Wenn Arbeit krank macht

16.12.2008
Investitionen in die Gesundheit der Mitarbeiter lohnen sich. Dabei müssen die Kosten gar nicht hoch sein.

Die IT-Branche pflegt immer noch ein jugendliches Image, doch ihre Protagonisten altern. Mit den Jahren schwindet die Begeisterung für durchgearbeitete Nächte, Pizza und Cola. Der Rücken schmerzt, der Hüftspeck nimmt zu, und die ständige Rufbereitschaft stört den Familienfrieden. Was zu Beginn des Berufslebens aufregend war, wird für manchen IT-Mitarbeiter zur Dauerbelastung. Einige macht es krank.

Das Forschungsprojekt "Diwa-IT - Gesund arbeiten, gesund bleiben in der IT-Wirtschaft" untersucht, welchen besonderen Belastungen IT-Wissensarbeiter ausgesetzt sind. Die Betreiber entwickeln während der dreijährigen Laufzeit bis Mai 2010 zusammen mit den beteiligten Unternehmen und deren Mitarbeitern Konzepte und Präventionsmaßnahmen, die helfen sollen, mit dem wachsenden Druck umzugehen und dabei gesund zu bleiben. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen, dem Institut für sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München sowie dem Büro Moderne Arbeitszeiten in Dortmund.

Das Erkrankungsrisiko für IT-Angestellte ist besonders hoch, wie erste Studienergebnisse belegen. Doch paradoxerweise lässt sich die erhöhte Anfälligkeit für Stress, Burnout und psychosomatische Erkrankungen zunächst nicht am erhöhten Krankenstand eines Unternehmens ablesen. Während ihrer Befragungen und Interviews in den Firmen fiel den Forschern auf, dass die Betroffenen anfängliche Warnsignale des Körpers systematisch ignorieren. Manche gönnen sich allenfalls mit Hilfe ihres Überstundenkontos eine Verschnaufpause. In einer jungen, erfolgsgetriebenen Branche, in der die meisten mit Begeisterung arbeiten, widersprechen körperliche Schwächen dem Arbeitsethos.

Der Druck wächst weiter

Doch zunehmende Belastungen und ständiger Druck unterminieren selbst die Konstitution von robusten Naturen. "Das ist auch ein Thema für uns", sagt Walter Brinkmann, Betriebsratsvorsitzender von T-Systems, und ergänzt: "Die Situation wird sich weiter zuspitzen." Das Unternehmen beteiligt sich am Projekt "Diwa IT". Die T-Systems-Mitarbeiter wissen um die hohe Arbeitsbelastung und die Risiken. Brinkmann berichtet von zwei kürzlich unterzeichneten Vereinbarungen zum Thema Gesundheit, die diesem Aspekt einen höheren Stellenwert im Unternehmen einräumen sollen. Der Gewerkschaftsmann hat dafür die Unterstützung des Managements und der Personalabteilung: "Gerade Führungskräfte in der mittleren Ebene kennen das Problem oft aus dem eigenen Arbeitsalltag."

Brinkmann möchte im eigenen Unternehmen eine neue Diskussion über die steigende Arbeitsbelastung anregen. Da T-Systems-Mitarbeiter tariflich an die 34-Stunden-Woche gebunden sind, wachsen die Überstundenkonten von vielen. Zwar gibt es ein so genanntes Ampelsystem zum Abbau dieses Zeitkontingents, doch wenn Projekte kurz vor dem Abschluss stehen, müssen alle an Bord sein. "Wir empfehlen Kollegen und ganzen Teams, an ihre Vorgesetzten eine Überlastungsanzeige zu schicken, wenn das Arbeitspensum nicht zu erledigen ist." Schließlich kommt dem Arbeitgeber eine Sorgfaltspflicht gegenüber seinen Angestellten zu.

Arbeitsschutz nur auf dem Papier

Arbeits- und Gesundheitsschutz spielen für Wissensarbeiter keine große Rolle, Arbeitsschutzgesetze existieren oft nur auf dem Papier, denn IT-Mitarbeiter hantieren nicht mit gefährlichen Chemikalien. Für die Umsetzung und Kontrolle dieser Verordnungen fehlen das Personal und oft auch der Wille. "80 bis 90 Prozent der Unternehmen kümmern sich nicht darum, wie es um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter steht", schätzt Anja Gerlmaier, die am Institut Arbeit und Qualifikation das Projekt Diwa-IT leitet.

Kranksein wird zum Stigma

Doch gerade wer Höchstleistungen erwartet, sollte eine gewisse Sensibilität entwickeln und seinen Angestellten nicht zu viel zumuten. Eine andere Facette ist die Selbstausbeutung der Arbeitnehmer: Die Angst, als Niedrigleister gebrandmarkt zu werden, sei in der IT-Branche, die mit ihrem jugendlichen Image kokettiert, besonders verbreitet. Kranksein wird dann schnell zum Stigma. Deshalb beobachten beispielsweise Betriebsräte mit Sorge, wenn ihre Kollegen sich krank an den Schreibtisch schleppen oder lieber Stunden vom Gleitzeitkonto abbummeln, als zum Arzt zu gehen.

Yoga oder Marathon?

SAP beteiligt sich ebenfalls an dem Forschungsprojekt. Das Unternehmen offeriert seinen rund 15 000 Mitarbeitern in Deutschland seit vielen Jahren Kurse zur Work-Life-Balance und zum Gesundheits-Management. Der Betriebsarzt Werner Bachmaier, stellvertretend verantwortlich für Health und Diversity bei SAP in Walldorf, erhofft sich vom Diwa-IT-Projekt weitere Impulse für das hauseigene Gesundheits-Management. "Die Arbeitsbelastung steigt. Wir merken, dass die Kollegen stärker unter Druck stehen. Vom Forschungsprojekt versprechen wir uns, dass wir konkrete Zahlen bekommen und unsere Argumente untermauern können."

Der Mediziner weiß, dass Krankmeldungen alleine wenig über die Gesundheitsrisiken der Mitarbeiter aussagen. Seit elf Jahren investiert das Unternehmen in präventive Maßnahmen, Sportangebote und die medizinische Versorgung. Prävention spielt im SAP-Gesundheitskonzept eine wichtige Rolle. Das Angebot reicht von Yoga-Kursen über Fitnessstudio und Lauftreff bis zum Marathontraining. Krisenintervention und Konflikt-Management finden sich ebenso im umfangreichen Programm. Bachmaier möchte zwar keine Zahlen nennen, doch "die Kosten bleiben im Rahmen".

Überschaubare Kosten

Mitarbeiter und Unternehmen teilen sich bisher je nach Angebot die Kursgebühren für das Sportprogramm. Über die Vertrauensarbeitszeit ist es beispielsweise möglich, während des Arbeitstags einen Kurs zu besuchen, wenn es das Projekt zulässt. "Einige Kollegen bieten innerhalb der SAP ehrenamtlich Kurse an. Wir achten allerdings darauf, dass jemand, der beispielsweise einen Yoga-Kurs leiten möchte, auch eine entsprechende Ausbildung mitbringt."

Den Führungskräften kommt eine wichtige Rolle zu: Sie sollen Risiken erkennen, Probleme ansprechen und ihre Mitarbeiter auf die Hilfs- und Beratungsangebote im Unternehmen aufmerksam machen. Bachmaier möchte noch stärker auf Prävention setzen, obwohl der Krankenstand im Unternehmen unter dem Durchschnitt anderer Firmen liegt. Ob der momentane Sparkurs auch Einschnitte im Gesundheits-Management bringt - dazu will man sich in Walldorf nicht äußern.

ITler wollen stolz auf sich sein

Die Belastungen der IT-Beschäftigten nehmen seit Jahren zu. Manche datieren den Wandel auf das Jahr 2000, als die New-Economy-Euphorie in einem Desaster endete. Doch das große Arbeitspensum sei keineswegs alleine verantwortlich. "Die Handlungsmöglichkeiten der Beschäftigten haben sich reduziert, die Sinnhaftigkeit der Arbeit fehlt vielen, und das wirkt sich auf die Motivation aus", so Gerlmaier.

Die Arbeitspsychologin erforscht seit vielen Jahren die schwierigen Arbeitsbedingungen von Wissensarbeitern speziell im IT-Sektor. Aus vielen Befragungen weiß sie, dass gerade für IT-Fachkräfte die Identifkation mit ihrer Arbeit besonders wichtig ist. Wenn die eigene Abteilung aber permanent umstrukturiert wird, engagierte Fachkräfte gleichzeitig in 15 Projekten mitarbeiten sollen, von ihnen am Wochenende noch Rufbereitschaft für Notfälle erwartet wird und sie keineswegs sicher sein können, ob sie nach der nächsten Fusion nicht trotzdem auf der Straße stehen, dann bleibt selbst beim motiviertesten Kollegen der Elan auf der Strecke.

Gewohnheitstiere leben gesund

"Ständig unter Druck, ständig unterwegs - das macht krank. Wir sind Gewohnheitstiere und bevorzugen im Arbeitsleben Routine", berichtet Gerlmaier über Ergebnisse der Gesundheitsforschung. Gymnastikkurse und Ernährungsberatung allein lösen das Problem nicht. "Meine Empfehlung lautet: An beiden Schrauben drehen. Unternehmen und jeder Einzelne müssen darauf achten, dass die Leistungsfähigkeit erhalten bleibt", rät die Wissenschaftlerin. (hk)

Sechs Tipps, die wenig kosten

Nie mehr als zwei Projekte gleichzeitig: Das wäre das Ideal. Eine leicht überschaubare Zahl an Projekten steigert die Motivation, führt zu besseren Ergebnissen und bringt die Begeisterung zurück. Wer dagegen gleichzeitig mit 15 Projekten jonglieren soll, dem werden einige Bälle aus der Hand gleiten. Die Folge ist eine schlechtere Qualität.

Regelmäßige Pausen: Vormittags alle 70 bis 90 Minuten für fünf Minuten die Arbeit unterbrechen, um durchzuatmen, vom Schreibtisch aufstehen und beispielsweise mit den Kollegen plaudern. Eine mindestens halbstündige Mittagspause sollte dem Essen und der Regeneration dienen. Wer am Nachmittag noch für eine Viertelstunde um den Block geht und frische Luft tankt, kann sich besser konzentrieren. Bei Denkblockaden helfen kurze Spaziergänge.

Gesundheitsförderung als Teil der Unternehmenskultur etablieren: Wenn Mitarbeiter, Führungskräfte und Personalabteilung das Thema gleichermaßen ernst nehmen und in der Unternehmenskultur verankern, lassen sich Erfolge erzielen.

Lob, Anerkennung, Wertschätzung: Eigentlich müssten Chefs diese kostenlose und äußerst effiziente Motivationsform längst für sich entdeckt haben, denn sie taucht in keiner Bilanz als Kostenfaktor auf, bringt oft mehr als teure Incentives und stiftet wohldosiert wenigstens ansatzweise etwas Sinnhaftigkeit für die eigene Arbeit.

Mehr Entscheidungskompetenz: Wer ein Projekt mitplant und den Aufwand realistisch einschätzt, arbeitet später motivierter an seiner Umsetzung. Gerade IT-Mitarbeiter wünschen sich selbständiges Arbeiten, und mit der Entscheidungsfreiheit steigt die Motivation.

Miteinander reden: Wer als Führungskraft regelmäßig mit seinen Mitarbeitern spricht, kann besser einschätzen, wie es um die Arbeitsbelastung steht, ob Projekte im Zeitplan liegen, welche Schwierigkeiten es gibt und wie fit die Kollegen sind.

(Quelle: Anja Gerlmaier)

Yoga für Business-Menschen

Wenn Hans Kugler von Anwendungsproblemen, Programmen oder Selfware spricht, dann klingen diese Begriffe in den Ohren von IT-Mitarbeitern vertraut, selbst wenn er damit die Grundlagen eines Yoga-Kurses erläutert.

Auf die Idee, Business und Yoga zu verknüpfen und sie für gestresste Manager und IT-Mitarbeiter anzubieten, kam Kugler zusammen mit Kollegen. Die vier Yoga-Lehrer verfügen über mehrjährige Berufserfahrung und Branchenkenntnisse in IT und dem Beratungsgeschäft. Sie firmieren unter "Yoga Biz, Yoga Business Partner" und bieten ihre Kurse Unternehmen und Behörden im Großraum München an.

Das dreistufige Programm setzt darauf, zunächst vorhandene gesundheitliche Probleme wie Verspannungen zu lindern, Überlastungen vorzubeugen sowie persönliche Potenziale zu entwickeln.

Für die IT-Mitarbeiter am Münchner Flughafen konzipierte Kugler ein Kursprogramm, das sich über knapp eineinhalb Jahre erstreckte. Neben der wöchentlichen Übungsstunde gab es für die rund 20 Teilnehmer ein bis zwei Wochenendkurse, in denen sie das Gelernte vertiefen konnten. Mit CDs und weiteren Unterrichtsmaterialien ermutigte Kugler die Teilnehmer, regelmäßig selbständig zu üben.

"Viele interessierten sich für den Kurs, weil sie unter Verspannungen aufgrund von Stress litten, unruhig waren und nach der Arbeit nicht abschalten konnten." In abschließenden Befragungen bestätigten viele dem Yoga-Lehrer, dass sie sich jetzt besser fühlten. Kugler und seine Kollegen bieten die Kurse vor allem zur Stressbewältigung an.