoft an Motorola zahlen. Apple sieht sich zusätzlich einer Forderung von Samsung ausgesetzt.

Die EU-Kommission hat sich bereits eingeschaltet und untersucht, ob Samsung hier nicht seine Marktmacht missbraucht. Auch Apple und Microsoft haben sich bei der EU-Kommission beschwert. Sie wollen erreichen, dass die Höhe der Lizenzgebühren begrenzt wird, wenn diese Grundlagenpatente für branchenweit eingesetzte Technologien oder Standards essenziell sind.

Worum geht es eigentlich bei den Streitigkeiten?

Ein auf ein Erzeugnis gerichtetes Patent räumt seinem Inhaber das ausschließliche Recht ein, den patentierten Gegenstand herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen. Dar-aus folgt: Der Patentinhaber hat die Freiheit, zu entscheiden, ob - und wenn ja, zu welchen Bedingungen - er sein Schutzrecht an Dritte lizenziert. Das ist der Kern aller gewerblichen Schutzrechte.

Im Gegensatz dazu steht das allgemeine Interesse an einem ungehinderten und möglichst vielgestaltigen Wettbewerb. Diese freie Konkurrenz wird durch das Kartellrecht geschützt.

Der Konflikt wird aktuell im Bereich der IT, aber auch bei pharmazeutischen Erzeugnissen deutlich. Beide Märkte sind durch eine hohe Dichte an Schutzrechten und durch aufeinander aufbauende Technologien gekennzeichnet. Unternehmen, die im Besitz von Schutzrechten sind, haben häufig eine Sperrposition inne, das heißt, sie können die weitere Marktentwicklung behindern. Im öffentlichen Interesse liegt es jedoch, dass der technische und medizinische Fortschritt nicht durch Schutzrechte gestört wird.

In der IT spielt die immer weiter fortschreitende Standardisierung eine erhebliche Rolle. Sie kann doppelten Arbeitsaufwand verhindern, Produktionskosten senken, den Wettbewerb fördern und zusätzliches Vertrauen in die Produkte schaffen. Bekannte Standards wie GPRS oder UMTS im Mobilfunk, CD, DVD und Blu-ray bei Speichermedien oder MP3 und MPEG bei der Audio- und Videocodierung sind gute Beispiele, wie der technische Fortschritt in Form neuer und besserer Produkte für die Verbraucher nutzbar wird.

Die Standardisierung führt aber unweigerlich zu Konflikten: Sobald der Inhalt eines Standards in den Schutzbereich eines Patents fällt, hat der Patentinhaber theoretisch die Möglichkeit, die Anwendung des Standards zu blockieren.

Einen solchen Fall hatte der Bundesgerichtshof zu entscheiden: Der niederländische Philips-Konzern war im Besitz eines Grundlagenpatents, das alle Hersteller handelsüblicher wiederbeschreibbarer CDs nutzen mussten. Philips hatte vielen Unternehmen eine Lizenz auf das Patent erteilt. Aber ein Wettbewerber wollte diese Lizenz nicht erwerben. Aus seiner Sicht waren die Lizenzgebühren überhöht; außerdem habe Philips anderen Unternehmen günstigere Konditionen eingeräumt. Der Wettbewerber produzierte seine CDs ohne Lizenz, wurde daraufhin wegen Patentverletzung verklagt.

Ein Argument: Der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand

Im Verfahren macht der Beklagte geltend, dass Philips seine marktbeherrschende Stellung missbrauche. Und der Bundesgerichtshof ließ dieses Argument, den "kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand", gelten. Es entschied: Ein Patentinhaber darf nicht gegen das kartellrechtliche Verbot verstoßen, Wettbewerber zu diskriminieren oder ohne sachlichen Grund zu behindern. Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Wettbewerber das Patent deshalb sogar ohne ausdrückliche Erlaubnis des Patentinhabers benutzen.

Organisationen und Vereinigungen, die sich um die Entwicklung von Standards und Normen kümmern, haben inzwischen das FRAND-Prinzip entwickelt (Fair, Reasonable And Non Discriminatory). Worum geht es dabei? Unternehmen, die davon profitieren wollen, dass ihre Patente Bestandteil eines Standards werden, müssen vorab eine Selbstverpflichtung abgeben. Sie soll sicherstellen, dass die für einen Standard oder eine Norm wesentliche patentierte Technologie allen Anwendern zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen zugänglich ist. Insbesondere gilt es, zu verhindern, dass - wie im Fall Philips - Rechteinhaber bestimmten Wettbewerbern keine Lizenzen erteilen oder überhöhte Gebühren fordern, wenn sich die Branche dem Standard angeschlossen hat.

Sämtliche Rechte sind lückenlos offenzulegen

Zudem wird vom Patentinhaber erwartet, dass er sämtliche Rechte offenlegt, die für Anwender eines Standards erforderlich sind. Tut er das nicht, so müssen Unternehmen, die eine standardisierte Technologie einsetzen wollen, unter Umständen zusätzliche Lizenzgebühren entrichten.

Zwei Fälle dieses "Patenthinterhalts" sind bekannt geworden. Der Hersteller von Speicherchips Rambus und der Computerproduzent Dell sollen in den USA ihre Patente verschwiegen haben, als es darum ging, bestimmte Standards zu entwickeln. Erst als sich der Standard dann am Markt etablierte, versuchten beide, ihre Schlüsselpatente durchzusetzen.

Wie man das FRAND-Prinzip (nicht) aushebeln kann

Das FRAND-Prinzip hat sich so gut bewährt, dass es Anfang 2011 auch die Europäische Kommission in ihre Leitlinien übernahm. Allerdings hatten die Gerichte noch offene Rechtsfragen zu klären. So beteiligte sich Bosch als Mitglied des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (ETSI) mit eigenen Patenten an der Entwicklung des UMTS-Standards. Dabei ging das Unternehmen auch die FRAND-Verpflichtung ein. Später wurden die Bosch-Patente jedoch vom deutschen Patentrechte-Verwerter IPCom übernommen, und der sah sich nicht mehr an die von Bosch abgegebene Zusage gebunden.

Das Landgericht Mannheim räumte allerdings auch in diesem Fall den Wettbewerbern eine wirkungsvolle Möglichkeit zur Verteidigung ein. Es akzeptierte das Argument, dass der Patentinhaber seine marktbeherrschende Stellung missbrauche.

Was ist eigentlich fair und angemessen?

Weitere Fragen sind nach wie vor noch offen. So ist sich die Branche weitgehend uneinig, wie hoch eine faire und angemessene Lizenzgebühr unter FRAND-Bedingungen eigentlich sein darf. Wichtig ist dieses Thema nicht nur hinsichtlich der Beurteilung, ob und inwieweit ein Patentinhaber durch seine Gebührenforderung den Wettbewerb behindert. Vielmehr zeigt es auch in der Praxis, ob eine FRAND-Erklärung die Patentinhaber tatsächlich zwingt, finanzielle Obergrenzen zu akzeptieren. Für die Gerichte wären strenge Richtlinien zwar nicht verbindlich, wohl aber könnten sie als Indiz für die Rechtsfindung herhalten.

Fazit: Ohne Aussicht auf finanziellen Gewinn lohnt es sich für Unternehmen sicher nicht, neue Technologien zu entwickeln. In Branchen, die einen hohen Standardisierungsgrad aufweisen, können die Inhaber von Schlüsselpatenten aber versuchen, den Wettbewerb zu blockieren. Sind die Lizenzgebühren für die Nutzung von standard-bestimmenden Patenten zu hoch, werden sich Innovationen wohl nicht breit am Markt durchsetzen. (qua)

Dr. Thomas Nägele ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz sowie Partner in der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz in Mannheim.